Sonntag, September 29

Die 54-Jährige gilt als analytisch, beharrlich und klug. Das muss sie nun auch im Kampf gegen den Übernahmeversuch der Unicredit
beweisen, sonst droht ihr eine sehr kurze Amtszeit. Ein Porträt.

Bettina Orlopp ist am Ziel und schreibt zugleich Geschichte. Auf das Ziel hat sie seit Jahren kontinuierlich hingearbeitet, allerdings ohne sich in den Vordergrund zu drängen. Zehn Jahre nach ihrem Eintritt in die Commerzbank soll die amtierende Finanzchefin auf Anfang Oktober zur Vorstandsvorsitzenden avancieren, wie die Bank am Mittwoch mitteilte.

Mitten im Abwehrkampf gegen den unerwünschten Übernahmeversuch der Unicredit ersetzt der Aufsichtsrat um den früheren Bundesbank-Präsidenten Jens Weidmann damit den erfolgreichen Konzernchef Manfred Knof durch die promovierte Betriebswirtin. Knof hatte das schwächelnde Institut saniert und zurück in die Erfolgsspur gebracht. Das ging einher mit dem Abbau von 10 000 Stellen und der Halbierung des Filialnetzes. Vor zwei Wochen hatte er jedoch mitgeteilt, seinen Ende 2025 auslaufenden Vertrag nicht verlängern zu wollen.

Beförderung mitten im Existenzkampf

Für Orlopp ist die Beförderung mitten im Existenzkampf eine Auszeichnung und ein besonderer Vertrauensbeweis. In der gut 150-jährigen Geschichte der Bank wird sie zudem die erste Frau auf der Position sein, was in den Annalen sicher seinen Platz finden wird.

Die 54-Jährige hat neue Aufgaben oft in Krisenzeiten übernommen. Als sie Ende 2017 in den Vorstand einzog, steckte das Institut mitten in der Restrukturierung und stieg kurze Zeit später sogar aus dem deutschen Leitindex DAX ab. In ihrem ersten Jahr als Finanzchefin machte die Bank dann 2020 mit 2,9 Milliarden Euro den grössten Verlust seit zehn Jahren. Jetzt übernimmt sie mitten im Übernahme-Poker den Chefposten der seit der Finanzkrise noch immer teilverstaatlichten gelben Bank.

Die Unicredit hatte vor zwei Wochen geschickt die Gunst der Stunde genutzt, um sich ein Aktienpaket von 4,49 Prozent zu sichern, das der Bund wie zuvor angekündigt zum Verkauf gestellt hatte. Die Italiener stockten dann schnell auf und kontrollieren nun rund 21 Prozent der Anteile. Die Commerzbank ist nach der Deutschen Bank, der genossenschaftlichen DZ Bank und der staatlichen KfW die Nummer vier im deutschen Bankenmarkt. Sie hat rund 11 Millionen Privat- und Firmenkunden, davon 3 Millionen bei der Direktbank Comdirect.

Sowohl bei Politikern in Berlin als auch bei der Führung der Commerzbank in Frankfurt wird die Annäherung als unfreundlicher, wenn nicht sogar als feindlicher Akt gesehen. Knof und Orlopp hatten in den vergangenen beiden Wochen verlauten lassen, sie würden mit der Commerzbank gerne die eigene Strategie weiter erfolgreich umsetzen. Im vergangenen Jahr hatte das Institut mit einem Überschuss von 2,2 Milliarden Euro immerhin das beste Ergebnis seit 15 Jahren erzielt, wobei auch der deutliche Zinsanstieg mitgeholfen hat.

Vorstand will eigene Strategie verfolgen

Das Management will in Zukunft sowohl bei Privat- als auch bei Firmenkunden weiter wachsen und zwar in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Das Institut betrachtet diese sogenannte DACH-Region als Heimatmarkt. Im Fokus stehen dabei zwei grosse Trends bei den Firmenkunden, nämlich die Digitalisierung und die nachhaltige Transformation in eine klimaneutrale Zukunft. Beides erfordert von Unternehmen grosse Investitionen. Die Commerzbank will bei der Entwicklung nicht nur mit Rat, sondern auch mit Krediten helfen.

Der klimaneutrale Umbau von Unternehmen könne auch ein Konjunkturprogramm für den deutschen Bankensektor sein, sagte Orlopp einmal. Zudem will die Bank den einzelnen Kunden mehr Produkte verkaufen, Stichwort Cross-Selling. Das Institut schreibt zwar längst wieder Gewinne, erwirtschaftet aber immer noch nicht die Kapitalkosten, was eigentlich eine Mindestanforderung ist. Es gibt also noch viel Raum für weitere Verbesserungen.

Jetzt muss Orlopp aber erst einmal eine Abwehrstrategie entwickeln, wenn die Bank eigenständig bleiben will. Um die Unabhängigkeit zu bewahren, muss sie vor allem ihre Aktionäre davon überzeugen, dass die eigene Strategie mehr Erfolg verspricht als ein Verschmelzen mit der Unicredit beziehungsweise deren deutschen Tochter HypoVereinsbank (HVB), die den Italienern seit 2005 gehört.

Das Rüstzeug dafür hat die gebürtige Solingerin, die in München aufgewachsen ist. Nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Universität Regensburg fing Orlopp 1995 bei McKinsey an und wurde dort 2002 zur Partnerin gewählt. Bei der Beratung arbeitete sie vor allem für Unternehmen aus der Finanzbranche, unter anderem auch für die Deutsche Bank. 2014 wechselte sie schliesslich ins operative Geschäft zur Commerzbank, wo sie zwei Jahre später zur Generalbevollmächtigten für Personal, Recht und Compliance wurde und gut ein Jahr später den entsprechenden Vorstandsposten übernahm. Im März 2020 erfolgte dann der Aufstieg zur Finanzchefin.

Orlopps Leidenschaft ist Lesen

Die Mutter zweier inzwischen volljähriger Kinder gilt als analytisch und kontrolliert, aber auch als entspannt. Sie freue sich auf die herausfordernde Aufgabe, die sie mit Respekt, aber auch mit grossem Selbstvertrauen und einem hervorragenden Vorstandsteam an ihrer Seite antrete, sagte Orlopp zu ihrer Beförderung. Sie ist längst eine der wichtigsten Frauen in der deutschen Wirtschaft und weiss entsprechend sich selbst und ihre Karriere einzuschätzen.

Der Vorstandsposten ist für sie insofern nicht gänzlich neu, als sie Ende 2020 die Position schon ad interim übernommen hatte, nachdem sich der damalige Aufsichtsrat vom glücklosen Martin Zielke getrennt hatte. Schon zu dieser Zeit galt sie als mögliche Thronfolgerin. Zwar entschied sich die damalige Führung schliesslich für Knof. Doch seitdem es herrscht in der Bank kontinuierlich die Angst, Bettina Orlopp könne das Institut verlassen und woanders einen Chefposten übernehmen.

In der Freizeit ist Lesen ihre Leidenschaft, nicht etwa Fachliteratur, sondern Belletristik. Sie ist sogar Mitglied in einem Leseklub und trifft sich alle paar Wochen mit Freundinnen zur Buchbesprechung, wie sie der NZZ Anfang des Jahres beim Zmittag verriet. Auf der Liste stehen auch Schweizer Autoren. So mag Orlopp beispielsweise vom Bestsellerautor Martin Suter die Bücher «Melody» und «Elefant». Ersteres habe sie vergangene Weihnachten geschenkt bekommen und dann an einem Wochenende, an dem sie ein bisschen gekränkelt habe, in einem fort durchgelesen: «Ein typischer Suter, sehr kurzweilig».

In dem Buch über ihre eigene Karriere beginnt mit der Übernahme des Vorstandsvorsitzes bei der Commerzbank nun ein neues Kapitel. Wie umfangreich der Abschnitt wird und wohin die Geschichte sich entwickelt wird, ist jedoch noch völlig offen. Der Aufsichtsrat hat ihr zwar einen Vertrag über fünf Jahre zugestanden, in denen sie die Bank möglicherweise in der Unabhängigkeit halten und nach ihren eigenen Vorstellungen weiter entwickeln kann.

Doch sollte sich die Unicredit mit der Übernahme durchsetzen, wofür einiges spricht, könnte ihre Präsenz auf dem Chefposten entweder nur von kurzer Dauer sein oder sie würde danach möglicherweise zur deutschen Statthalterin von Unicredit-Chef Andrea Orcel degradiert.

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