Die Börsianer können auf ein ausgezeichnetes erstes Quartal zurückblicken. Unter den Faktorstrategien stechen Momentum-Aktien hervor, die den Gesamtmarkt klar hinter sich gelassen haben. Was ist Momentum überhaupt, welche ETF gibt es, und was sind allfällige Risiken?
Die Börsen kennen derzeit kein Halten. Allein im ersten Quartal dieses Jahres ist der Weltaktienindex von MSCI (MSCI World) in Dollar gerechnet bereits um nahezu 8% vorgeprescht (in Franken sind es sogar 16%) – eine solche Rendite wird typischerweise im Durchschnitt in einem ganzen Jahr erzielt.
Für Rückenwind sorgten insbesondere erfreuliche Ergebnisse von beliebten Technologiekonzernen wie Microsoft und Nvidia sowie die sich festigende Hoffnung, die Notenbanken würden demnächst ihre Leitzinsen senken – die Schweizerische Nationalbank hat schon vorgespurt –, wodurch der Weltwirtschaft eine weiche Landung oder sogar ein neuer Aufschwung gelingen dürfte. Die Rezessionsängste, die im vergangenen Jahr noch dominierten, sind verflogen.
Momentum enteilt dem Gesamtmarkt
Noch einmal deutlich besser als der breite Markt hat der Faktor Momentum heuer bislang abgeschnitten: Seit Januar verbucht der MSCI World Momentum in Dollar einen eindrücklichen Zuwachs von 20% (+29% in Franken).
Aber was ist «Momentum» überhaupt? Ein Aktienportfolio lässt sich nicht nur nach Ländern oder Sektoren, sondern auch auf Basis sogenannter Faktoren ausrichten. Zu den bekanntesten gehören die Grösse der Unternehmen (Small versus Large Caps), deren Abhängigkeit vom Konjunkturzyklus (defensive versus zyklische Titel), die Bewertung (Substanz versus Wachstum) oder eben ihre jüngste Aktienkursentwicklung, sprich: Momentum. Faktorstrategien sind auch unter der Bezeichnung Smart Beta oder Style Investing bekannt.
Momentum-Anleger setzen auf bisherige Gewinneraktien. Damit machen sie sich die Eigenschaft zunutze, dass Vermögenswerte, die im Quervergleich zuletzt eine hohe (niedrige) Rendite erzielt haben, mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit auch künftig eine hohe (niedrige) Rendite erzielen werden. Valoren, die in der jüngeren Vergangenheit – typischerweise über drei, sechs und zwölf Monate – besonders gut abgeschnitten haben, haben oft auch künftig die Nase vorn. Akademische Studien haben das Phänomen für verschiedene Vermögensklassen nachgewiesen (am Ende des Artikels wird auf entsprechende Studien verwiesen).
Dieser Strategie zufolge sollen Anleger also den Titeln mit der stärksten Kursentwicklung den Vorzug geben, in der Erwartung, ihre Gewinnsträhne werde anhalten. Getreu dem Motto «The trend is your friend».
Insbesondere die Aktien von potenziellen Gewinnern der Revolution der künstlichen Intelligenz wie beispielsweise Nvidia, Microsoft, Micron Technology und Meta eilten in den vergangenen Monaten von Erfolg zu Erfolg. In Europa zeigten unter anderem Zealand Pharma, Rheinmetall und Leonardo Stärke.
Anleger reagieren zögerlich auf neue Informationen
Aber kann Anlegen wirklich so einfach sein? In der Tat bereitet der Erfolg dieser Strategie der Finanzwissenschaft Kopfzerbrechen. Denn gemäss der Theorie effizienter Märkte sind jeweils alle öffentlich verfügbaren Informationen in den Aktienkursen berücksichtigt, sodass es Investoren nicht möglich sein sollte, anhand vergangener (Aktienkurs-)Informationen den Markt zu schlagen.
Eine mögliche Erklärung für den Momentum-Effekt liefert die Verhaltensökonomik: Ihr zufolge liegt es in der Natur der Anleger, (zu) zögerlich auf neue Informationen zu reagieren. Verbessert (oder verschlechtert) sich der Geschäftsgang eines Unternehmens, sind die Marktteilnehmer zunächst oft skeptisch, ob der Erfolg auch tatsächlich nachhaltig ist. Erst nach und nach spiegelt sich die positive Veränderung im Aktienkurs – das sorgt während Monaten für Auftrieb (oder für Abwärtsdruck, wenn eine über lange Zeit erfolgreiche Gesellschaft in Schwierigkeiten gerät).
Nimmt der Kurs einer Aktie einmal richtig Fahrt auf, kommt es schliesslich nicht selten zu einer Überreaktion, da die Anleger die erfreulichen Unternehmensnachrichten immer weiter in die Zukunft fortschreiben und potenzielle Risiken ausblenden.
Risiken und Nebenwirkungen
Aber es wäre zu einfach, wiese eine Momentum-Strategie keine Risiken auf. Die grösste Gefahr scheint die Anfälligkeit der Strategie für Crashs zu sein, denn durch die Überreaktion der Marktteilnehmer entkoppelt sich der Aktienkurs mitunter zusehends von den Fundamentaldaten – bis die Erfolgssträhne dereinst reisst. Dann fällt die Gegenreaktion oftmals heftig aus. «Die grösste Herausforderung beim Momentum-Ansatz besteht darin, seltene, aber verheerende Abstürze zu vermeiden», warnt denn auch David Blitz, quantitativer Stratege beim niederländischen Vermögensverwalter Robeco. Diese Anfälligkeit für heftige Rückschläge macht die Strategie für Anleger mit ausgeprägter Risikoaversion unattraktiv.
Ein weiterer negativer Aspekt ist die Tendenz zu einseitigen Portfolios. «Eine Strategie, die ausschliesslich darauf abzielt, die Momentum-Prämie zu nutzen, ohne andere Elemente zu berücksichtigen, kann schnell zu einer übermässigen Konzentration des Portfolios auf eine kleine Zahl von Branchen führen, die gerade in Mode sind», meint Blitz. Damit aber nimmt die Diversifikation des Portfolios ab, und sektorspezifische Risiken nehmen zu.
Der (einseitige) Fokus auf Momentum hat zudem zur Folge, dass ein anderer prominenter Faktor – Value – typischerweise stark untergewichtet wird. Das ergibt auch intuitiv Sinn: Wer primär auf Aktien setzt, die während Monaten überdurchschnittlich gut abgeschnitten haben, wird in der Tendenz ein Übergewicht in populären und damit hoch bewerteten Titeln aufweisen. Value ist ja aber gerade in unbeliebten Segmenten zu finden. Steigt jedoch Value in der Anlegergunst, ist das oftmals mit einer Underperformance bei Momentum verbunden.
Bemerkenswert ist des Weiteren, dass Momentum nicht überall gleichermassen zu funktionieren scheint. So belegen diverse Studien, dass Momentum in den USA, in Europa und den meisten Schwellenländern langfristig eine überdurchschnittliche Rendite abwirft. In zwei der weltweit wichtigsten Aktienmärkte – in Japan und in China – lässt sich jedoch kein Momentum-Effekt beobachten.
Wie können Anleger investieren?
Wer auf Aktien mit positivem Momentum setzen möchte, kann das bequem mit Exchange Traded Funds machen. An der Schweizer Börse sind ETF für europäische und amerikanische Valoren sowie für Aktien aus Industrieländern kotiert, Schwellenländer werden nicht abgedeckt.
Einen globalen Fokus haben der iShares Edge MSCI World Momentum sowie der Xtrackers MSCI World Momentum. Beide Fonds verwenden den MSCI World Momentum als Basisindex. Er bildet Aktien von Unternehmen aus dem MSCI World ab, die in den vergangenen sechs bzw. zwölf Monaten die kräftigsten Kursavancen verzeichneten.
- iShares Edge MSCI World Momentum (ISIN: IE00BP3QZ825)
- Xtrackers MSCI World Momentum (ISIN: IE00BL25JP72)
Wie ein Blick auf die Zusammensetzung des iShares-ETF zeigt, sind die derzeitigen Technologie-Darlings stark gewichtet. Zu den grössten Positionen zählen Nvidia, Meta Platforms und Amazon. In den Top fünfzehn dominieren ganz klar US-Konzerne, aus Europa schafft es lediglich die dänische Pharmagesellschaft Novo Nordisk auf die vorderen Plätze, Japan ist mit zwei Unternehmen – Toyota und Mitsubishi Financial – vertreten. Beide ETF sind thesaurierend, sie reinvestieren die ausgeschütteten Dividenden also umgehend.
Für US-Aktien gibt es zwei ETF von BlackRock, den iShares Edge MSCI USA Momentum ETF (ISIN: IE00BD1F4N50) sowie den thesaurierenden iShares MSCI USA Momentum Factor ESG (ISIN: IE0002PA3YE5), der zusätzliche Anforderungen punkto Umwelt, Governance und soziale Faktoren an die Unternehmen stellt.
Im Vergleich zum iShares Edge MSCI World Momentum ist die Dominanz der US-Technologiekonzerne bei diesen beiden ETF noch stärker ausgeprägt. Im «klassischen» Momentum-ETF macht Technologie rund 42% aus (Kommunikation steuert weitere 14% bei), beim ESG-ETF sind es sogar 49% (Kommunikation: 19%). Das Klumpenrisiko ist entsprechend hoch.
- iShares Edge MSCI USA Momentum ETF (ISIN: IE00BD1F4N50)
- iShares MSCI USA Momentum Factor ESG ETF (ISIN: IE0002PA3YE5)
Für europäische Aktien bieten BNP Paribas und Black§Rock entsprechende ETF an. Die Produkte von BNP BNP Paribas Easy ESG Momentum Europe berücksichtigen zusätzlich zum Momentum Umwelt-, Governance- und soziale Faktoren. Ein ETF schüttet die Dividenden aus, der andere ist thesaurierend.
- BNP Paribas Easy ESG Momentum Europe ETF (ISIN: LU1377382012, thesaurierend)
- BNP Paribas Easy ESG Momentum Europe (ISIN: LU1481201538, ausschüttend)
- iShares Edge MSCI Europe Momentum (ISIN: IE00BQN1K786)
Weiterführende Literatur
Interessierte, die sich in die Thematik vertiefen möchten, können sich folgende Studien zu Gemüte führen:
- David Blitz, «Factor Investing: The Best Is Yet to Come», Journal of Portfolio Management, Volume 49, Number 2, Quantitative Special Issue 2023.
- Michele Aghassi, Cliff Asness, Charles Fattouche und Tobias J. Moskowitz: «Fact, Fiction, and Factor Investing», Journal of Portfolio Management, Volume 49, Number 2, Quantitative Special Issue 2023.
- Clifford Asness, Tobias Moskowitz und Lasse Pedersen: «Value and Momentum Everywhere», Journal of Finance, Volume 68, Number 3, June 2013.
- Kent Daniel und Tobias Moskowitz: «Momentum Crashes», Journal of Financial Economics 122 (2016).
- Robert Arnott, Mark Clements, Vitali Kalesnik und Juhani Linnainmaa: «Factor Momentum» Arbeitspapier, März 2021.