Das Stimmvolk beider Kantone bestätigt das Konkordat. Aber es stehen noch weitere Abstimmungen an. Und nicht für jeden ist die «Jurafrage» endgültig beantwortet.
Es soll endlich Schluss sein. Die paar Leute, die am Sonntagmittag in den Strässchen von Moutier unterwegs sind, können sie nicht mehr hören, die ewige Debatte um die Kantonszugehörigkeit ihrer Gemeinde. Bern oder Jura?
«Hauptsache, wir schauen nach vorn», sagen mehrere Passanten. Niemand will seinen Namen nennen, zu emotional ist das Thema. «Vierzig Jahre lang habe ich das aus nächster Nähe miterlebt. Es ist die Hölle», sagt ein Mann.
Moutier darf sich seit Sonntag wohl auf eine ruhigere Zukunft vorbereiten. Das Stimmvolk in den Kantonen Bern und Jura hat das Konkordat deutlich angenommen, das den Transfer der Gemeinde zum Januar 2026 regelt.
Bern stimmt deutlicher für den Wechsel als Jura
Die Resultate entbehren nicht einer gewissen Ironie: Die Berner stimmten mit 83,2 Prozent noch klarer für den Wechsel Moutiers als die Jurassier mit 72,9 Prozent. Dafür war die Beteiligung im Jura (50,3 Prozent) höher als in Bern (42,6).
Das doppelte Ja war erwartet worden. Beide Kantonsparlamente hatten dem Konkordat bereits zugestimmt, nur die Berner SVP war dagegen. Deren Delegierte lehnten das Konkordat fast einstimmig ab, obwohl ihr Regierungsmitglied Pierre-Alain Schnegg Jurassier ist und den Moutier-Wechsel befürwortete.
Das Konkordat regelt unter anderem Fragen in den Bereichen Verwaltung, Finanzen, Schulwesen, Justiz und Spitäler. Zum Beispiel tritt der Kanton Bern einen Teil seines Nettovermögens an seinen Nachbarn ab, proportional zu den gut 7200 Einwohnern Moutiers.
Mit Spannung waren vor allem die lokalen Resultate erwartet worden, besonders natürlich dasjenige in Moutier. Dort hatten die Bürger bereits 2017 mit nur 51,7 Prozent für den Kantonswechsel gestimmt. Aber die Präfektin des Berner Juras hatte die Abstimmung für ungültig erklärt, wegen mangelnder Objektivität und «Propaganda» der projurassischen Behörden.
2021 stimmte Moutier erneut über den Kantonswechsel ab und hiess diesen mit nun fast 55 Prozent gut. Ein erneutes Ja schien am Sonntag also erwartbar, aber es war angesichts der knappen vorherigen Ergebnisse nicht zwangsläufig.
«Was, wenn die Braut nun Nein sagt?», meinte der erwähnte Mann am Sonntagmittag. «Dann würden wir uns gegenüber denen da oben lächerlich machen», sagte er und nickte hoch Richtung der Berge, wo die jurassische Kantonshauptstadt Delsberg liegt. Ein anderer Passant urteilte über ein mögliches Nein Moutiers: «Das wäre ein Schlamassel!»
In Moutier treffen sich Hunderte Jurassier
Kurz vor 14 Uhr, als eine Dame im Rathaus vor den Stimmenzählern das Resultat verkündete, herrschte dann Gewissheit: Auch die Braut sagt Ja, zu 1567 Stimmen bei 1221 Gegenstimmen. Das entspricht einem Ja-Anteil von 56,2 Prozent und somit einer leichten Steigerung gegenüber der kommunalen Abstimmung von 2021.
Wirkte Moutier am Mittag noch wie ausgestorben, war nun am Nachmittag vor dem Bahnhof mächtig was los. Ein paar hundert Jurassier versammelten sich rund um die Terrasse eines völlig überfüllten Restaurants. Viele schwenkten rot-weisse Jura-Fahnen und trugen T-Shirts mit der Aufschrift «Moutier, jurassische Stadt». Als sie zusammen die jurassische Hymne «Rauracienne» sangen, hielten sie sich alle an den Händen.
Ein Moderator verlas das Abstimmungsresultat aller jurassischen Gemeinden. Nur eine hatte gegen das Konkordat gestimmt: Bure an der Grenze zu Frankreich, mit 51 Prozent. «Buh», rief die Menge, es gab Pfiffe, ein Mann rief: «Schande!» Bure liegt im Bezirk Pruntrut, dessen gleichnamige Hauptstadt künftig nur noch drittgrösste Stadt im Jura sein wird, nach Delsberg und Moutier.
Doch auch aus Pruntrut waren Jurassier zum Feiern in Moutier angereist, wie mehrere Frauen an einem Tisch erzählten. «Wir schulden das den Älteren», sagte eine Frau, die selbst nicht mehr ganz jung war und mit ihrem Kommen die Vorkämpfer der Autonomiebewegung ehren wollte.
Diese hatten in den 1970er Jahren per Volksabstimmung die Gründung des Kantons Jura erreicht, durch die Abspaltung dreier Bezirke vom Kanton Bern. Vier weitere Bezirke jedoch – neben Laufen bei Basel die drei südjurassischen Bezirke Moutier, Courtelary und La Neuveville – stimmten damals für den Verbleib bei Bern.
Die jurassische Regierung hat viel Arbeit vor sich
Mit dem Ja von Sonntag nähere sich nun ein historischer, in der Schweiz einmaliger demokratischer Prozess seinem Ende, sagte am Nachmittag in Delsberg die Innenministerin Nathalie Barthoulot vor Journalisten. Umgeben von drei Ministerkollegen, sprach die Vorsitzende der Delegation für Jura-Angelegenheiten vom «Glück» und «Enthusiasmus» ihrer Regierung.
In den kommenden 15 Monaten müsse die Regierung nun zeigen, dass sie der Aufgabe von Moutiers Kantonswechsel gewachsen sei, sagte Barthoulot weiter. Für einen finalen Entscheid braucht es noch das Ja der Bundesversammlung. Zudem stimmen die Jurassier im November über die Bildung eines neuen, vierten Bezirks Moutier ab – und zu einem noch unbestimmten Zeitpunkt über die Aussetzung der jurassischen Schuldenbremse.
Denn die Kantonsregierung rechnet durch die Integration Moutiers mit Mehrkosten, zumal die Gemeinde bis vor kurzem jahrelang Schulden gemacht hat. Mit diesen Kosten erklärte Barthoulot vor den Medien auch, dass die Jurassier weniger enthusiastisch für den Kantonswechsel gestimmt hatten als die Berner.
Die Jurafrage dürfte nun für die grosse Mehrheit definitiv beantwortet sein. Aber lange nicht für alle. Am Sonntagnachmittag träumten einige Autonomisten vom Kantonswechsel einer Nachbargemeinde Moutiers, als sie sangen: «Das ist nur ein Anfang! Lasst uns Belprahon befreien!»