Freitag, September 27

Während der Corona-Pandemie verbreiteten sich alle paar Monate neue Varianten des Virus. Das soll laut Experten bei den Affenpocken anders sein. Was entscheidet, wie schnell sich ein Virus verändert?

Die neuen Mpox-Ausbrüche in Afrika lassen bei vielen Menschen die Sorge aufkommen: Entwickelt sich eine neue Pandemie? Doch Experten halten das derzeit für unwahrscheinlich. Ein wichtiger Faktor: Die Mpox-Viren mutieren viel langsamer als Coronaviren. Dass es wie bei Corona ständig neue Virusvarianten gibt, die sich immer besser verbreiten und der Impfung entgehen – damit ist bei Mpox nicht zu rechnen.

Doch warum mutieren die Mpox-Viren langsamer? Um dem auf den Grund zu gehen, muss man sich mit der Vervielfältigung des Erbguts auseinandersetzen.

Mutationen haben Vor- und Nachteile

Wie jeder Organismus muss ein Virus seine Gene von einer Generation an die nächste weitergeben. Viren können das nicht alleine. Denn sie haben oft nur wenige eigene Proteine – zu wenige, um alle lebenswichtigen Funktionen zu erfüllen. So können Viren beispielsweise nie eigene Energie herstellen, denn ihnen fehlen die Mitochondrien. Deshalb sind Viren darauf angewiesen, in eine Zelle eines Lebewesens einzudringen und diese für ihre Zwecke zu übernehmen.

Haben die Viren eine Zelle infiziert, vermehren sie sich meist massenhaft. Sie fertigen Hunderte oder Tausende Kopien ihres Genoms an, damit entsprechend viele neue Viren die Zelle verlassen und weitergegeben werden können.

Bei der Herstellung jeder Genom-Kopie gibt es eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass Fehler eingebaut werden. Dann trägt das neue Virus eine Mutation in sich. Manchmal erlangt das Virus dadurch einen Vorteil, kann sich besser ausbreiten oder einen neuen Wirt befallen. Manchmal verändert die Mutation gar nichts. In den allermeisten Fällen geht etwas kaputt.

Mutationen haben also Vor- und Nachteile für das Virus. Hohe Mutationsraten geben ihm die Möglichkeit, sich schnell an veränderte Umstände anzupassen – eine Evolution in Zeitraffer. Aber viele Mutationen bedeuten auch: Die grosse Mehrheit der neuen Viren funktioniert gar nicht.

Das Material des Erbguts ist entscheidend

Man kann sich das Erbgut vorstellen wie ein Buch, auf dessen Seiten die Anleitungen für alle Bauteile des Virus gedruckt sind. Um das Buch zu vervielfältigen, braucht es einen Kopierer. Die Kopierer des Erbguts sind Proteine namens Polymerasen.

Aber die Polymerasen sind keine perfekten Kopierer. Sie tun etwas, was bei Kopierern sehr unerwünscht ist: Sie tauschen Buchstaben aus. Nur ab und zu, hier und da – aber das neue Buch entspricht praktisch nie zu 100 Prozent dem Original. Verlässliche Polymerasen vertauschen nur einen von 100 Millionen Buchstaben, unzuverlässige vertauschen jeden zehntausendsten.

Wie schnell Viren mutieren, hängt deshalb stark davon ab, welche Polymerase sie als Kopierer verwenden.

Besonders zuverlässig ist zum Beispiel die Polymerase in menschlichen Körperzellen. Macht sie einen Fehler, kann sie das erkennen und den Fehler ausbessern. Deswegen kommt es bei der Verdopplung des Erbguts bei der menschlichen Zellteilung nur sehr selten zu Fehlern. Bestimmte DNA-Viren machen es sich deshalb leicht und bringen gar keine eigene Polymerase mit. Ihr Erbgut aus DNA kann von der Polymerase in den befallenen Zellen problemlos kopiert werden.

Doch die meisten Viren bringen ihren eigenen Kopierer mit. Manche sind darauf angewiesen, weil ihr Erbgut nicht mit dem vorhandenen Kopierer in den Zellen vereinbar ist. Denn beim Menschen und bei allen anderen Lebewesen werden die Erbinformationen in Form von DNA abgespeichert. Die Polymerase-Proteine können deshalb nur Erbgut in Form von DNA kopieren. Bei Viren gibt es jedoch zwei Optionen: Neben Erbgut in Form von DNA kommt auch ein RNA-Erbgut infrage.

RNA-Viren müssen grundsätzlich ihre eigenen Kopier-Proteine mitbringen. Doch diese RNA-Kopierer sind viel unzuverlässiger als die DNA-Polymerasen. Denn sie haben fast nie einen Korrekturmechanismus. RNA-Viren mutieren deshalb deutlich schneller als DNA-Viren.

Zu den RNA-Viren gehören die Coronaviren, aber auch Grippeviren und HIV. Die Pockenviren wie das Mpox-Virus speichern ihre Erbinformation als DNA ab.

Die Pockenviren könnten daher theoretisch die Kopierer der Zelle benutzen. Sie tun das aber nicht. Pockenviren gehören zu den grössten Viren überhaupt und bringen sehr viele eigene Proteine mit – so auch ihre eigene DNA-Polymerase. Diese Polymerase korrigiert ihre Fehler und ist viel zuverlässiger als RNA-Kopierer. Doch sie macht etwas mehr Fehler als die menschliche Version des Proteins.

Grippeviren mutieren durch einen speziellen Trick besonders schnell

Die Fehler beim Kopieren sind die grösste Quelle von Mutationen, doch sie sind nicht der einzige Weg, wie Mutationen entstehen können. So haben zum Beispiel Influenzaviren, die Auslöser der Grippe, einen besonderen zusätzlichen Mechanismus, sich schnell zu verändern.

Ihr Erbgut liegt nicht wie bei anderen Viren in einem Stück vor, sondern ist in acht Teile aufgeteilt. Das ist ähnlich wie die unterschiedlichen Chromosomen des menschlichen Erbguts.

Jetzt kann es vorkommen, dass eine Zelle gleich von zwei unterschiedlichen Influenzaviren befallen ist. Dann schwimmen in ihrem Inneren RNA-Segmente von beiden Viren herum. Die neuen Viren, die sich bilden, können dann eine bunte Mischung der Segmente beider Viren in sich tragen. Durch diese Vermischung können plötzlich ganz neue Varianten des Virus entstehen.

Dieser Mechanismus zusätzlich zur sowieso schon hohen Rate an Mutationen bei RNA-Viren gibt den Grippeviren ihre Fähigkeit, sich besonders schnell zu verändern. Das macht es so notorisch schwierig, eine Impfung zu entwickeln, die langfristig gegen sie wirkt.

Und Mpox verändert sich doch

Solche ständigen schnellen Veränderungen kann man vom Mpox-Virus nicht erwarten. Und dennoch darf man sich nicht zu der Annahme verleiten lassen, dass Mpox-Viren sich überhaupt nicht weiterentwickeln. Das tun sie durchaus. Selbst nachdem das Erbgut vervielfältigt worden ist, gibt es nämlich Prozesse, die das Erbgut verändern können.

Einer dieser Prozesse hat ironischerweise mit Proteinen zu tun, die Viren abwehren sollen. Diese Proteine bauen mit Absicht Fehler in das virale Erbgut ein, um die Viren unschädlich zu machen. Meist funktioniert das auch. Doch manchmal wird dabei auch aus Versehen eine Mutation eingefügt, die dem Virus einen Vorteil verschafft.

Wissenschafter gehen derzeit davon aus, dass ein solcher Prozess für die Mutation verantwortlich ist, die für eine bessere Übertragbarkeit des Mpox-Virus von Mensch zu Mensch gesorgt hat. Diese Mutation hat die Epidemie 2022 erst ermöglicht, denn vorher gab es Ausbrüche praktisch nur dann, wenn Menschen sich bei Tieren angesteckt hatten.

Und letztlich nützt auch eine niedrige Mutationsrate nichts, wenn es zu viele Ansteckungen gibt. Es ist wie beim Lotto: Wenn genügend Menschen spielen, gewinnt irgendwann jemand den Jackpot – auch wenn das für jeden einzelnen extrem unwahrscheinlich ist.

Es ist also wichtig, die Anzahl der Fälle möglichst gering zu halten – das rettet Leben und hält das Virus davon ab, sich noch besser auf den Menschen einzustellen.

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