Freitag, November 29

Die Hochschule würdigte 1937 den Erfinder des Faschismus. In ihrer sehenswerten Ausstellung erklärt sie, warum sie bis heute daran festhält – und wirft auch einige Fragen auf.

Wie wär’s mit etwas Mussolini? Die Plakate, die in Lausanne am Strassenrand und in der Metro hängen, stechen ins Auge. «MUSSOLINI» prangt da in schwarzen Lettern auf rosa Grund. Drumherum, viel kleiner, stehen die Worte «Doktor» und «eine heikle Vergangenheit»: Die Universität Lausanne wirbt durchaus provokant für ihre neue Ausstellung, in der sie erklärt, warum sie den italienischen Diktator 1937 zum Ehrendoktor kürte – und das bis heute nicht rückgängig machen will.

Schon damals kritisierten Schweizer Zeitungen und Briefeschreiber die bevorstehende Ehrung so deutlich, dass der «Duce» den Titel seiner Alma Mater, wo er 1904 studiert hatte, ablehnte. Schweizer Diplomaten in Rom überzeugten ihn davon, trotzdem Ehrendoktor zu werden. Seither wird die Universität Lausanne alle paar Jahrzehnte aufgefordert, den Titel abzuerkennen, zuletzt seit 2020 von einem Doktoranden und von italienischen Vereinen in der Romandie.

In der Folge setzte die Universität eine Arbeitsgruppe ein, um die Umstände der Ehrung zu erforschen. Nach der Präsentation der Ergebnisse 2022 äusserte die Universitätsleitung erstmals Bedauern: Sie sei weder ihrem Auftrag gerecht geworden noch den akademischen Werten, die auf dem Respekt des Individuums und auf der Freiheit der Gedanken basierten.

Mussolinis Ehrendoktor sei permanente Warnung

Doch aberkennen wollte die Leitung den Titel nicht. Sie wolle diesen Teil ihrer Geschichte nicht leugnen oder löschen, erklärte sie. Stattdessen solle die Episode als «permanente Warnung vor möglichen ideologischen Irrwegen» dienen, denen jede Person, Institution oder Gesellschaft jederzeit ausgesetzt sei.

In diesem Sinne organisierte die Universität kürzlich ein Kolloquium, und sie eröffnete die bis September 2025 laufende Ausstellung, die optisch so sehr ins Auge sticht wie die Werbeplakate. Die Schau solle ästhetisch sein, ohne ihre Bilder und Objekte zu ästhetisieren, sagte die Projektleiterin an der Vernissage Mitte November. Aber muss es diese Pop-Ästhetik sein? Passen die vielen rosa Schautafeln zum düsteren Thema? Und warum ist ausgerechnet die Tafel zum Antifaschismus schwarz?

Als Mussolini Ehrendoktor wurde, hatte er die Republik Italien bereits seit 15 Jahren zur Diktatur umgebaut. Er war mit Zehntausenden Schwarzhemden auf Rom marschiert, hatte politische Parteien und andere nichtfaschistische Organisationen verboten. Er hatte Äthiopien überfallen und dabei mindestens 150 000 Menschen abschlachten lassen, vielleicht auch doppelt so viele. Und er hatte 1936 mit Hitler die «Achse Berlin–Rom» geformt.

Die Ausstellung erwähnt all dies, aber sie tut es merkwürdig zurückhaltend. Eine nichtssagende Rückenansicht dreier italienischer Soldaten soll den brutalen Äthiopien-Krieg illustrieren. Das Foto zum Marsch auf Rom zeigt Mussolini wie beim Sonntagsspaziergang. Und es fehlt die ikonische Szene, wie Mussolini neben Hitler stehend den Hitler-Gruss macht.

Ein Bild sagt ja angeblich mehr als tausend Worte, und so hätten die richtigen Bilder den Besuchern umgehend in Erinnerung rufen können, wer Mussolini genau war – und wie seine Zeitgenossen ihn kannten. Denn die lange Liste seiner Grausamkeiten war damals bekannt.

Der Diktator wurde von der Universität Lausanne nicht trotz seinen Taten geehrt, sondern gerade deswegen: nämlich als Errichter einer «Sozialordnung, die die soziologische Wissenschaft bereichert hat und die in der Geschichte tiefe Spuren hinterlassen wird», wie es in der Ehrenurkunde heisst.

Mussolinis schicksalhafte Begegnung in der Schweiz

Überzeugender ist die Ausstellung bei der Vorgeschichte des wohl umstrittensten Ehrendoktors des Landes. 1902 zog Mussolini, wie damals viele Italiener, in die Schweiz. Er war 19 Jahre jung, wollte sich dem Militärdienst entziehen und suchte Arbeit. Als er in Lausanne unter der Grossen Brücke im Zentrum schlief, wurde er von der Polizei wegen Vagabundierens abgeführt. Ein Jahr später wurde der damalige Sozialist in Bern festgenommen, wegen Anstachelung zum Streik.

1904 lernte Mussolini in Genf die Sozialistin Angelica Balabanova kennen. Ohne diese Begegnung, wird er in der Ausstellung zitiert, wäre er «ein kleiner Parteiaktivist geblieben, ein Sonntagsrevolutionär». Balabanova ermutigte Mussolini, die Geschichte der Arbeiterbewegung zu studieren. Ein paar Monate später schrieb er sich für ein Semester in Lausanne ein.

Dort besuchte Mussolini vermutlich Vorlesungen in politischer Ökonomie bei Pasquale Boninsegni. Die beiden blieben freundschaftlich verbunden. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Boninsegni Mitglied einer faschistischen Gruppierung in Lausanne und mehrfach von Mussolini ausgezeichnet.

Auch andere Lausanner Professoren pflegten ein gutes Verhältnis zum Diktator. Allein zwei Rektoren und ein Kanzler erhielten in den 1930er Jahren jeweils den Orden der italienischen Krone. Mussolini wurde von seinen Bewunderern als Bollwerk gegen die Sozialisten und Kommunisten gesehen, die ja 1917 die Sowjetunion ausgerufen und 1918 die Schweiz mit einem Generalstreik lahmgelegt hatten.

Die Ausstellung schildert eindrücklich die politische Spaltung in jener Zeit. In Montreux fand 1934 der Internationale faschistische Kongress statt; der Waadtländer Faschist Arthur Fonjallaz trug den Spitznamen «der kleine helvetische Duce». Auf der anderen Seite demonstrierten Zehntausende gegen Faschismus und Militarismus. Immer wieder kam es zu Gewalt: 1932 erschossen Soldaten in Genf 13 Demonstranten.

In diesem Klima initiierte Pasquale Boninsegni, inzwischen Institutsdirektor, den Ehrendoktor für Mussolini. Der Diktator hatte 1000 Franken für die 400-Jahr-Feier der Universität gespendet, nun sollte er als einer von 52 ehemaligen Studenten ausgezeichnet werden. Die Waadtländer Regierung sah in einer Ehrung «nichts Anrüchiges», und auch in der Universitätskommission gab es trotz anfänglichen Bedenken letztlich nur eine Gegenstimme: Boninsegni, der Rektor und der Kanzler konnten den «Duce» in Rom ehren.

Diese Reise also hängt der Universität bis heute nach. Hat sie nun den richtigen Umgang damit gefunden, und wie soll die Gesellschaft generell mit dunklen Kapiteln ihrer Vergangenheit umgehen? An der Vernissage war das immer wieder ein Thema. Der heutige Rektor Frédéric Herman sagte im Gespräch, die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Faschismus sei nach den Wahlsiegen der Postfaschistin Giorgia Meloni in Italien und von Donald Trump in den USA noch relevanter geworden.

Herman sprach sich erneut gegen die Aberkennung von Mussolinis Titel aus, auch weil es dafür keine Rechtsgrundlage gebe. «Wenn Pro- oder Neofaschisten Einspruch einlegen würden, würden wir eine Niederlage riskieren und müssten dann den Titel erneut vergeben.» Man kann darin eine präventive Kapitulation vor Faschisten sehen, zumal sich Rechtsgrundlagen ja ändern lassen.

Italienischer Verein will Aberkennung weiterhin

Am Ende der Ausstellung fragt die Universität die Besucher nach ihrer Meinung. Auf einer bunten Zettelwand schrieb ein Besucher der Vernissage, mit einer postumen Aberkennung würde man quasi einen Toten ausgraben, um ihm eine Lektion zu erteilen. Andere widersprachen entschieden: Eine Aberkennung bedeute keineswegs, eine unangenehme Vergangenheit einfach zu beseitigen.

Auch die Genferin Nicoletta Zappile vom italienischen Partisanenverein Anpi kann das Festhalten der Universität an Mussolinis Ehrendoktor nicht nachvollziehen. «Es war damals ein politischer Akt, den Titel zu verleihen», sagte sie. «Genauso wäre es nun ein politischer Akt, ihn wieder abzuerkennen. Das hat mit Cancel-Culture nichts zu tun.»

Somit scheint es gut möglich, dass das allerletzte Wort in der Causa «Doktor Mussolini» nicht gesprochen ist – und die Universität Lausanne sich spätestens zu ihrem 500. Geburtstag im Jahr 2037 erneut mit der möglichen Aberkennung des Titels beschäftigen muss.

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