Die Geschichte einer verhängnisvollen Angeberei.
Er sei «jung und dumm» gewesen, erklärt der 26-jährige beschuldigte Schweizer mit türkischen Wurzeln auf die Frage des Gerichtsvorsitzenden nach dem Grund für seine Raserfahrt. In der Anklage steht, er sei an einem Freitagnachmittag im Oktober 2021 bei regem Verkehrsaufkommen zu schnell durch die Zürcher Innenstadt gefahren, «um vor anderen Personen zu prahlen».
Der Beschuldigte war gegen 17 Uhr mit einem 626 PS starken, geleasten BMW M5 in einem Hochzeitskonvoi im Zürcher Kreis 2 unterwegs. Im Auto sassen auch seine Freundin sowie ein Kollege und dessen Freundin. Zunächst überholte er auf der Breitingerstrasse einen vor ihm fahrenden Mercedes AMG GLC 43 abrupt und reihte sich wieder im Konvoi ein. Dann zog er links auf der Velospur, ohne zu blinken, in die Alfred-Escher-Strasse und schnitt die Kurve. Zu einem nun vor ihm fahrenden BMW 840 hielt er lediglich einen Abstand von 2 Metern ein.
Dann fuhr er mit 90 km/h links an einer Verkehrsinsel vorbei und erfasste beinahe einen entgegenkommenden Velofahrer. Auf der Gegenfahrbahn gab er anschliessend Vollgas, beschleunigte bis mindestens 108 km/h und kollidierte dann heftig mit dem Heck eines Mercedes C350. Am Unfallort gilt Tempo 50. Der Aufprall war so heftig, dass es am Mercedes die Hinterachse abriss. Die Mercedes-Lenkerin erlitt unter anderem ein Schleudertrauma und eine posttraumatische Belastungsstörung mit Angstzuständen.
Der schleudernde BMW prallte weiter heftig gegen einen parkierten Land Rover und einen parkierten VW. Der Land-Rover-Lenker erlitt Prellungen am Brustbein, Oberschenkel und Knie. Der BMW kam total zerstört zum Stillstand. Die beiden Mitfahrerinnen, die hinten sassen, wurden ebenfalls verletzt. Die eine junge Frau verliess den Hochzeitskonvoi in Richtung Spital mit einem Unterkieferbruch und beschädigten Zähnen, die andere mit einem Schädel-Hirn-Trauma.
Der unverletzt gebliebene Unfallfahrer wurde damals festgenommen und sass einen Tag in Haft.
Mit Kokain vor dem Kaufleuten erwischt
In der Anklage ist noch ein weiterer Vorfall beschrieben: Im Oktober 2023 wollte die Stadtpolizei Zürich den Beschuldigten um 3 Uhr 30 morgens nach einer Auseinandersetzung vor dem Klub Kaufleuten einer Personenkontrolle unterziehen. Er wurde von einem Polizisten am Arm zur Seite geführt. Der Beschuldigte riss sich aber los und rannte davon. Er wurde eingeholt, wehrte sich heftig und konnte erst mit dem Einsatz eines Pfeffersprays verhaftet werden. Er trug 3,3 Gramm Kokain auf sich.
In der Strafuntersuchung zeigte sich der 26-Jährige geständig. Der Staatsanwalt und die Verteidigerin schlossen einen Deal mit einem abgekürzten Verfahren ab. Der Beschuldigte bekannte sich der Straftatbestände mehrfache qualifizierte grobe Verletzung der Verkehrsregeln, mehrfache Körperverletzung, Hinderung einer Amtshandlung und mehrfache Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes schuldig.
Er ist damit einverstanden, 8 Monate im Gefängnis absitzen zu müssen. Der Strafantrag lautet insgesamt auf 32 Monate Freiheitsstrafe. 24 Monate werden bei einer verlängerten Probezeit von drei Jahren aufgeschoben. Zudem gibt es eine bedingte Geldstrafe von 5 Tagessätzen à 30 Franken und eine Busse von 500 Franken. Der Beschuldigte war bereits im Jahr 2018 wegen Verkehrsdelikten verurteilt worden.
Des Weiteren kommen Kosten von über 20 000 Franken auf ihn zu. Er ist damit einverstanden, der Mercedes-Lenkerin 3000 Franken Genugtuung und dem Land-Rover-Fahrer 1000 Franken Genugtuung zu bezahlen. Zudem hat er auch ihre Schadenersatzforderungen im Grundsatz anerkannt. Die Verfahrenskosten belaufen sich auf rund 14 700 Franken. Allein die Abschlepp- und Fahrzeuglagerkosten machen 5000 Franken aus. Hinzu kommen die Gerichtskosten. Der demolierte BMW M5 wird per Gerichtsbeschluss wieder an die BMW Group herausgegeben.
Schulden und distanziertes Umfeld
Er habe Schulden und den Totalschaden am Auto noch nicht abbezahlen können, erklärt der Beschuldigte, der früher als Sanitär angestellt war, bei der Befragung vor Gericht. Sein Lohn sei gepfändet worden. Nun sei er selbständig und dabei, seine eigene Firma aufzubauen. Das sei schwierig. Er lebe von der Unterstützung der Familie und wohne zu Hause bei den Eltern. Abgeben müsse er dort nichts.
Er wolle sein Unternehmen aufbauen, eine Familie gründen, sich finanziell absichern und auf eigenen Beinen stehen, sagt er, nach seinen Zukunftsplänen befragt. Als Handwerker sei er auf ein Auto angewiesen. Er sei sich aber auch im Klaren darüber, dass er zunächst acht Monate im Gefängnis absitzen müsse.
Unter dem Unfall leide er immer noch. Seine Familie habe sich zwar damit abgefunden, sein Umfeld aber zum Teil nicht. Die damals verletzte Kollegin verhalte sich immer noch distanziert zu ihm, wenn er sie treffe. «Ich sehe es ein, ich habe einen grossen Scheiss gemacht», meint er. Er fühle sich gegenüber den Mitmenschen, die damals dabei waren, «recht schuldig».
Ob die Vorstrafe wegen Verkehrsdelikten keine Lehre für ihn gewesen sei, will der vorsitzende Richter wissen. Auch dies erklärt der Beschuldigte mit Dummheit. Damals sei er halt noch jünger gewesen, gibt er unter anderem zur Antwort.
Das Gericht heisst den Vorschlag gut und erhebt ihn zum Urteil. Durch die rücksichtslose Fahrweise des Beschuldigten sei es kein Wunder, dass mehrere Leute verletzt worden seien, hält der Richter fest. Es sei reines Glück und Zufall gewesen, dass nicht noch Schlimmeres passiert sei. Es gebe überhaupt keine Gründe, so zu fahren.
Zum Abschluss äussert der Richter seine Hoffnung, dass der Verurteilte «mit dem Alter nicht noch dümmer, sondern gescheiter» werde.
Urteil DH240077 vom 10. 9. 2024, abgekürztes Verfahren.