Haben die Sozialdemokraten ein Antisemitismus-Problem? Mehrere Fälle aus der jüngsten Vergangenheit werfen Fragen auf.
Anfang September nimmt in der Roten Fabrik ein propalästinensischer Redner an einer Podiumsdiskussion teil. Dabei geht es laut den Veranstaltern um «die Geschichte der immensen Gewalt des zionistischen Siedlerkolonialismus Israels». Am selben Wochenende werden auf dem Gelände der Roten Fabrik T-Shirts gedruckt, auf denen zu lesen ist: «There Is Only One Solution – Intifada Revolution».
Rasch werden Antisemitismusvorwürfe laut, und weil die Rote Fabrik von der Stadt Zürich üppig subventioniert wird, diskutiert nun die städtische Politik darüber.
Vergangene Woche reichten FDP, SVP, Mitte/EVP und Grüne einen Vorstoss im Stadtparlament ein, in dem sie Massnahmen gegen «antisemitische und gewaltverherrlichende Veranstaltungen» fordern. Bei den Unterzeichnenden fehlte ausgerechnet die SP, die grösste Partei der Stadt und mit Stadtpräsidentin Corine Mauch verantwortlich für die Zürcher Kulturpolitik.
Stattdessen reichte die SP diese Woche zusammen mit der AL und den Grünen einen eigenen Vorstoss ein. Dem Postulat der FDP und ihrer Verbündeter ist dieser täuschend ähnlich. Im Unterschied zum FDP-Postulat wird der Vorfall in der Roten Fabrik allerdings nicht konkret erwähnt. Neben Antisemitismus verwahrt man sich auch gegen rassistische, sexistische, trans- oder homophobe Äusserungen.
In einer früheren Fassung des Postulats, die der NZZ vorliegt, wurden lediglich Massnahmen gegen «diskriminierende» Inhalte gefordert. Die Begriffe «antisemitisch» und «gewaltverherrlichend» wurden erst später hinzugefügt.
Das Hin und Her zeigt, dass sich die SP schwertut mit der Benennung von Antisemitismus. Gegenüber der NZZ äussern sich SP-Vertreter ausserdem telefonisch erst ausführlich zum Thema, nur, um Zitate schliesslich wieder zurückzuziehen und sich stattdessen knapp schriftlich zu äussern.
Die SP-Gemeinderätin Liv Mahrer betont, dass es der Partei um Kulturfreiheit gehe. «Wir sind der Auffassung, dass die Meinungsfreiheit rechtlich stark geschützt ist und deshalb ein Eingriff in die Programmfreiheit nicht angezeigt ist», lässt sich Mahrer zitieren, die das Postulat mit eingereicht hat. Die SP schreibt darin denn auch lediglich von «städtischen Betrieben» und nicht, wie das Vorgängerpostulat, von «städtischen Kulturbetrieben».
Spielman: «Verstehe nicht, was so schwierig ist»
Der FDP-Gemeinderat Jehuda Spielman kritisiert das Vorgehen der SP. Für ihn ist der Fall symptomatisch: «Wir haben ein systematisches und aktuelles Problem im Kulturbereich, in anderen Bereichen der Stadt nicht», sagt er. «Wenn ein antisemitisches oder gewaltverherrlichendes Plakat im Tram hängen würde, würden wir das auch kritisieren.»
Dass im Postulat Antisemitismus zusammen mit anderen Formen der Diskriminierung erwähnt wird, kritisiert Spielman ebenfalls. «Ich befürchte, dass das ein Versuch ist, einfach alles in einen Topf zu werfen, obwohl bei den anderen Formen der Diskriminierung im Moment keine Fälle vorliegen.» Dabei hätten subventionierte Zürcher Kulturbetriebe momentan ein Problem mit Antisemitismus und Gewaltverherrlichung, nicht etwa mit Rassismus, Sexismus, Trans- oder Homophobie. «Ich verstehe nicht, was so schwierig daran ist, Antisemitismus beim Namen zu nennen», sagt Spielman. Neben der Roten Fabrik geriet kürzlich auch die Zentralwäscherei in die Kritik wegen des Auftritts eines umstrittenen palästinensischen Redners.
Alt-Kantonsrätin schreibt zweifelhafte Blogbeiträge
Es ist nicht das erste Mal, das sich die SP Zürich solchen Vorwürfen ausgesetzt sieht. Erst letzte Woche fiel eine Zürcher Alt-Kantonsrätin der SP mit zweifelhaften Blogbeiträgen zum Krieg in Gaza auf, wie «20 Minuten» berichtete. In den Beiträgen äussert sich die ehemalige Politikerin zum Hamas-Massaker vom 7. Oktober. Für sie ist der Terrorangriff «eine Kampfhandlung unter anderen. Verabscheuungswürdig, aber letztlich verständlich», schreibt sie. «Es ist eine mächtige Kampagne daran, Kritik an Israel zu unterdrücken.» Und weiter: «Die Bestien sehen wir jetzt, in den israelischen Geheimdienstlabors.»
Inzwischen hat die Alt-Kantonsrätin ihren Blog geschlossen. Sie stehe aber weiterhin hinter allen Aussagen, schreibt sie auf Anfrage der NZZ. «Aber natürlich sind meine Formulierungen zum Teil angreifbar.»
Die SP Zürich distanziert sich gegenüber der NZZ von den Texten der Alt-Kantonsrätin. «Es waren Sätze im Beitrag zu finden, die zu Recht kritisiert wurden», schreibt der Co-Präsident der Kantonalpartei, Jean-Daniel Strub. Die SP suchte das Gespräch mit der Alt-Kantonsrätin. Dass ein Beitrag mittlerweile gelöscht worden sei, begrüsse die SP.
Einhaus kritisiert die SP-Position zu Israel
Hannah Einhaus hingegen, ehemalige Frauensekretärin der SP der Stadt Bern, kritisiert die SP wegen ihrer Position zu Israel scharf. «Seit dem 7. Oktober ist die Position der SP zu Israel einfach nicht mehr tragbar», findet Einhaus. Sie trat am Tag des Frauenstreiks im Juni deshalb medienwirksam aus der SP aus. Diesen Schritt begründet sie in einem offenen Brief an die Partei. Dort schreibt sie: «Statt Judenhass zu bekämpfen, hilft diese Partei mit, über Israel-Bashing und verkappte Hamas-Unterstützung die postmoderne Form des Judenhasses zu schüren.»
Die Blogbeiträge der SP-Alt-Kantonsrätin nennt Einhaus «komplett antisemitisch». «Da gibt es verschiedene Formulierungen, die davon zeugen, dass in ihrem Denken Israel einfach böse ist», sagt Einhaus. Diese Art des Antisemitismus hält sie in der SP für verbreitet.
Gegenüber der NZZ greift Einhaus auch die SP Zürich an. Letzten Sommer reichten SP-Gemeinderäte einen Vorstoss ein, der eine Zahlung an das Palästinenserhilfswerk UNRWA forderte. «Das ist verkappte Hamas-Unterstützung», sagt Einhaus. «Die SP sollte dagegen entschieden Stellung beziehen.»
Die SP Zürich wehrt sich vehement gegen den Vorwurf, zu wenig gegen Antisemitismus zu tun. «Antisemitismus ist ein gesellschaftliches Problem, gegen das wir uns mit vollem Engagement einsetzen», schreibt der Co-Präsident Jean-Daniel Strub auf Anfrage. «Die SP verurteilt alle Formen von Gewalt gegen Zivilisten aufs Schärfste und verlangt von allen Konfliktparteien, das Völkerrecht einzuhalten.» Die Frage der NZZ, wie die SP Antisemitismus genau definiere, beantwortet die Parteileitung nicht.