Montag, September 30

Mehrere Personen haben sich seit Jahren über einen Wissenschafter beschwert. Passiert ist lange nichts. Doch jetzt reagiert die Hochschule.

An der ETH Zürich gibt es offenbar erneut einen Fall eines Professors, der sich unangemessen gegenüber Mitarbeitenden und Studierenden verhalten haben soll. Die Tamedia-Zeitungen schrieben am Freitag von acht Personen, die sich deswegen über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren an die Meldestelle der Hochschule gewandt hätten. Dies zum Teil mehrmals. Doch ohne Erfolg.

Bei den Vorwürfen gegen den Forscher gehe es unter anderem um «Annäherungen, die für einen Vorgesetzten nicht adäquat seien», heisst es in dem Bericht. Details zum mutmasslichen Fehlverhalten des Professors beschreiben die beiden Journalisten nicht. Der Wissenschafter hat beim Bezirksgericht Zürich eine einstweilige Verfügung dagegen erwirkt. Er bestreitet die Vorwürfe und wirft den ihn beschuldigenden Personen vor, die Sachlage zu verdrehen und falsch darzustellen.

«Ich fühlte mich alleingelassen»

Der Artikel stellt der ETH trotzdem kein gutes Zeugnis aus. Laut dem Bericht wurden die Betroffenen von der Hochschule allesamt zurückgewiesen. Eine der Betroffenen schildert, was sie im Januar 2022 von einer Mitarbeiterin der internen Anlaufstelle gehört habe, als sie sich dort über den Professor beschwert hatte, folgendermassen: «(Sie) sagte zu mir, dass ich den Vorfall nicht melden solle, weil ich verlieren würde.» Das sei schlecht für ihren Ruf.

Die späteren Vorwürfe gegen den Wissenschafter, die der Meldestelle vorgetragen wurden, wurden ebenfalls nicht weiterverfolgt. Eine Frau beschreibt ihre Gefühlslage in dem Artikel so: «Ich fühlte mich komplett alleingelassen.» Wie die meisten Betroffenen in dem Fall arbeitet sie nicht mehr an der ETH. Sie habe das Vertrauen in Hochschulen verloren, schreibt sie den Tamedia-Zeitungen.

Die unschöne Geschichte erinnert an den Fall von Marcella Carollo. Auch damals dauerte es Jahre, bis die Hochschule trotz mehreren Beschwerden von Doktorandinnen und Doktoranden reagierte und eine Untersuchung einleitete, die schliesslich in der Entlassung der ETH-Forscherin mündete. Auch damals entstand der Eindruck, dass die Hochschule ihre Professoren so lange schützt, bis die Medien deren Fehlverhalten publik machen und die ETH kaum mehr anders kann, als endlich «entschlossen» durchzugreifen.

Ob dem im vorliegenden Fall tatsächlich so ist, ist schwer zu sagen. Gegenüber den Tamedia-Zeitungen zeigt sich die ETH «schockiert» über die Anschuldigungen. Man habe umgehend eine externe Untersuchung in Auftrag gegeben, «um sich ein Bild zu machen und alle Stellen anzuhören», teilte die Hochschule den beiden Journalisten mit.

Die Vizepräsidentin gelobt Besserung

Julia Dannath, die Vizepräsidentin für Personalentwicklung und Leadership der ETH, gibt sich in dem Bericht betont selbstkritisch. Sie sei bereits im Frühling 2023 über die Vorwürfe gegen den Professor informiert worden. Aus juristischer Sicht habe sie damals befunden, dass die Anschuldigungen nicht weiter zu untersuchen seien. Das sei ein Fehler gewesen, sagt Dannath. Die ETH wäre verpflichtet gewesen, den Meldungen auf den Grund zu gehen.

In einer Stellungnahme auf der Homepage der ETH stellt sich Dannath am Freitag auf den Standpunkt, dass die nun laufenden Abklärungen auch ohne öffentlichen Druck eingeleitet worden wären. Sie selber habe die Schilderungen der Betroffenen im vergangenen Juli entgegengenommen – also bevor Tamedia die ETH damit konfrontiert hatte. All das habe aber zu lange gedauert, sagt Dannath. «Das bedauere ich.»

Hier sieht die ETH Nachholbedarf. Auf der Website der Hochschule sagt die Vizepräsidentin: «Es zeigt sich, dass wir als Institution noch nicht so weit sind, wie wir sein wollen.» Gegenüber den Tamedia-Zeitungen betont sie: «Wir müssen eine Kultur hinbekommen, in der wir das Richtige tun.» Zu weiteren Fragen der NZZ wollte die ETH am Freitag mit Verweis auf die laufende Untersuchung keine Stellung nehmen.

Exit mobile version