Hans-Jürg aus Bern, Jadwiga aus Köln, Mohammed aus Berlin: Alle lieben die iranische Comedienne Negah Amiri. Wie macht sie das?
Im Publikum sitzen vorwiegend Frauen, aber auch ein paar Männer. Negah Amiri, 30 Jahre alt, trägt eng anliegende Leggins, eine Jeansjacke mit Glitzersteinchen über einem bauchfreien Top und kein Kopftuch. In Iran, ihrer Heimat, könnte sich die Comedienne nicht auf der Bühne zeigen, wie sie es im Juni im Zürcher Kaufleuten tut.
Seit der islamischen Revolution 1979 ist es Iranerinnen verboten, in der Öffentlichkeit alleine vor Männern aufzutreten. Die damals eingeführte islamische Scharia verpflichtet Frauen, ihr Haar zu bedecken und lange, locker sitzende Kleidung zu tragen, die die Figur verhüllt.
Amiri ist auf den Bühnen des deutschsprachigen Raums unterwegs. Mit ihrem ersten Soloprogramm «Leben im Griff» bedient sie die im Stand-up bekannten Mann-Frau-Pointen. Sie erzählt von ihren Dating-Erlebnissen mit deutschen Männern, vom Leben in den Dreissigern, aber auch von ihren Erfahrungen als nunmehr freie Iranerin in einem neuen Zuhause.
Einer ihrer Witze geht so: «Meine Mutter wurde immer wieder gefragt, warum wir aus Iran nach Deutschland geflohen sind: ‹Seid ihr Wirtschaftsflüchtlinge oder politische Flüchtlinge, seid ihr aus Angst hier oder aus Hunger?› Meine Mutter war so genervt von diesen Fragen, sie sagte: ‹Wissen Sie, wir fanden, dass uns Kopftücher überhaupt nicht gut stehen. Wir sind Fashion-Flüchtlinge.›» Amiri tritt an diesem Mittwochabend zum ersten Mal in der Schweiz auf. Die Zuschauer applaudieren anfangs zögerlich.
Inklusiver Humor
Amiri, die akzentfrei Deutsch spricht, zählt zu einer neuen Generation von migrantischen Comedians. Sie schöpft aus ihrer Einwanderungsgeschichte und der alltäglichen Diskriminierung, die sie erlebt. Die Hürden bei den Behörden, die Missverständnisse zwischen verschiedenen Kulturen, die Klischees, Vorurteile, Ängste bieten auch ihr Stoff für Witze. Aber sie erzählt davon in charmanter Selbstironie, ohne Ressentiments, ohne Zynismus. Leichte Comedy verschwimmt mit Gesellschaftskritik.
Nach der Jahrtausendwende gelang Kaya Yanar der massenmediale Durchbruch mit Szenen zu türkischstämmigen Fahrlehrern oder Türstehern. Seine indische Figur Ranjid lebt mit einer Kuh, hat einen komischen Akzent und eine dunklere Hautfarbe, die sich Yanar aufschminkte. Die Witze zielten auf rassistische deutsche Spiesser. Und lange war die migrantische Comedy eine ziemlich männliche Angelegenheit.
Amiri macht sich über deutsche Boomer lustig, ebenso über das englischsprechende Personal in Berliner Hotels. Sie witzelt über breitschultrige Männer mit tiefergelegten Autos und schwärmt von den deutschen Männern, die funktionale Rucksäcke mit Brustgurt für die Stabilität tragen. «Ich bin keine Klimakleberin, ich bin eine Jens-Kleberin», sagt Amiri auf der Bühne. Sie wolle sich an diesen deutschen Männern, die rezyklierten, Jack-Wolfskin-Jacken trügen und mit Stirnlampe joggten, festhalten. Diese Typen hätten ihr Leben im Griff.
Das zu Beginn zurückhaltende Publikum lockt sie rasch aus der Reserve, denn sie interagiert konstant mit den Zuschauern. Sie fragt Jadwiga aus Köln, woher sie «ursprünglich» komme, und fügt sich selbst entlarvend hinzu: «Jetzt komme ich mir ganz rassistisch vor.» Sie ermutigt die «Ladys», selbstbewusst zu sein, und lacht über die alleinstehenden Frauen, für die es einen persischen Begriff gebe, übersetzt heisst er: «verschwimmelt». Für Dea, die aus Albanien stammt und seit einem Jahr Single ist, sucht Amiri sogleich ein Date im Raum. Anbieten würde sich Sergio mit italienischen Wurzeln. Aber vielleicht auch Hans-Jürg aus Bern. Im Saal ist der kulturelle Grenzgang eine Selbstverständlichkeit.
Amiris Humor trifft jede und jeden. «Solche Abende haben eine verbindende Wirkung, auch weil mein Publikum generationsübergreifend ist», sagt Amiri im Gespräch. Es zeige, dass wir alle gemeinsam in einem Raum sitzen und Spass haben könnten. Das sei einer der Gründe, warum sie überhaupt auf der Bühne stehe.
Studieren ist erlaubt, Motorradfahren nicht
Negah Amiri wächst in Sari auf, einer kleinen Stadt am Kaspischen Meer. Ihre Familie ist gut situiert, der Grossvater verdiente viel Geld mit dem Bau von Hochhäusern. Sie besucht eine private Mädchenschule, eine Errungenschaft der islamischen Revolution. Denn die politisch-religiösen Führer erkannten, dass sie die iranischen Frauen für sich gewinnen müssen, um ihre Vorstellung einer islamischen Gesellschaft umzusetzen. «Für mich war das ein Ort der Freiheit, weil er uns Bildung und damit Zugang zur Aussenwelt verschafft hat», sagt Amiri. Sie träumt davon, Künstlerin zu werden.
So frei und fortschrittlich das auch klingt, jeden Morgen müssen sich die Mädchen in eine Reihe stellen und die Hymne des iranischen Regimes singen. Um zu arbeiten, zu reisen, ein Bankkonto zu eröffnen oder zu erben, müssen sie sich Gesetzen unterwerfen, die Frauen benachteiligen, und die Zustimmung ihres männlichen Familienoberhauptes einholen. Amiri sagt, all diese Regeln seien für sie, die 1993 geboren sei, Normalität gewesen.
Die Mutter hingegen sehnte sich nach den Rechten, die sie vor der Revolution hatte. Für sie war der Alltag mit Angst verbunden. Sie habe häufig europäische oder amerikanische Songs gehört, sagt Amiri. Aber sie sei darauf bedacht gewesen, die Musik im Auto nicht zu laut einzustellen, denn die Sittenpolizei habe einen jederzeit anhalten können.
Als Negah Amiri elf Jahre alt ist, beschliesst die Mutter, dass ihre Tochter selbstbestimmt gross werden soll, dass sie selber entscheiden können soll, zu tragen, was sie tragen will, zu lieben, wen sie lieben will. Amiri sagt, sie könne sich gut an den Zeitpunkt erinnern. Die Mutter habe gesehen, wie sie das Tuch sofort vom Kopf gerissen habe, als sie nach der Schule nach Hause gekommen sei. Mit dem älteren Bruder folgen sie dem Vater, der schon zwei Jahre früher aus politischen Gründen nach Deutschland geflohen ist.
Rassistische Sprüche auf dem Schulhof
Amiri kennt Deutschland damals nur von den farbenfrohen Kinderserien auf Super RTL. Die Ankunft im neuen Land aber ist «ein Schock»: die Kälte, die Behördengänge, die Hauptschule, wo Knaben und Mädchen in derselben Klasse sind. Nach Aufenthalten in verschiedenen Flüchtlingsheimen wächst Amiri im hessischen Wiesbaden auf. Sie muss eine neue Sprache lernen, neue Freunde finden, muss verstehen, was Freiheit überhaupt bedeutet. «Ich musste meine Festplatte einmal komplett löschen», sagt Amiri.
An der Schule geht es rau zu und her. Mitschüler lachen sie wegen ihres Vornamens aus, singen das Lied «Neger, bums mich» des Rappers B-Tight. Sie habe nicht verstanden, habe mitgelacht, bis eine persische Freundin ihr den rassistischen Begriff erklärt habe. Heute verarbeitet sie das Schulhoferlebnis in ihrer Comedy-Show. «Ich habe Humor schon immer verwendet, um mich nicht unterbuttern zu lassen, um Anschluss zu finden. Auf der Bühne habe ich meinen Alltag zum Beruf gemacht.»
Angefangen hat Amiri als Radiomoderatorin. Bis ihr der Programmleiter kündigte, weil sie mit ihrem «Strassen-Slang» die deutschen Ortsnamen stets falsch aussprach. Der Erfolg kommt schliesslich mithilfe der sozialen Netzwerke. Amiri postete lustige Videos auf Youtube und nimmt ihre heute 255 000 Follower starke Fangemeinde auf Instagram überallhin mit. Mittlerweile moderiert sie eigene Fernsehsendungen. Im vergangenen Jahr wurde sie als beste Nachwuchskünstlerin mit dem deutschen Comedy-Preis ausgezeichnet.
In Deutschland habe man ihr gesagt, wie wichtig es sei, sich schnell anzupassen. Mittlerweile sei die deutsche Gesellschaft die Adoptivfamilie, in der sie sich wohlfühle. Reise sie in andere Länder, fehle ihr sofort die deutsche Ordnung.
Entwurzelung ist ein Dauerzustand
Auf ihren Kanälen, auf der Bühne, im Gespräch wirkt Negah Amiri unbekümmert, sie lacht viel. Aber nach den Shows habe sie sich oft leer und traurig gefühlt, schreibt sie in einem der persönlicheren Posts. Die übertriebene Heiterkeit sei auch eine Maske. Bis heute bemühe sie sich in diesem Land, «wo sich die Namen der Brötchen nach Ortschaft ändern», nichts falsch zu machen. «Wenn du jahrelang gewisse Muster gewohnt bist, bist du nicht plötzlich frei, die Unterdrückung bleibt in deinem Körper», sagt sie.
Die Flucht sei lange her, doch auch ihre Gegenwart, das Gefühl von Entwurzelung ein Dauerzustand, sagt Amiri. Sie vermisse die Blumen in Iran, den Geruch, das Essen, die Kultur. Doch sie verstehe heute, warum es notwendig gewesen sei, zu fliehen. Es sei ein Privileg, wovon viele andere Iranerinnen träumten. Sie bewundere den Mut der Frauen, die heute in Iran auf die Strasse gingen. «Ich weiss nicht, ob ich mich das trauen würde, wenn ich noch da leben würde.» Sie versucht, auf ihre Art auf die erstickende Atmosphäre in ihrer alten Heimat aufmerksam zu machen.