Interviewabbruch wegen politischer Fragen einer Regionalzeitung, ausgegrenzte Fotografen am Konzert in Luzern: Nemo sorgt in letzter Zeit mit Exklusion für Aufsehen. Ist das die Schuld des Managements?
Vor einem weltweiten Millionenpublikum aufzutreten, ist kein Problem, der Regionalzeitung seiner Heimatstadt Red und Antwort zu stehen, aber offenbar schon: Nemo hat letzte Woche nach seinem Konzert am Lakelive-Festival in Biel ein Interview mit der Lokalzeitung «Bieler Tagblatt» vorzeitig abgebrochen.
Das kann zwar vorkommen. Doch insbesondere die Vereinbarungen zwischen Management und Zeitung im Vorfeld lassen aufhorchen. Diese hat das «Bieler Tagblatt» zusammen mit dem ersten Teil des Interviews – und dem Einverständnis von Nemo sowie des Managements – abgedruckt.
Keine politischen Fragen gewünscht
Darin erwähnt die Journalistin, dass das Management dem «Bieler Tagblatt» anfangs lediglich fünf Minuten für das Interview gewähren wollte. Nach Rücksprache erhielt die Zeitung zehn Minuten mehr. Das Management habe zudem folgende Bedingung gestellt: «Das Thema des Interviews soll die Musik sein. Bitte vermeide jegliche politische Frage oder Fragen zu Nemos Privatleben.»
Das «Bieler Tagblatt» ging nicht auf die Bedingung ein und verwies auf das Presserecht, wonach Journalisten in ihrer Fragestellung frei sind. Das Management gab anschliessend das Einverständnis für politische Fragen. Der Interviewtermin wurde auf den 31. Juli angesetzt, im Anschluss an sein Konzert am Festival.
Nach wenigen Fragen kam die Journalistin auf den Eurovision Song Contest (ESC) zu sprechen, den Nemo im Mai gewonnen hatte. Sie sagte: «Es war ein politisch aufgeladener ESC.» Zeit, eine Frage zu stellen, hatte sie keine mehr, denn die Presseverantwortliche griff ein und bat, die Frage nicht zu stellen. Worauf die Journalistin sagte: «Nemo muss nicht auf die Fragen antworten. Ich will sie aber stellen.» Darauf folgt Nemos Kritik, sich bei diesem Interview nicht wohl zu fühlen, die Fragen fühlten sich wie ein Angriff an. Kurzum: Nemo hat keine Lust, das Interview weiterzuführen.
Dabei wollte das «Bieler Tagblatt» einige wichtige Fragen klären. Etwa zur israelischen Teilnehmerin Eden Golan, die am ESC vom Publikum ausgebuht wurde und zur Zielscheibe antiisraelischer Anfeindungen geworden war – anscheinend auch von ESC-Teilnehmern. Die Sängerin hatte in einem Interview zudem gesagt, sie habe Nemo zum Sieg gratulieren wollen, doch sei ignoriert worden. Weiter hat Nemo einen Brief mit anderen ESC-Teilnehmern unterzeichnet, der die «gegenwärtige Situation in den besetzten palästinensischen Gebieten (vor allem in Gaza) und in Israel» kritisiert.
Öffentliches Interesse
Doch diese Themen konnte die Journalistin gar nicht erst aufbringen. Es stellt sich die Frage, was sich öffentliche Personen gefallen lassen müssen und was nicht. Nemo stellte sich bereits in der Vergangenheit mehrmals auf den Standpunkt, keine Politik betreiben zu wollen. Doch wer Nonbinarität zum Thema macht, beim ESC mit der nonbinären Flagge auftritt, einen Termin mit Bundesrat Beat Jans vereinbart, um über die Einführung eines dritten Geschlechts zu diskutieren, und die Organisation We Exist bei der Kampagne für den dritten Geschlechtseintrag unterstützt, muss damit rechnen, darauf angesprochen zu werden. Mit dem musikalischen Schaffen hat das ja nicht mehr viel zu tun.
FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen schrieb auf der Social-Media-Plattform X: «Wer grossspurig einen Bundesrat trifft, um zu politisieren, sollte Antworten auf kritische Fragen geben können.» Dennis Bühler, Dozent für Medienethik am Institut für Journalismus und Kommunikation MAZ sowie Mitglied des Schweizer Presserats, sagt, Nemo hätte auch einfach die Antwort zu einzelnen Fragen verweigern können, statt das ganze Interview abzubrechen – der Rummel danach wäre bestimmt kleiner gewesen. «Das journalistische Format Interview wird von vielen Menschen häufig missverstanden. Die Hoheit über die Fragen liegt beim Medium. Eine Person, die in der Öffentlichkeit steht, muss sich auch provokative Fragen stellen lassen.»
Anders sieht dies der PR-Berater Mark Balsiger in einem Beitrag auf dem Medienportal persönlich.com: Seiner Ansicht nach sollten Medien junge Stars wie Nemo behutsam anfassen, es würden andere Regeln gelten als etwa für eine Berufspolitikerin wie Karin Keller-Sutter.
Management verbietet professionelle Fotos
Nemo erwähnt in seiner letzten Antwort im «Bieler Tagblatt», dass er andere Interviews gehabt habe mit Medien aus der Schweiz, die «mega schön» gewesen seien. Doch reine Wohlfühlinterviews zu führen, gehört nicht zur Aufgabe der Medien – unabhängig von Alter, Geschlecht oder politischer Ansicht der interviewten Person. Der Gesprächsabbruch mit der Zeitung seiner Heimatstadt zeugt von Nemos fragwürdigem Verständnis von Medien. Oder der Rolle seines Managements. Dieses fällt nicht zum ersten Mal negativ auf. Nur eine Woche zuvor sorgte es in Luzern für Unmut.
Am 23. Juli trat Nemo am Festival Luzern Live auf. Das Konzert war bereits vor dem ESC vereinbart worden. Doch obwohl der Auftritt von Nemo das Highlight war, verbat das Management kurzfristig alle professionellen Fotos und Videos. Weniger als zwei Stunden vor dem Konzert wurden die bereits akkreditierten Fotografen wieder ausgeladen. Die Veranstalter entschuldigten sich bei den Medienschaffenden per Mail, auch sie traf diese Massnahme unerwartet.
Boris Bürgisser, Foto-Chef der «Luzerner Zeitung», sagt in einem Artikel seiner Zeitung: «Dass das Management einer Künstlerin oder eines Künstlers noch eigene Bedingungen hat, was das Fotografieren angeht, ist eigentlich normal. Aber dass gar keine Fotos erlaubt sind – nicht einmal vom Festival selbst –, ist dann schon sehr aussergewöhnlich.» Dies sei umso unverständlicher, als gleichzeitig Hunderte Zuschauer mit dem Smartphone Fotos und Videos gemacht hätten.
Gemäss der offiziellen Begründung des Managements hat das Verbot damit zu tun, dass die Bühnenshow seit dem ESC-Sieg «weiterentwickelt und verfeinert» wurde. Diese Show konnte auf der kleineren Bühne nicht gezeigt werden. Hatten sie etwa Angst davor, dass Nemo in diesem weit weniger prunkvollen Setting schlechter herüberkommen würde? Gut gemachte Nahaufnahmen hätten diese Zweifel wohl aus dem Weg räumen können. Die Amateuraufnahmen liefern aber tatsächlich ein eher trauriges Bild.
Gerne hätte man Nemos Management oder die Presseverantwortliche zu diesen neuen Formen der Exklusion befragt. Doch bis Redaktionsschluss reagierten sie nicht.