Der Schuhhersteller reagiert mit dem Chefwechsel auf enttäuschende Verkaufszahlen und ebenso trübe Aussichten. Nike hatte übermässig viele Jordan-Schuhe in den Markt gedrückt und damit die wichtige Marke beschädigt. Die Rückkehr an die Spitze wird beschwerlich.
Nike will zurück an die Spitze und setzt dafür auf altbewährte Kräfte. Der Schuhhersteller entlässt seinen glücklosen CEO John Donahoe nach fast fünf Jahren. Nachfolger wird ein Nike-Urgestein im Vorruhestand: Elliott Hill. Er übernimmt, wie der Konzern am Donnerstagabend nach Börsenschluss mitteilte, per 14. Oktober sowohl den Chefposten als auch das Präsidium von Nike. Diese Doppelrolle ist bei amerikanischen Unternehmen üblich. Den Aktionären gefällt der Schritt; die Titel des Sportartikelherstellers legten am Freitag um mehr als 6 Prozent zu.
Hill war 32 Jahre beim Schuhfabrikanten aus Oregon angestellt und hat sich dabei vom Praktikanten bis in die Geschäftsleitung hochgearbeitet. Er war zuständig für Verkauf und Marketing, als er 2020 seinen Rücktritt erklärte. Unter anderem verantwortete Hill, recht erfolgreich, die Marke Jordan, die aus der langjährigen Zusammenarbeit mit dem Basketballstar Michael Jordan hervorging.
Nach seinem Rückzug bei Nike hatte der mittlerweile 60-jährige Hill eine Reihe von Verwaltungsratsmandaten übernommen, aber keinen Vollzeitposten mehr. Seine Arbeitstage werden zweifellos länger werden.
Der Jordan 1 ist ausgelatscht
Hill muss dabei die Probleme aufräumen, die ihm der 64-jährige John Donahoe hinterlässt. Dieser galt einst selbst als bewährte Führungskraft, als ihn Nike Anfang 2020 zum CEO berief (und dabei Hill zunächst überging). Donahoe hatte zu diesem Zeitpunkt schon viel Erfahrung als Chef von Grossunternehmen vorzuweisen, hatte er doch den Digitalkonzern Ebay und das Beratungsunternehmen Bain & Company geführt.
Jetzt sind Donahoe aber die hartnäckig schlechten Resultate zum Verhängnis geworden. Ende Juni vermeldete Nike rückläufige Verkaufszahlen und schraubte zugleich seine Ziele nach unten. Ein Gewinnplus brachte der Konzern bloss dank einem grossen Sparprogramm zustande. Die enttäuschten Anleger vermissten jedoch einen Plan, wie Nike wieder wachsen könnte. An jenem Tag verlor die Aktie des Schuhherstellers rund 20 Prozent an Wert.
Der Konzern, der dank seiner Zusammenarbeit mit Sportikonen wie Michael Jordan und dank innovativen Laufschuhen zum führenden Hersteller für Sportbekleidung und -schuhe wurde, hat seine Anziehungskraft verloren. Viele Jugendliche decken sich anderswo mit Sneakers ein.
Unter Donahoe setzte Nike zu sehr auf den Verkauf seiner Retro-Marken, etwa des Jordan 1 und des Air Force 1. Das kurbelte zunächst die Verkaufszahlen an, aber auf eine wenig nachhaltige Art. Inzwischen ist der Markt übersättigt. Wer die Kult-Treter hat, wird so rasch keine neuen mehr kaufen.
Am 1. Oktober wird Nike den nächsten Quartalsbericht abliefern. Die Entlassung Donahoes deutet nicht darauf hin, dass Nike in den Sommermonaten der Befreiungsschlag gelang.
Die Rückkehrer
Nike ist nicht das erste erfolglose Grossunternehmen, das in seiner Verzweiflung einen früheren Spitzenmann zurück an Bord holt. Diese Rückkehrer werden manchmal als «Boomerang-Chefs» kritisiert. Die Kritik richtet sich dabei weniger an die Chefs als an das Board of Directors – das Pendant zum Verwaltungsrat in der Schweiz –, das den Posten besetzen muss. Es sei ein Zeichen von Ideen- und Mutlosigkeit, bei Misserfolg einfach einen alten Chef zurückzuholen und zu hoffen, dass sich damit alles wieder zum Besseren wende.
Die Boomerang-Chefs bringen aber auch Vorteile mit sich. Sie kennen das Unternehmen sehr gut und brauchen keine lange Einarbeitungszeit. Da sie oft während Krisen eingesetzt werden, die schnelles Handeln erfordern, ist das wertvoll. Als Sergio Ermotti 2023 etwa als CEO zur UBS zurückkehrte, wurde dies von aussen grösstenteils als sehr sinnvoller Schritt taxiert. Die UBS stand damals kurz davor, die vor dem Untergang stehende Konkurrentin Credit Suisse zu übernehmen, und wollte keine Personalexperimente an der Spitze.
Die meisten Rückkehrer verbrachten lange und oft erfolgreiche Jahre an der Spitze der Firma und haben noch funktionierende Netzwerke zu Partnern, Zulieferern, Kunden und Mitarbeitern. Auch deswegen sind sie oft hervorragende Feuerwehrleute.
Manchmal ist es ihr Abgang selbst, der die Krise überhaupt auslöst. So war es im vergangenen Jahr etwa bei Open AI: Wegen eines internen Streits hatte die führende KI-Firma ihren Chef und Mitgründer Sam Altman auf die Strasse gestellt – nur um ihn fünf Tage später ins Unternehmen zurückzuholen. Wichtige Partner, Investoren und Mitarbeiter hatten rebelliert und wollten Altman zurück.
Erfolg bei Apple und Disney
Manche Rückkehrer können den Konzern in ihrem zweiten Frühling noch einmal ganz neu prägen. Der wohl erfolgreichste Boomerang-CEO war Steve Jobs. Er legte erst nach seiner Rückkehr zu Apple die Basis, dank welcher der Technologiekonzern später zum wertvollsten Unternehmen aufstieg. Jobs hatte Apple 1985 im Streit mit dem damaligen CEO und dem Board verlassen und kehrte erst 1997 zurück.
Nur zwei Jahre hat der Medienkonzern Disney auf seinen langjährigen Chef Bob Iger verzichtet. Der mittlerweile 73-jährige Iger löste im Herbst 2022 Bob Chapek als Disney-Chef ab, den er zuvor selbst noch als Nachfolger aufgebaut hatte.
Doch Chapek verscherzte es sich mit einer Reihe unterschiedlicher Partner. So verärgerte Chapek die kreativen Köpfe bei Disney, als er dem Konzern eine neue Struktur verpasste, die den Kreativen weniger Freiheiten einräumte.
Chapek wollte damit die eigene Streamingplattform Disney+ stärken, doch der Schuss ging nach hinten los. Disney lieferte sich einen Rechtsstreit mit Scarlett Johansson, weil der Film «Black Widow» auch über Disney+ vertrieben wurde und die Hauptdarstellerin Johansson damit weniger Geld mit Einnahmen aus Kinotickets verdiente.
Zurück zur bewährten Strategie
Bob Iger, der sich zwischen Hollywoodstars und Filmdirektoren schon immer wohlfühlte, schaffte die neue Struktur nach seiner Rückkehr im Handumdrehen wieder ab. Das zeigt: Manchmal ist die Rückkehr zum alten CEO auch mit der Erkenntnis im Verwaltungsrat verbunden, dass das Unternehmen gar keine neue Strategie gebraucht hätte.
Ein bisschen gilt das auch für Nike. John Donahoe wollte Schuhe und Modeartikel vermehrt über Nikes eigenen Online-Shop verkaufen, anstatt sich in Schuhwarenläden wie Foot Locker mit der Konkurrenz um den besten Platz im Schaufenster zu streiten.
Während Corona schien diese Strategie zunächst Sinn zu ergeben, als die Kunden ohnehin zu Hause vor dem Computer sassen. Nike und Donahoe haben aber unterschätzt, dass die Kunden nach der Pandemie in die Läden zurückströmen würden. Zudem hat sich der Schuhfabrikant zu stark auf seine beliebten Marken verlassen und zu wenig in Innovationen investiert, die Nike einst im Laufsport überhaupt erst gross gemacht hatten.
Die Folge: Die Konkurrenz rennt an Nike vorbei, der Gigant hat Marktanteile an Adidas, New Balance, Hoka oder On verloren. Im jüngsten Quartal musste Nike abermals einräumen, dass die Verkäufe über die eigenen digitalen Kanäle deutlich rückläufig waren.
Analysten preisen die Wahl von Elliott Hill, weil er das Unternehmen und dessen Stärken und Schwächen sehr gut kenne. Es wird aber auch davor gewarnt, dass es mehrere Quartale dauern könne, bis Nike zurück in die Spur finde. Den Überschuss an Jordan-Schuhen im Markt bringt der Konzern nicht sofort weg, auch die Entwicklung innovativer Laufschuhe braucht ihre Zeit. Ganz so rasch darf Elliott Hill wohl nicht zurück in seinen Ruhestand.