Am Nationalfeiertag wird wieder geböllert in der Schweiz. Dem Gehör setzt aber nicht nur knallender Lärm zu, sondern auch Musik, wie sie an Partys und Konzerten herrscht – sowie Alkohol.
Auch an diesem 1. August wird das Geböller weit vor Mitternacht beginnen. Vielen Menschen ist es zu laut, aber wer sich nicht zu Hause einschliessen will, ist dem Krach ausgesetzt. «Die einfachste Möglichkeit, das Gehör zu schützen, ist, den Abstand zur Schallquelle zu verringern. Eine Verdopplung des Abstandes bewirkt eine Viertelung des Schalldruckpegels», erklärt Annette Limberger, Professorin für Hörakustik an der Hochschule Aalen und Fachärztin für Phoniatrie an den SLK-Kliniken Heilbronn.
In der Schweiz darf Feuerwerk im Abstand von acht Metern höchstens 120 Dezibel laut sein. «Dieser Schalldruckpegel ist normalerweise nicht schädlich, da er sehr kurz anhält», sagt Annette Limberger. «Viele Menschen empfinden 120 Dezibel aber als unangenehm laut – dann sollte man die Ohren schützen.» Die Hand über die Ohrmuschel zu legen, hilft bereits, den Geräuschpegel zu dämpfen. Watte oder ein zusammengeknülltes Papiertaschentuch senken die Lautstärke um 10 bis 12 Dezibel, Gehörschutzstöpsel aus dem Supermarkt verringern sie um 15 bis 20 Dezibel.
«Solche Schutzmassnahmen sollten gegen den Lärm aus legalem Feuerwerk ausreichen», sagt Limberger. Sie rät trotzdem zur Vorsicht, da auch illegal gekaufte Böller in den Umlauf kämen, die eher nicht den Bestimmungen entsprächen. «Auf keinen Fall nah herangehen», sagt die Ärztin. «Steht man statt acht Meter nur zwei Meter entfernt, erhöht sich der Schalldruckpegel auf das Zehnfache.»
Den Mund weit aufzumachen – ein alter Tipp aus dem Chemieunterricht vor der Knallgasprobe –, hilft nur bedingt gegen zu hohe Lautstärke. «Wenn man den Mund öffnet, kann die Druckwelle etwas ausgeglichen werden», erklärt Limberger. «So kann man Risse des Trommelfells bei sehr hohen Schalldruckpegeln – also über 130 Dezibel – verhindern.» Diese können auch auftreten, wenn man zu nah an einer startenden Silvesterrakete oder einem explodierenden Böller steht.
Schäden sind irreparabel
Am Trommelfell findet sowieso nur der erste Teil der Lautverarbeitung statt. Der Schall lässt dieses schwingen – und über die Gehörknöchelchen wird die Bewegung auf das Innenohr übertragen. Es ist gefüllt mit einer Flüssigkeit, der sogenannten Endolymphe. Diese schlägt als Reaktion quasi Wellen und bewegt dadurch feine Härchen, die sich auf der Oberfläche der Haarzellen befinden.
Von diesen gibt es zwei Typen. Je drei Lagen äusserer Haarzellen befinden sich über einer Lage innerer Haarzellen. «Die äusseren Haarzellen verstärken leise Geräusche und dämpfen laute», erklärt Annette Limberger. Die inneren Haarzellen dagegen sind die eigentlichen Hörzellen, die die Impulse direkt an das Gehirn weiterleiten. Sie sind in der Hörschnecke so angeordnet, dass die hohen Frequenzen an der Schneckenbasis und die tiefen Frequenzen an der Schneckenspitze wahrgenommen werden.
Über die Zellen am Anfang, jene für hohe Frequenzen, rauschen alle Schallwellen hinweg. Sie verschleissen deshalb zuerst. «Die Gefahr für das Ohr ist also frequenzunabhängig», sagt Limberger. «Tiefe Geräusche, etwa durch Böller, mit hohem Pegel sind genauso schädlich wie hochfrequente Geräusche.»
Neuere Studien weisen darauf hin, dass hohe Lautstärken irreparablen Schaden anrichten. «Das Gehirn kann den Hörverlust lange kompensieren», sagt Mark Praetorius, Professor für Otologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. «Aber die Härchen der Haarzellen werden zerstört , und im Alter äussert sich das dann als Schwerhörigkeit.»
Je länger die Lärmbelastung, desto schädlicher. Deshalb kann die Silvesterparty mit entsprechend lauter Musik eine noch grössere Belastung darstellen als das Feuerwerk. «Jeder Lärm, bei dem ich mich kaum noch unterhalten kann, ist schädlich für das Ohr», sagt Annette Limberger. «100 Dezibel auf der Party für 15 Minuten sind genauso schädlich wie 40 Stunden Lärmarbeit bei 85 Dezibel.»
Schon simple Hilfsmittel nützen
Am Arbeitsplatz ist streng geregelt, welchem Lärm ein Mensch ausgesetzt sein darf. «Für die Freizeit gibt es das nicht», sagt Mark Praetorius. Für Verwirrung sorgt bei Laien dabei oft, dass der Lärm auf einer logarithmischen Skala angegeben wird. «Ab 85 Dezibel ist am Arbeitsplatz ein Gehörschutz vorgeschrieben – aber schon 3 Dezibel mehr bedeuten eine doppelt so hohe Lärmbelastung», erklärt Annette Limberger. «In Diskotheken oder bei Rockkonzerten haben wir locker über 100 Dezibel, das bedeutet eine mehr als fünffach höhere Lärmbelastung, als sie bei der Arbeit ohne Gehörschutz erlaubt ist.»
Auch auf der Party schützen schon simple Hilfsmittel. «Einfache Ohrenstöpsel mindern bereits gefährliche Schallpegel», sagt Praetorius. «Wer aber lauter Musik als regelmässigem Hobby frönt, sollte über die Anschaffung von individuell angepasstem Gehörschutz vom Hörakustiker nachdenken.»
Sogar Alkohol kann einen negativen Einfluss auf das Gehör haben. Eine Studie mit fast 4000 Teilnehmern, bei denen sowohl das Gehör getestet als auch die Trinkgewohnheiten erfragt wurden, zeigte: Ein riskantes Trinkverhalten ergab im Vergleich mit einem moderaten Trinkverhalten eine zweieinhalbfach erhöhte Wahrscheinlichkeit, schwerhörig zu werden.
«Alkohol schädigt das Ohr durch eine Herabsetzung des Sauerstoffgehalts im Blut», sagt Annette Limberger. «Ausserdem kann der Alkohol auch auf die Grosshirnrinde wirken, so dass Gehörtes nicht mehr so gut verarbeitet werden kann.» Gegen eine Party zum 1. August spricht trotzdem wenig: «Einmalig sind laute Musik und Alkohol nicht das Problem», sagt Annette Limberger. «Wie meistens gilt – die Dosis macht das Gift.»
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