An einer Grossübernahme von Emmi in Frankreich gibt es Kritik. Doch die Konzernchefin Ricarda Demarmels sagt, der Desserthersteller sei eine «perfekte Ergänzung».
Nicht nur die Aktien des Nahrungsmittelriesen Nestlé sind im vergangenen Jahr unter die Räder gekommen. Auch Emmi, den grössten Schweizer Hersteller von Käse und Milchprodukten, hat es erwischt. Die Papiere verloren 2024 rund 20 Prozent an Wert.
Ein Grund für die Baisse dürfte die allgemeine Zurückhaltung der Anleger gegenüber Nahrungsmittelfirmen gewesen sein. Für zusätzliche Unsicherheit sorgte bei Emmi eine aufsehenerregende Akquisition. Die Luzerner kündigten im Sommer 2024 den Kauf von Mademoiselle Desserts in Frankreich an. Mit einem Preis von 900 Millionen Euro ist es die grösste Übernahme in der Firmengeschichte.
Konzentration auf Spezialitäten
Mademoiselle Desserts ist ein europaweit führender Hersteller von gekühlten Desserts, beispielsweise Crèmeschnitten, die an Supermärkte, Restaurants oder Kantinen geliefert werden. Die Patisserieprodukte haben mehr mit einer Bäckerei zu tun als mit der Milchverarbeitung.
Das hat auch unter Aktienanalytikern für Skepsis gesorgt. Die Spezialisten der Bank Vontobel sprachen etwa von einer «unnötigen Ablenkung weg von Milchprodukten». Sind Crèmeschnitten wirklich das Richtige für ein Unternehmen, das für Kaltbach-Käse und Caffè Latte bekannt ist? Die Frage dürfte zu einem Prüfstein werden – auch für die Konzernchefin Ricarda Demarmels, die seit gut zwei Jahren im Amt ist.
Demarmels ist jedoch überzeugt von der Übernahme. «Mademoiselle Desserts ist eine perfekte Ergänzung für uns», sagt sie im Gespräch. «Premiumdesserts sind eine milchnahe Nische. Diese Produkte kommen in vielen Ländern im Supermarktregal gleich nach den Joghurts.»
Demarmels erinnert daran, dass Emmi bereits seit zehn Jahren Spezialitätendesserts im Sortiment habe. In Italien verkauft man etwa gekühlte Tiramisus, in den USA gebackene Torten. «Wir kennen dieses Geschäft und beherrschen die Prozesse», erklärt die Emmi-Chefin weiter. Bisher hat das Dessertgeschäft rund 9 Prozent des Konzernumsatzes ausgemacht. Mit der Integration von Mademoiselle Desserts sind es 17 Prozent. Mithin werden Desserts zu einem strategisch wichtigen Standbein des Unternehmens.
Auch finanziell soll sich die Übernahme für Emmi auszahlen. Die Schweizer Traditionsfirma treibt seit zwanzig Jahren eine Konzentration auf starke Markenprodukte in spezialisierten Nischen voran. Dahinter steht die Überlegung, dass man im Massengeschäft mit Milch oder Joghurts kaum mehr wachsen kann. Attraktiver sind etwa Spezialitätenkäse, trinkbereite Produkte wie Caffè Latte oder neuerdings Produkte mit einem hohen Proteingehalt.
Die Premiumdesserts passten in diese Strategie, sagt Demarmels. Sie würden mehr Wachstum und höhere Margen versprechen. Mit Mademoiselle Desserts steige der Anteil von Premiumprodukten am Emmi-Umsatz auf knapp 40 Prozent. Noch grösser dürfte ihre Bedeutung für den Gewinn sein; Analytiker schätzen den Anteil auf über 50 Prozent.
Dezentral organisierter Konzern
Am wichtigsten, sagt Demarmels, sei aber, dass eine übernommene Firma kulturell zu Emmi passe. Mademoiselle Desserts stellt in dieser Hinsicht eine Herausforderung in neuer Dimension dar: Emmi schafft für das Dessertgeschäft eine neue Einheit, geleitet vom bisherigen Mademoiselle-Desserts-Chef, in die auch die bestehenden Dessertaktivitäten in Italien und in den USA integriert werden.
Wird die Sparte womöglich ein Eigenleben im Konzern entwickeln? Demarmels macht sich keine Sorgen. Die Führung der neuen Sparte teile die gleichen Werte wie Emmi: Verlässlichkeit, Bodenständigkeit, Qualität, Innovationsbereitschaft und vor allem einen starken Unternehmergeist.
Im Übrigen sei Emmi schon jetzt dezentral organisiert. «Wir geben unseren Tochtergesellschaften, ganz im Geiste des Schweizer Föderalismus, viel Autonomie und Entscheidungsfreiheit», erklärt Demarmels. Das sei einerseits wichtig, um die Leute vor Ort zu befähigen und ihre unternehmerische Motivation zu stärken. Anderseits sei es eine Notwendigkeit, weil nur die Teams vor Ort schnell auf Marktentwicklungen reagieren und Innovationen vorantreiben könnten.
Die Desserteinheit werde nicht anders geführt als andere Tochtergesellschaften. Und davon gibt es viele: etwa die Marke Athenos, den grössten Anbieter von Fetakäse in den USA, Laticínios Porto Alegre, einen führenden Milchproduktehersteller in Brasilien, oder Quillayes Surlat in Chile.
Aktienkurs erholt sich
Emmi ist seit langem viel mehr als eine Schweizer Firma. Das Geschäft im Ausland macht mittlerweile 60 Prozent des Konzernumsatzes aus. Der Schweizer Markt ist mit 40 Prozent zwar noch wichtig, aber der Umsatz wächst hierzulande seit Jahren kaum noch. Fast so bedeutend ist mittlerweile das Amerika-Geschäft mit den wichtigsten Märkten USA, Brasilien, Mexiko und Chile.
Das Auslandgeschäft hat im Geschäftsjahr 2024 für ein überraschend starkes Umsatzwachstum gesorgt. Dank höheren Verkaufsvolumen nahm Emmi 2,5 Prozent mehr ein (insgesamt 4,3 Milliarden Franken). Auch bei den Gewinnzahlen – die Betriebsgewinnmarge erreichte 7 Prozent – übertraf der Konzern die Erwartungen der Analytiker.
Die Emmi-Aktien scheinen den Abwärtstrend des vergangenen Jahres denn auch überwunden zu haben. Seit Anfang 2025 hat der Kurs um 13 Prozent zugelegt. Die ZKB-Analytiker bezeichnen die Titel als einen «Jahresfavoriten für 2025». Jetzt muss Emmi nur noch beweisen, dass die Integration von Mademoiselle Desserts klappt.