Freitag, September 27

Die freisinnige Schwyzer Ständerätin ist eine der wenigen Politikerinnen, die verstanden haben, wie gross die Bedrohung der Schweizer Medienberichterstattung auch durch Chat-GPT und Co. bedroht ist. In der Redaktion der NZZ macht sie einen Selbstversuch.

Als der «Bote der Urschweiz» Chat-GPT am 27. Januar 2023 fragte: «Wer ist Petra Gössi?», antwortete die Maschine: «Petra Gössi ist eine Schweizer Politikerin. Sie ist Mitglied der Schweizerischen Volkspartei (SVP) und amtierte 2019 als Nationalratspräsidentin. Gössi wurde 2011 erstmals in den Nationalrat gewählt, zudem ist sie Vizepräsidentin der SVP.»

Chat-GPT ist ein Chatbot des amerikanischen Softwareunternehmens Open AI, dessen Grundlage ein sogenanntes Large Language Model (LMM) ist. Ein lern- und leistungsfähiges Sprachmodell, das mit unendlich vielen Textdokumenten trainiert wird. Es lernt schnell, doch diese Variante war fehlerhaft. Die ehemalige FDP-Präsidentin und heutige Schwyzer Ständerätin war im Januar vergangenen Jahres zwar noch im Nationalrat. Doch Mitglied der SVP war sie genauso wenig wie deren Vizepräsidentin.

Der Buchstaben-Diebstahl

Petra Gössi lachte, als sie den Artikel las, und vergass das Thema dann wieder. Doch ein Jahr später unternahm sie gemeinsam mit ein paar anderen nationalen Politikern selbst einen Versuch mit Chat-GPT und staunte: Das Resultat, das der Chatbot innert Sekunden ausspuckte, war schon viel genauer.

Die Schwyzer Ständerätin ist nicht die Einzige, die mit Chat-GPT herumexperimentiert. Knapp 70 Prozent der unter 20-Jährigen geben heute an, zumindest gelegentlich die künstlich intelligente Anwendung zu nutzen.

Bei Petra Gössi allerdings hat sich die Begeisterung für die künstliche Intelligenz etwas gelegt. Mittlerweile hat sie erfahren, dass KI auch urheberrechtlich geschützte Inhalte in wenigen Sekunden aufsaugen und in jeder gewünschten Form wiedergeben kann. Im Fall von Medieninhalten gilt das auch, wenn die Artikel durch eine Paywall geschützt sind und nur Abonnenten zugänglich sein sollten.

Damit stellt sich die Frage, was der Buchstaben-Diebstahl für die privaten Verlagshäuser in der Schweiz und die mediale Versorgung des Landes bedeuten könnte. Wie können die Eigentumsrechte von Journalisten und Verlagen in Zeiten künstlicher Intelligenz gewährleistet werden? Wie kann verhindert werden, dass die politische Berichterstattung in der Schweiz weitgehend von Maschinen übernommen wird?

Die Anfrage

Im Juni reichte Gössi im Ständerat eine Interpellation ein: «Ist sich der Bundesrat bewusst, dass Bezahlschranken nicht ausreichen, um Inhalte und damit das Geschäftsmodell der Medienschaffenden zu schützen, da diese durch künstliche Intelligenz umgangen werden? Beabsichtigt der Bundesrat – und, wenn ja, wie –, im Bericht zu einer möglichen KI-Regulierung in der Schweiz auf allfällig notwendige Gesetzesanpassungen oder die Durchsetzung geltender Rechte einzugehen, um das Geschäftsmodell des Journalismus in der Schweiz aufrechtzuerhalten?»

Gössis Einwurf ist mehr als berechtigt. Die meisten Medienhäuser der Schweiz haben ihre goldenen Zeiten hinter sich. Der Werbemarkt schwächelt, und die Redaktionen versuchen verzweifelt, mit Online-Abonnements gleich viel Geld zu verdienen wie mit Papierzeitungen. Der radikale Abbau im Zürcher Medienhaus Tamedia ist eine direkte Folge dieser Entwicklung.

Unabhängige Medienberichterstattung ist eine der Säulen der Freiheit. Demokratische Öffentlichkeit bedeutet gut informierte, kritische Öffentlichkeit. Fällt die Vielfalt der Medien weg, breitet sich die Desinformation aus. Bis heute hat es kein soziales Netzwerk geschafft, die Zeitungen – ob in gedruckter oder digitaler Form – zu ersetzen. In Gebieten der USA, wo keine Zeitung überlebt hat, zeigt sich, dass Menschen grundlegende Änderungen im Bildungs- oder Gesundheitswesen nicht mehr mitbekommen. Auch für die Schweiz zeigen Studien: Menschen, die keine Zeitungen lesen, sind weniger informiert, empfänglicher für Fake News und beteiligen sich weniger an Wahlen und Abstimmungen.

Für den Schweizer Verlegerverband ist das längst ein Thema. In einer Untersuchung, die er in Auftrag gegeben hat, zeigte sich, dass sich KI-Chatbots nicht nur bei SRF bedienen, das alle Informationen freigibt. Sie klauen ungeniert auch bei Medienhäusern, die ihre Artikel blocken. Das Resultat: Fast jeder dritte Text, der aus gestohlenen Inhalten neu zusammengestoppelt wird, enthält Unwahrheiten.

Petra Gössi weiss das. Nicht dass sie sich nie über die Medien geärgert hätte. Aber ihr ist bewusst, dass Politik und Medien zusammengehören. Ohne Medien würde die Schweizer Politik weitgehend isoliert unter der Bundeshauskuppel oder in Kantonsrats- und Gemeindesälen stattfinden. Ohne Politik bestünden die meisten Zeitungen nur noch aus Sportberichterstattung, Unterhaltung und dem TV-Programm.

Der Selbstversuch

Deshalb setzt sich Petra Gössi im Spätsommer einen halben Tag lang in die Redaktion der NZZ und macht den Test. Wer weiss mehr, die Maschine oder der Mensch?

Erster Versuch: nochmals die Frage «Wer ist Petra Gössi?» an eine limitierte Chat-GPT-Version, die allen NZZ-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern zur Verfügung steht.

Chatbot: «Petra Gössi ist eine Schweizer Politikerin. Sie wurde am 12. Januar 1976 geboren und ist Mitglied der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP. Die Liberalen). Gössi war von 2016 bis 2021 Präsidentin der FDP.Die Liberalen Schweiz. Sie ist auch als Rechtsanwältin tätig und hat einen Hintergrund in Rechtswissenschaften. Während ihrer politischen Karriere hat sie sich für verschiedene wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Themen eingesetzt.»

Fazit Petra Gössi: «Schon besser als früher, aber nicht alles stimmt.» Gössi ist zwar Juristin, hat aber das Rechtsanwaltspatent nicht erworben.

Zweiter Versuch: «Kannst du mir mehr über sie erzählen?»

Chatbot: «Natürlich! Petra Gössi ist eine prominente Schweizer Politikerin, die in der Zentralschweiz aufgewachsen ist. Sie hat an der Universität Freiburg Rechtswissenschaften studiert und ihr Studium mit dem Lizenziat abgeschlossen. Später erwarb sie auch das Anwaltspatent. (. . .). Als Präsidentin der FDP.Die Liberalen Schweiz von 2016 bis 2021 spielte Petra Gössi eine zentrale Rolle in der nationalen Politik. Unter ihrer Führung setzte sich die Partei für wirtschaftliche Freiheit, Innovation und eine liberale Gesellschaft ein. (. . .) Neben ihrer politischen Tätigkeit ist Petra Gössi auch als Rechtsanwältin tätig und hat sich in verschiedenen beruflichen und gesellschaftlichen Organisationen engagiert. (. . .) Gössi hat sich 2021 entschieden, nicht mehr für das Amt der Parteipräsidentin zu kandidieren, um sich neuen beruflichen Herausforderungen zu widmen. Ihr Nachfolger als Präsident der FDP.Die Liberalen Schweiz wurde Thierry Burkart.»

Fazit Petra Gössi: «Es wird immer genauer. Aber ich habe in Bern studiert, nicht in Freiburg, und das Anwaltspatent habe ich immer noch nicht.»

Chat-GPT ist das bekannteste Large Language Model, aber in vielen Ländern kommen laufend Alternativen auf den Markt. Zwischen den grossen Playern Open AI, Microsoft, Alphabet, Meta, IBM und zahllosen Akteuren aus China findet ein wahres Elefantenrennen statt. In vielen europäischen Ländern tüfteln Startups zudem an eigenen Lösungen. In Deutschland setzen Wirtschaft und Politik ihre Hoffnungen auf ein Heidelberger Jungunternehmen namens Aleph Alpha. In Frankreich und Grossbritannien heissen die Konkurrenten Mistral oder Stability.

Dritter Versuch mit Perplexity. Bereits Chat-GPT von Open AI bewegt sich in einer urheberrechtlichen Grauzone. Im Dezember 2023 wurde das Unternehmen von der «New York Times» verklagt, weil Chat-GPT urheberrechtlich geschützte Inhalte intensiv nutzte. Perplexity, eine Konversations-Suchmaschine, die auf dem Open-AI-Modell GPT-3.5 basiert, geht noch weiter. Es klaut sich seine Informationen auch hinter den härtesten Bezahlschranken zusammen.

Petra Gössi macht einen sehr spezifischen Test. Sie fragt die Maschine nach der Diskussion um das Verwaltungs- und Sicherheitsgebäude Kaltbach. Die Frage, ob sich der Kanton Schwyz einen Neubau für fast 140 Millionen Franken leisten soll, beschäftigt ausserhalb des Kantons kaum jemanden. Ausser den lokalen und regionalen Medien berichtet niemand darüber.

Perplexity fackelt nicht lange. Nach wenigen Sekunden liefert die KI-Anwendung eine Zusammenfassung aller Pro- und Contra-Argumente. Die Hauptquelle ist offensichtlich der «Einsiedler Anzeiger». Die Online-Inhalte der Regionalzeitung sind streng passwortgeschützt und dürften eigentlich nur zahlenden Kundinnen und Kunden zugänglich sein. Doch beinahe der gesamte Inhalt des Artikels ist in der Antwort von Perplexity zu lesen.

Perplexity hat eine Vermutung

Nun ist nicht nur Petra Gössi erstaunt, auch die beiden NZZ-Journalisten sind baff. Sie sind gerade Zeugen eines Datenklaus geworden, der ihre berufliche Existenz infrage stellt. Wer soll noch für Zeitungsabonnemente zahlen, wenn man gratis oder für eine Gebühr von etwa 20 Dollar pro Monat jede Zeitung auf der Welt durchforsten kann?

Den Bundesrat scheinen solche Fragen nicht weiter zu beunruhigen. In seiner Antwort auf Gössis Interpellation schreibt er: «Der Bundesrat ist sich der Problematik bewusst und beobachtet die Entwicklungen aufmerksam, um bei Bedarf gesetzgeberisch tätig zu werden.»

Immerhin: Perplexity ist zuversichtlich. Danach gefragt, was von der Antwort des Bundesrats zu halten sei, antwortet die KI: «Der Bundesrat hat bisher keine abschliessende Stellungnahme veröffentlicht, jedoch wird erwartet, dass er in naher Zukunft auf die spezifischen Bedenken und Fragen eingeht.»

Das hofft auch Petra Gössi. Sie wird am Thema dranbleiben.

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