Freitag, September 27

Orangen werden knapp, der Saft ist auf dem Weltmarkt extrem teuer. Die Preise steigen auch im Supermarkt. So alltäglich die Orange ist, so anfällig ist die Produktionskette.

Wie viel Luxus gönnen Sie sich zum Frühstück? Wahrscheinlich mehr, als Sie denken. Wenn ein Glas Orangensaft auf dem Tisch steht, darf das inzwischen als Luxus gelten. Für den Fruchtsaft gibt es einen Referenzpreis auf dem Weltmarkt – und der hat sich seit Anfang 2023 mehr als verdoppelt. So teuer war «O-Saft» mindestens seit den 1970er Jahren nicht mehr. Und es gibt kaum Gründe dafür, dass sich das demnächst ändern sollte. Beim Einkauf im Supermarkt wird man das merken.

Saft und Markt sind konzentriert

Obwohl es fast überall Orangensaft zu kaufen gibt und Orangen in vielen südlichen Ländern angebaut werden, ist der Saftmarkt etwas speziell. Viele der Früchte werden als Obst konsumiert oder auch direkt vor dem Konsum zu frischem Saft ausgepresst. Aber dieser frische Saft ist nicht haltbar. Um den Hunger nach dem weltweit beliebtesten Fruchtsaft zu stillen, wurde eine industrielle Wertschöpfungs- und Transportkette errichtet.

Deshalb gibt es nicht nur Öltanker, sondern auch Orangensafttanker. Das mit grossem Abstand dominierende Land für die Produktion ist Brasilien. Von dort stammen rund 70 Prozent der globalen «O-Saft»-Exporte. Ein anderer wichtiger Erzeuger ist der amerikanische Gliedstaat Florida. Die Orangen werden oft noch vor Ort ausgepresst. Ein Teil des Saftes wird dann pasteurisiert und damit haltbarer gemacht.

Ein Grossteil wird allerdings zu Konzentrat verarbeitet, wofür dem Saft unter anderem das Wasser entzogen wird. Dadurch schrumpft er auf einen Sechstel des ursprünglichen Volumens. Das ermöglicht es, grössere Mengen zu transportieren. Dieses flüssige Konzentrat wird dann tiefgekühlt, auf einen Tanker verladen und im Zielland wieder verdünnt. So entsteht der allermeiste Orangensaft, den wir im Supermarkt finden – versehen mit dem Hinweis «aus Konzentrat hergestellt».

Diese standardisierte Verarbeitung hat Orangensaft zu einem an den Finanzmärkten handelbaren Rohstoff gemacht. Der Referenzpreis lautet auf einen Terminkontrakt, der an der Börse ICE in New York gehandelt wird. Dort kostet ein Pfund gefrorenes Konzentrat inzwischen rund 4 Dollar 90; Anfang September wurden gar 5 Dollar 55 erreicht. Die Hausse währt seit Anfang 2023. Mindestens 50 Jahre lang war der Kurs nie über 2 Dollar geklettert.

Orangensaft hat ein Klumpenrisiko

Das Konzentrat wird teurer, weil es knapper wird und sich die Lager leeren. Das geschieht, weil der Nachschub stockt: Brasilien wurde von Hitze und Dürren getroffen, die Plantagen in Florida von Hurrikans. Experten sehen hier auch Folgen des Klimawandels. Ausserdem werden immer mehr Orangenbäume von der Gelben Drachenkrankheit befallen, welche die Erträge deutlich mindert.

Die vergangenen Ernten in Brasilien fielen bereits schlecht aus, und in dieser Saison wird nochmals ein um 30 Prozent tieferer Ertrag erwartet – zugleich der kleinste seit mehr als 30 Jahren. Das Fachportal «The Food Institute» kommentierte mit Blick auf die Preissteigerungen, es gebe eben manche Faktoren, die eine Notenbank in ihrem Kampf gegen die Teuerung nicht beeinflussen könne.

Doch bis jetzt dürften das erst wenige Konsumenten bemerkt haben. Der absolute Preis für Orangensaft ist nicht hoch, weshalb Preiserhöhungen auf dem Kassenzettel nicht sofort auffallen. Ausserdem macht sich die Knappheit nicht überall gleich bemerkbar: Weil in den USA und Europa die grösste und zahlungskräftigste Kundschaft sitzt, werden diese Märkte von der Branche priorisiert beliefert.

Preiserhöhungen bei der Migros

Zudem können Hersteller das neue, teurere Konzentrat mit im Vorjahr günstiger erworbenem Konzentrat mischen (sofern sie noch Lagerbestände haben). Aber weil das Konzentrat nur zwei Jahre haltbar ist, funktioniert dieser Trick, je länger die Hausse dauert, desto schlechter. Gleiches gilt bei einem anderen Grund dafür, dass die Preise verzögert weitergegeben werden: Detailhändler und Produzenten haben oft langfristige Lieferverträge abgeschlossen. Erst bei einer Neuverhandlung wird der neue Preis berücksichtigt.

Mit günstigeren Altverträgen erklärt es zum Beispiel die Migros, warum der Preis für ihren «Bio Orangensaft» in der 330-Milliliter-Flasche in diesem Jahr unverändert bei 1 Franken 70 liegt. Doch bei anderen Migros-Produkten macht sich das teurere Konzentrat sehr wohl bemerkbar. Das zeigt ein Vergleich der auf der Homepage publizierten Preisangaben von Ende Januar und Mitte September.

Demnach verteuerte sich zum Beispiel die Liter-Packung «M-Classic Fairtrade Mild» von 1 Franken 85 auf 2 Franken 10 – ein Plus von 14 Prozent. Migros-Orangensaft stamme hauptsächlich aus Brasilien und kleinere Mengen kämen aus Spanien, teilt das Unternehmen auf Anfrage mit. Die Marktsituation sei schwierig. Weil am Weltmarkt die Nachfrage nur leicht sinke, seien die Preise auf einem Rekordhoch.

Über die künftige Preisentwicklung will die grösste Supermarktkette der Schweiz nicht spekulieren. Sinkende Einkaufspreise werde man sofort weitergeben, hiess es. Auffällig ist, dass die Preiserhöhungen tendenziell öfter die günstigeren Eigenmarken zu betreffen scheinen. Es kann vermutet werden, dass dort die Gewinnmargen kleiner sind, was den Händlern weniger Spielraum lässt, höhere Rohstoffkosten ohne Preiserhöhungen aufzufangen.

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