The Market macht sich regelmässig auf die Suche nach vernünftig bewerteten Qualitätsunternehmen. In der Schweiz schafft der Elektronikkonzern ABB den Sprung in die Auswahl. In Europa stossen zwei Kranhersteller dazu, die vom dichteren Schiffsverkehr profitieren, und in den USA tauchen drei neue Namen auf.
Die Börsen setzen ihren Höhenflug fort. Fast wie an der Linie gezogen hangelt sich der von MSCI berechnete Weltaktienindex von einem Höchst zum nächsten. Erst in den letzten Tagen kam es wegen steigender Zinsen, anziehender Energiepreise und anhaltend robuster Konjunkturdaten, die Leitzinssenkungen weiter verzögern könnten, zu einer leichten Konsolidierung.
Getrieben wurde die Avance im März nicht durch die üblichen Verdächtigen aus dem Technologiebereich, sondern durch die bisher vernachlässigten Branchen Energie, Grundstoffe und Versorger. Damit breitet sich der Aufwärtstrend zunehmend aus, was für seine Fortsetzung spricht.
Diese Entwicklung macht sich vor allem in der US-Qualitätsauswahl von The Market bemerkbar, die mit Rohstoffwerten gespickt ist und seit der letzten Bestandesaufnahme den S&P 500 deutlich geschlagen hat. Weniger eindrücklich hat die europäische Selektion abgeschnitten, die trotz hohem Gewicht in Rohstoffwerten den Vergleichsindex nur wenig hinter sich lassen konnte:
Zur Erinnerung: Seit der Lancierung 2019 macht sich The Market an den Börsen der Schweiz, Europas und der USA regelmässig auf die Suche nach vernünftig bewerteten Qualitätsunternehmen.
Die Kriterien
Was Qualität ausmacht, ist nicht einheitlich definiert. The Market versteht darunter Aktien von Gesellschaften, die eine höhere Kapitalrendite erzielen, eine robustere Bilanz aufweisen und günstiger bewertet sind als das Durchschnittsunternehmen im Vergleichsindex.
Als Kriterien werden die Rendite auf das eingesetzte Kapital (Return on Invested Capital, ROIC), das Verhältnis aus Nettoschulden zum Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) sowie der Unternehmenswert (Enterprise Value, EV) in Relation zum Ebit verwendet.
In jeder Region wird je nach Aussagekraft ein viertes Kriterium eingesetzt. In der Schweiz ist es das Wachstum des Buchwerts je Titel über fünf Jahre, in den USA die totale Ausschüttungsrendite – definiert als Dividenden und Nettoaktienrückkäufe im Verhältnis zum Unternehmenswert – und in Europa das Momentum der Gewinnprognosen.
Viele Wechsel in der Schweizer Auswahl
In der Schweiz schaffen zwanzig Namen alle Hürden, nach 21 im Vormonat. Ausgeschieden sind mit Komax, Georg Fischer, Swatch Group und U-Blox gleich vier Namen. Bei den ersten drei ist das Wachstum des Buchwerts unter den Median des SPI gesunken. U-Blox musste wegen eines Abschreibers einen Verlust ausweisen, was die Berechnung des Verhältnisses aus Unternehmenswert zum Ebit unmöglich macht.
Dafür schafft VZ Holding, die im vergangenen Monat aus Bewertungsgründen ausgeschieden ist, den direkten Wiedereintritt. Nach starken Zahlen ist das EV-Ebit-Verhältnis auf 16,2 und damit unter den Median des SPI gesunken, der wie schon im Vormonat weiter gestiegen ist, diesmal von 19,1 auf 19,5. Erstmals dabei sind der Industriekonzern ABB und die Dentalgruppe Coltene:
Beim Elektronikkonzern ABB zeigen sich die Früchte der Restrukturierung der letzten Jahre. Die Dezentralisierung der Verantwortlichkeiten hat die frühere bürokratische Behäbigkeit beseitigt und das unternehmerische Denken innerhalb des Konzerns gefördert. Die Folge sind ein stetig wachsender freier Cashflow von inzwischen 3,7 Mrd. $ und steigende Kapitalrenditen.
Gesunde Bilanz hilft ABB auch durch schwierige Zeiten
Dank des üppigen Mittelzuflusses konnte der Konzern letztes Jahr Schulden abbauen, zudem hat er eben ein neues Aktienrückkaufprogramm über 1 Mrd. $ lanciert. Mit der gesünderen Bilanz und der höheren Rentabilität ist er auch für konjunkturell schwierigere Zeiten gerüstet, was die Zyklizität des Geschäfts teilweise abfedert.
Coltene produziert zahnmedizinische Verbrauchsgüter und Kleingeräte. Ronald Wildmann von Serafin Asset Management, der Coltene im Fonds AMG Substanzwerte Schweiz hält, streicht die defensiven Qualitäten hervor. Die Nachfrage profitiere von der Demografie, höheren Einkommen, steigendem Bedarf an ästhetischen Zahnbehandlungen und höheren Hygieneanforderungen infolge der Covid-Pandemie und sei deshalb wenig konjunkturabhängig.
Ferner sei der Markt fragmentiert, was Chancen zur Konsolidierung und für Marktanteilsgewinne biete. «Mit IC-Track und der digitalen Plattform my.coltene, die beide bei der Wiederaufbereitung von Instrumenten helfen, verfügt Coltene zudem über Innovationen, die ihre Produkte von den Wettbewerbern differenzieren», ergänzt Wildmann. Im Aktienkurs spiegeln sich die defensiven Qualitäten allerdings nur bedingt, er sinkt seit dem Höchst im Jahr 2021 stetig.
Unruhen im Roten Meer begünstigen zwei finnische Firmen
In Europa erfüllen 54 Unternehmen alle Kriterien, nach 51 bei der letzten Bestandesaufnahme. Erstmals dabei sind die beiden finnischen Cargo-Handling-Spezialisten Cargotec und Konecranes sowie der britische IT-Dienstleister Computacenter:
Sowohl Cargotec als auch Konecranes stellen u.a. Kräne für das Be- und Entladen von Schiffen her. Beide erwirtschaften rund die Hälfte des Umsatzes in Europa, dem Nahen Osten und Afrika. Sie dürften deshalb von den Unruhen im Roten Meer profitieren, die viele Schiffe zu einem Umweg um das Kap der Guten Hoffnung zwingen und damit für Mehrverkehr sorgen. Die Kurse beider Unternehmen sind jüngst denn auch aus mehrjährigen Handelsspannen nach oben ausgebrochen.
Computacenter unterstützt Grosskunden bei der Beschaffung, dem Betrieb und der Weiterentwicklung ihrer IT-Infrastruktur. Die Analysten von JPMorgan stufen das Unternehmen als Profiteur des Trends zur Digitalisierung ein, und dank des Dienstleistungsgeschäfts sollte es auch von der Verlagerung zu Cloud-basierter und online vertriebener Software profitieren.
Wegen des kräftigen Wachstums, der gesunden Bilanz und der Ausrichtung auf Unternehmenskunden sei die Bewertung wenig anspruchsvoll. Die Titel handeln mit einem für dieses Jahr geschätzten Kurs-Gewinn-Verhältnis von 15 leicht unter dem langfristigen Durchschnitt von 15,5.
Eine Werbeagentur schafft den Sprung in die US-Auswahl
In den USA qualifizieren sich 83 Namen, nach achtzig im Vormonat. Unter den zwanzig Werten mit der höchsten Ausschüttungsrendite kommt es nach längerer Abwesenheit zum Wiedersehen mit dem Medikamentendistributor McKesson. Erstmals dabei ist die Werbeagentur The Interpublic Group of Companies:
Die Experten von Wells Fargo sind wenig optimistisch für Interpublic. Das Unternehmen wachse langsamer als die Konkurrenz und weise höhere Risiken auf, weil Amazon den 20,6 Mrd. $ schweren Werbedeal, den sie an Interpublic vergeben hat, überprüfe. Zudem belaste die Verlangsamung des Wirtschaftswachstums die Werbebudgets der Kunden. Interpublic habe zwar eine starke Bilanz, Aktienrückkäufe seien wegen möglicherweise anstehender Akquisitionen zur Stärkung der digitalen Fähigkeiten aber wenig wahrscheinlich. Sie stufen die Titel deshalb mit «gleich gewichten» ein.
Die Analysten von JPMorgan pflichten bei, dass Konkurrent Omnicom jüngst schneller gewachsen sei, doch seit der Pandemie habe Interpublic die Nase beim organischen Wachstum vorn. Das liege am hohen Anteil an Kunden aus dem eher stabilen Gesundheitsbereich, an der offenen Architektur, die das Unternehmen vor einer Restrukturierung bewahrt habe, und der Inexistenz von Altlasten.
Kurs von Omnicom kratzt am Allzeithöchst
Das Geschäft von Interpublic werde sich dank neu gewonnener Kunden erholen, und die Bewertung sollte angesichts der stärkeren Ausrichtung auf schneller wachsende Bereiche anziehen. Bisher ist das definitiv nicht geschehen; während der Aktienkurs von Omnicom fast auf Allzeithöchst notiert, ist Interpublic in einer Konsolidierung weit unterhalb des während der TMT-Blase zur Jahrtausendwende verzeichneten Höchsts bei 58.40 $ gefangen.
Unter den zwanzig günstigsten US-Werten taucht erstmals der Auftragsfertiger Jabil auf, der im Dezember zusammen mit dem ebenfalls in der Auswahl vertretenen Bauzulieferer Builders FirstSource in den S&P 500 aufgenommen wurde, ebenso wie der Getreidehändler und -verarbeiter Bunge Global.
Jabil ist ein weltweit tätiger Auftragsfertiger im Industrie-, im Elektronik- und im Gesundheitsbereich mit über 200’000 Mitarbeitern. In der Schweiz hat sie 2018 Spuren hinterlassen, als sie die hiesigen Produktionsstandorte von Johnson & Johnson Medical übernommen hat.
Für die Analysten von JPMorgan ist Jabil gut positioniert, um von Megatrends wie dem zunehmenden Absatz von Elektrofahrzeugen, der Verbreitung erneuerbarer Energien oder der anziehenden Nachfrage nach Medikamenten inklusive solcher zur Gewichtsabnahme zu profitieren. Lobende Worte finden sie auch für den Verkauf des tiefmargigen Mobilitätsgeschäfts, weil so die Abhängigkeit von Apple reduziert wurde und Mittel für Aktienrückkäufe freigesetzt wurden.
Jabil ist attraktiv bewertet
Trotz seiner immensen Anzahl Mitarbeiter, und obwohl sich der Kurs seit dem Tiefst während des Coronaausverkaufs im März 2020 mehr als versechsfacht hat, bringt der Konzern eine Kapitalisierung von nur gerade 17,1 Mrd. $ auf die Waage. Zusammen mit den Nettoschulden von nicht ganz 700 Mio. $ ergibt sich ein Unternehmenswert von 17,8 Mrd. $. Auf Basis des für dieses und nächstes Jahr geschätzten freien Cashflows von 1,1 Mrd. $ errechnet sich eine Rendite von 6,2%. Das ist angesichts der hohen Bewertung vieler Aktien attraktiv.
Bunge ist ein weltweit führender Hersteller, Transporteur und Anbieter von speziellen Ölen, Fetten und Proteinen auf Pflanzenbasis. Die Produkte werden u.a. zu Speiseölen, Mehlen, Milchfettalternativen, Fleisch auf pflanzlicher Basis oder Säuglingsnahrung verarbeitet. Gemäss den Analysten von Barclays profitiert Bunge vom weit verbreiteten Trend zu abwechslungsreicherer Nahrung. Zudem sorge die Übernahme des kanadischen Konkurrenten Viterra für zusätzliches Potenzial, weil dadurch ein globaler Gigant entstanden sei. Sie empfehlen ein Übergewicht in den Bunge-Valoren.
Durch die jüngsten Auswechslungen ist die Auswahl noch etwas zyklischer geworden, als sie es sonst schon war. Sie würde deshalb unter Druck geraten, falls die Weltwirtschaft in die Rezession gleitet. Andererseits bieten gerade wirtschaftlich schwierige Zeiten die besten Gelegenheiten für den Einstieg in konjunktursensitive Werte.