Mit 12 Jahren kam Rexhep Rexhepi als kosovarischer Flüchtling in die Schweiz. Ein Vierteljahrhundert später gilt er als einer der bemerkenswertesten Schweizer Uhrmacher. Ein Besuch in seinen Genfer Ateliers.
Die Zeiten, in denen sich Uhrmacher in einsamen Tälern im Jura versteckt hielten, scheinen definitiv passé. Der beste Beweis: Rexhep Rexhepi, der als neuer Liebling der Schweizer Uhrmacherszene hoch gehandelt wird. Seine Ateliers befinden sich an bester Lage im Herzen der Genfer Altstadt. Ein Team von 25 Leuten pflegt in minuziöser Detailarbeit das traditionelle Uhrenhandwerk und überführt dieses ins neue Jahrtausend. Das dort gelebte Credo: möglichst sämtliche Schritte bei der Uhrenproduktion von Hand ausführen.
Ein kühler Wind bläst bei unserem Besuch durch die Grand-Rue. Vier Werkstätten unterhält Rexhep Rexhepi an dieser pittoresken Gasse in der Nähe der Kathedrale St. Pierre. Jüngst kam eine Maisonnettewohnung dazu, in welcher er sich in einem Turmzimmer eingenistet hat – mit Blick auf den Genfersee und die Alpen. Dieses Zimmer vereint den Charakter eines Labors, einer Studierstube und einer Alchimistenkammer. Rexhep Rexhepi sitzt an seinem Uhrmachertisch und entwirft in Skizzenbüchern neue Ideen. «Ich hatte einfach unglaublich viel Glück», wiederholt er mehrmals im Gespräch.
Konzentration wie in einem Kloster-Skriptorium
Zurzeit arbeitet der wohl gefragteste Uhrmacher seiner Generation an einem Zeitmesser mit springender Sekunde. Eine springende Sekunde ist das typische Merkmal von Quarzuhren, mechanische Uhren hingegen weisen schleichende Sekunden auf. Immer wieder erliegt Rexhep Rexhepi dem Reiz, neue Komplikationen zu entwickeln. Die diesmalige Herausforderung: eine für moderne Uhren prägende Eigenschaft mit den Mitteln des traditionellen Uhrenhandwerks zu meistern.
Dazu stehen ihm vier Ingenieure zur Seite. «Ich habe grossen Respekt vor den Uhrmachern der Vergangenheit, die noch nicht auf IT-Programme zurückgreifen konnten. Daher müssen unsere Uhren noch besser sein als die Uhren von damals», sagt Rexhep Rexhepi.
In seinen vier Ateliers arbeiten Spezialisten an der Herstellung von Einzelteilen und Gehäusen, an der Dekoration der Uhren und seit neustem auch an der Kreation von Lederarmbändern. Das Team besteht aus Personen mit verschiedenen Hintergründen – von der Textilspezialistin bis zum Juwelier.
Bei unserem Besuch dekoriert eine Mitarbeiterin gerade ein Emaille-Zifferblatt. 80 Prozent der Zeit fliessen bei der Uhrenproduktion in die Finissage. Die Ruhe und die Konzentration in den Ateliers wirken ehrfürchtig, wie aus der Zeit gefallen. Die Atmosphäre in mittelalterlichen Kloster-Skriptorien mag eine ähnliche gewesen sein.
Vor fünf Jahren gelang Rexhep Rexhepi ein Coup. Er holte Jean-Pierre Hagmann, eine Genfer Koryphäe für Gehäuse, zurück aus der Pension. Der über 80-Jährige arbeitet nun täglich vormittags an der Produktion von Uhrengehäusen. Nur 40 bis 50 Uhren verlassen die Genfer Grand-Rue pro Jahr.
Rückzugsort Bibliothek
Der Weg in die Haute Horlogerie war Rexhep Rexhepi nicht vorgezeichnet. 1987 in Kosovo geboren, wuchs er dort bei seiner Grossmutter auf. Die Mutter verliess die Familie, als Rexhepi ein Kind war, seinen in Genf arbeitenden Vater sah er nur während weniger Wochen im Jahr. Bei den Heimataufenthalten seines Vaters fiel ihm an dessen Handgelenk eine Tissot-Armbanduhr auf. «Ich war fasziniert von der Schönheit dieser Uhr und hätte sie am liebsten aufgeschraubt, um zu sehen, wie dieses Wunderwerk funktioniert», erinnert er sich.
Nach Ausbruch des Kosovo-Kriegs kam Rexhepi im Jahr 1998 als Flüchtling nach Genf. Zuerst fand er keinen Anschluss bei Gleichaltrigen, vergrub sich tagelang in der Bibliothek und begann, manisch Bücher über Uhren zu lesen. Als 15-Jähriger dann der Befreiungsschlag: Unter 300 Mitbewerbern wurde er vom Luxusuhrenhersteller Patek Philippe ausgewählt. Er erhielt das Privileg, in der prestigeträchtigen Genfer Uhrenmanufaktur seine Lehre zu absolvieren.
Nächste Etappen führten ihn zu Grössen seines Faches. Bei François-Paul Journe, einem Pionier der eigenständigen Entwicklung und Umsetzung von Armbanduhren, verblieb er zwei ganze Jahre. Dessen Wahlspruch «Invenit et Fecit» (erfinden und umsetzen) scheint Rexhepi verinnerlicht zu haben.
Misserfolg an der Baselworld
2,1 Millionen Schweizerfranken. Diesen Betrag bot kürzlich ein Uhrenliebhaber an der Wohltätigkeitsauktion Only Watch für eine Rexhep Rexhepi Chronomètre Antimagnétique. Auf der Website von Only Watch wurde der Preis vor der Auktion auf 100 000 bis 150 000 Franken geschätzt. Die in schlichtem Design gehaltene Armbanduhr erzielte letztlich somit das 20-Fache des Richtwerts. Nur eine Patek Philippe wurde an der Auktion zu einem höheren Preis ersteigert. Deren Schätzwert war jedoch vor der Auktion bereits auf über 1,5 Millionen Franken angesetzt.
Rexhep Rexhepi ist auf dem Olymp der Uhrmachergilde angekommen. Sein Glück scheint er noch nicht ganz fassen zu können. Mehrmals im Gespräch lässt er Selbstzweifel durchblicken und erzählt freimütig über die Misserfolge zu Beginn seiner Laufbahn. Mit 25 Jahren macht sich Rexhepi selbständig und gründet eine eigene Manufaktur: Akrivia.
Das aus dem Griechischen entliehene Wort für Genauigkeit und Präzision soll seine Vision zum Ausdruck bringen. Als er 2012 an der Baselworld eine erste Uhr, die Tourbillon Chronographe Monopoussoir, präsentiert, erhält er keinerlei Beachtung. «Die erste Akrivia war kommerziell ein Desaster», so Rexhepi.
Symmetrisch wie sein Name
Nach dem Misserfolg in Basel arbeitet Rexhepi in unermüdlichem Eifer weiter. «Ich wollte eine Uhr erschaffen, die zu mir passt, und ich wollte von meiner Passion leben können. Das war meine Motivation.» 2018 bringt er eine Uhr auf den Markt, die zum ersten Mal nicht mehr mit Akrivia, sondern mit seinem Namen gekennzeichnet ist: die Chronomètre Contemporain.
Damit gewinnt er – wie vier Jahre später nochmals mit dem Nachfolgemodell Chronomètre Contemporain II – den renommierten Grand Prix d’Horlogerie de Genève. Das Design zeigt sich nun klassischer, weniger verspielt, jedoch stärker symmetrisch – wie in seinem Namen angelegt oder wie die Uhren einer Schweizer Uhrmacherlegende, für die Rexhep Rexhepi Hochachtung empfindet: Philippe Dufour.
Rexhepi fühlt sich als Schweizer durch und durch. Lange Zeit plagte ihn jedoch ein Unbehagen: «Bin ich Schweizer genug, um eine Schweizer Uhr mit meinem Namen zu signieren?», sinnierte er dann. Diese Frage stellt sich im Schweizer Uhrenmilieu eigentlich nicht. Es waren französische Hugenotten, die im 17. Jahrhundert als religiöse Flüchtlinge in Genf und im Jura die Schweizer Uhrmacherkunst weiterentwickelten. Nun ist es ein kosovarischer Flüchtling, der das traditionelle Genfer Uhrmacherhandwerk zu neuer Blüte führt – und dabei typische Verzierungen wie Genfer Streifen oder anglierte Kanten kultiviert.
Calvinistischer Arbeitseifer
Mit Rexhep Rexhepi übernimmt eine neue Generation das Zepter in der Schweizer Uhrmacherkunst. Gaël Petermann, Florian Bédat, Raúl Pagès oder Hervé Schlüchter sind weitere Namen junger Wilder, die mit ihren Kreationen die Szene durchwirbeln. Was Rexhep Rexhepi, der seine Inspiration aus bildender Kunst ebenso zieht wie aus Haute Cuisine oder einer riesigen Sammlung an Uhrenbüchern, auf die Spitze treibt: raffinierte Eleganz und eine atemberaubende Perfektion in der Konstruktion des Uhrwerks.
Die Linie Akrivia will er in Zukunft nicht mehr weiterverfolgen. Ideen für neue Uhrenmodelle der Marke Rexhep Rexhephi hat er hingegen bereits über Jahre hinaus – und dies nicht nur für Armbanduhren.
Als Vater einer Tochter und eines Sohns im Vorschulalter gilt es nun, familiäre Pflichten zu erfüllen. Sind die Zeiten vorbei, in denen er ganze Wochenenden pausenlos durcharbeitete? «Ich überlege mir, in meinem Atelier ein Spielzimmer für die Kinder einzurichten, damit ich auch am Wochenende an neuen Komplikationen forschen kann», sagt er mit einem Schmunzeln.
In einer Epoche, in der das Smartphone die neue Taschenuhr ist und die Smartwatch den Zeitgeist verkörpert, machte sich mit calvinistischem Arbeitseifer ein kosovarischer Flüchtling in Genf auf die Suche nach der verlorenen Zeit. Er scheint sie gefunden zu haben.
Wartefristen und Preise auf Anfrage
Rexhep Rexhepi verkauft seine Uhren in der Schweiz direkt über seine Gesellschaft Akrivia, im Ausland über Händler wie A Collected Man, The Hour Glass und Ahmed Seddiqi & Sons. Die Wartefrist für eine Uhr kann sich über einen längeren Zeitraum hinziehen. Preise auf Anfrage.
Beilage in der «Neuen Zürcher Zeitung»
Dieser Artikel ist am Freitag, 20. September 2024, im neuen NZZ-Schwerpunkt «Uhren & Schmuck» erschienen. Weitere aktuelle Storys, Reportagen und Interviews aus der 18-seitigen Beilage sind im E-Paper der «Neuen Zürcher Zeitung» zu finden.