Sonntag, September 29

Kritisiert wird vor allem der Kanton Zürich. Doch das Volksschulamt bleibt gelassen.

Ein Klassenlager ist eine schöne Sache. Zum Beispiel in der Chasa Plans im Unterengadin. Das Gruppenhaus der Stadt Zürich liegt vor einer grünen Wiese am Inn. Davor und dahinter erheben sich die Berge. Man kann Volleyball spielen im Freien, es gibt einen Grillplatz, nach Zernez zum Nationalpark ist es mit der Bahn nur eine Viertelstunde. Die getäferten Einer- bis Viererzimmer machen einen gepflegten Eindruck.

Die Konditionen für einen Aufenthalt in dem massiven Engadinerhaus sind auf der Website der Stadt Zürich klar beschrieben: Für Schülerinnen und Schüler von städtischen Schulen kostet eine Übernachtung mit Vollpension 43 Franken, Schulklassen ausserhalb der Stadt Zürich zahlen 52 Franken pro Nacht und Kind.

Den grössten Teil dieser Kosten übernimmt die Schulgemeinde. Obligatorische Klassenlager, Projektwochen und Exkursionen von Primar- und Sekundarschulen gehören zum von der Bundesverfassung garantierten unentgeltlichen Schulunterricht dazu. Daher dürfen Eltern lediglich die Verpflegungskosten in Rechnung gestellt werden, die sie einsparen, wenn das Kind im Klassenlager ist.

22, 16 oder 8 Franken pro Tag?

Die Beiträge sind entsprechend moderat. Stefan Meierhans allerdings findet: In Zürich und auch in anderen Kantonen zahlen Eltern viel zu viel. Für den eidgenössischen Preisüberwacher steht fest: In einem durchschnittlichen Haushalt belaufen sich die täglichen Ausgaben für Essen und Trinken auf maximal 8 Franken pro Kind. Meierhans beruft sich dabei auf aktuelle Zahlen der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe und des Bundesamts für Statistik.

Damit stellt der Preisüberwacher auch jenen Richtwert infrage, den das Bundesgericht 2017 in einem wegweisenden Urteil in den Raum gestellt hatte. Damals befanden die Lausanner Richter: «Der maximal zulässige Betrag dürfte sich abhängig vom Alter des Kindes zwischen 10 und 16 Franken pro Tag bewegen.» Diese Bandbreite sei überholt, schreibt Meierhans in seinem Bericht, der vergangene Woche publiziert wurde. Die neue Grenze sei bei 8 Franken anzusetzen.

In Zürich freilich sieht man das ganz anders: Seit 2015 gilt ein Maximalbetrag von 22 Franken pro Verpflegungstag in Klassenlagern und auf Exkursionen. Das Urteil des Bundesgerichts hat daran nichts geändert.

Die Zürcher Regierung stellte sich damals auf den Standpunkt, dass der «ungefähre Rahmen» der Lausanner Richter nicht bindend sei. Es sei davon auszugehen, dass das Bundesgericht den Kantonen «einen gewissen Ermessensspielraum» belassen wolle, schrieb der Regierungsrat 2018 in einer Antwort auf eine Anfrage aus dem Kantonsrat. Die Beiträge seien akzeptiert. Man rechne nicht damit, dass Zürcher Eltern nach dem Verdikt aus Lausanne gegen die hiesige Regelung vorgehen würden.

Die Obergrenze, die das Volksschulamt meint

Das ist offenbar tatsächlich nicht passiert. Das Volksschulamt hat die 22-Franken-Limite vor zwei Jahren in einer weiteren Verfügung bestätigt. Das Schulwesen ist schliesslich Sache der Kantone und der Gemeinden. Und auch nach dem Rundschreiben des Preisüberwachers gibt sich das Amt gelassen. Man nehme den Bericht aus Bern ernst, sagt Martin Peter, der Leiter des Rechtsdienstes und stellvertretender Chef des Volksschulamts. Über etwaige Konsequenzen für Elternbeiträge könne er nichts sagen. Dafür sei es zu früh. «Aber die Zahlen des Preisüberwachers werden bei den Gemeinden sicher Fragen auslösen.»

Gleichzeitig betont Peter, dass die Zürcher Klassenlagergebühren lediglich als Obergrenze zu verstehen seien. «Wir gehen davon aus, dass nicht alle Gemeinden diesen Rahmen ausschöpfen.» Mit anderen Worten: Die Kommunen sollen und können selber bestimmen, wie viel sie von den Eltern verlangen. Es darf auch weniger als 22 Franken sein.

Der Kanton gibt Eckwerte vor, die (Schul-)Gemeinden entscheiden selber, was für sie am besten passt. So könnte es sein, dass Gebühren für Klassenlager in einzelnen Gemeinden tatsächlich etwas näher bei den vom Bundesgericht vorgeschlagenen 16 Franken pro Verpflegungstag oder gar noch tiefer liegen. Zumindest in der Theorie.

In der Praxis jedoch kann man sich fragen: Wie soll das gehen? Unterschiedliche Elternbeiträge für Klassenlager setzen unterschiedlich hohe Kosten für Essen und Trinken zu Hause voraus. Sind diese Unterschiede in den 160 Gemeinden des Kantons derart ausgeprägt, dass Elternbeiträge für Klassenlager von Schule zu Schule, von Gemeinde zu Gemeinde, von Rüschlikon am Zürichsee bis Trüllikon im Weinland markant von einander abweichen, wie es die Ausführungen des Volksschulamts nahelegen könnten?

Der Präsident der Schulpräsidenten widerspricht

Das scheint unwahrscheinlich, im Gegenteil. Die meisten, wenn nicht alle Gemeinden dürften den Rahmen ausnutzen, den ihnen das Volksschulamt gegeben hat. Die Stadt Zürich verrechnet 22 Franken pro Verpflegungstag mit drei Mahlzeiten, Bäretswil ebenso. Schulpräsident der Oberländer Gemeinde ist Theo Meier, der auch Präsident des Verbands Zürcher Schulpräsidien (VZS) ist. «Die 22 Franken sind der Standard im Kanton», sagt Meier. «Die Gemeinden, mit denen ich diese Woche gesprochen habe, verlangen alle diesen Betrag.» Härtefälle, in denen man finanzschwachen Familien entgegenkomme, gebe es wenige.

Der Präsident der Schulpräsidenten lässt gar durchblicken, dass viele Zürcher Schulgemeinden mehr Geld von Eltern verlangen würden, wenn sie könnten. Die Erwartung des Preisüberwachers indes hält Meier für problematisch. Für die Gemeinden hätten tiefere Elternbeiträge höhere Kosten zur Folge. Der VZS-Präsident sagt: «Ich bin nicht sicher, ob alle Gemeinden da mitmachen wollen. Vielleicht würden einzelne Lager gestrichen.» Man stehe schliesslich unter Spardruck.

Das 8-Franken-Regime würde sich tatsächlich bemerkbar machen. Nach einer Schätzung des Preisüberwachers würden Zürcher Eltern von 9- bis 15-jährigen Schülern mit diesem Tarif über 4,8 Millionen Franken sparen pro Jahr – dieser Betrag würde in den Gemeindekassen fehlen.

Stefan Meierhans erwartet, dass seine Zahlen Kantone und Gemeinden zum Umdenken bringen. Ob das passieren wird, ist offen. Der Preisüberwacher kann nur Empfehlungen machen. Bindend sind seine Botschaften nicht.

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