Sonntag, September 29

Die 32-jährige Juristin galt als Polit-Talent mit grosser Zukunft. Bis sie auf ein Bild von Maria und Jesus schoss.

Das Gemälde trägt den Namen «Madonna mit Kind und dem Erzengel Michael». Geschaffen hat es Tomaso del Mazza, ein florentinischer Maler, im Jahr 1375, zu Beginn der Renaissance. Demnächst wird es beim Auktionshaus Koller in Zürich versteigert, der Schätzrahmen bewegt sich zwischen 150 000 und 250 000 Franken. Einer grösseren Öffentlichkeit war es in der Schweiz bisher nicht bekannt.

Das war, bevor Sanija Ameti beschloss, genau diese Seite des Koller-Katalogs für ihre Schiessübungen zu verwenden, Maria und Jesus rund zwanzig Einschusslöcher zu verpassen und das Bild auf Instagram zu posten. Versehen mit dem Kommentar «abschalten».

Der Wirbel, den sie damit entfacht, ist riesig. Sie entschuldigt sich zwar. Doch das nützt ihr nichts mehr. Mit ihrem Post hat sie sich um ihren Job und wohl auch um ihre politische Karriere gebracht.

Und alle fragen sich: Wie konnte ihr das passieren?

Denn die 32-jährige Juristin ist nicht irgendeine Politikerin. Sie ist Co-Präsidentin der Operation Libero, bekannt für knallig inszenierte Polit-Kampagnen. Sie gilt als Spezialistin für gezielte Provokationen mit gewünschter Wirkung. Davon ist hier aber nichts zu erkennen.

Am Wochenende macht der «Blick» die Geschichte publik. Bis am Montag wird Ametis entschuldigender Post auf dem sozialen Netzwerk X fast 3000-mal kommentiert, zum Teil gehässig, zum Teil hasserfüllt.

Alt-Nationalrätinnen von SVP und Mitte fordern ihren Rücktritt. Die Junge SVP Schweiz reicht Strafanzeige wegen Verletzung der Glaubens- und Kultusfreiheit ein. Gegenüber der NZZ sagt ein Sprecher der Zürcher Kantonspolizei, man habe Kenntnis von Ametis Post und untersuche diesen in strafrechtlicher Hinsicht.

«Gewalttätiger Akt gegen religiöses Symbol»

Religiöse Kreise fühlen sich vor den Kopf gestossen. Auf Anfrage der NZZ sagt Nicolas Mori, der Sprecher der reformierten Kirche Zürich, die Kirche sei nicht besonders empfindlich, wenn es beispielsweise um Karikaturen über religiöse Inhalte gehe. Schliesslich lebe man in einer säkularisierten Gesellschaft.

Aber Ametis Post sei ein «gewalttätiger Akt gegen ein religiöses Symbol». «Es ist schwer nachzuvollziehen, wie jemand so unsensibel sein kann. Unabhängig von den öffentlichen Folgen fragt man sich, ob es da keine innere Hemmschwelle gibt, auf irgendeine Mutter und ihr Kind zu schiessen.»

Bekannt ist, dass Ameti Hobbyschützin ist. Im Sommer nimmt sie gemeinsam mit Zürcher Polit-Grössen wie dem Finanzdirektor Ernst Stocker (SVP) und der Bildungsdirektorin Silvia Steiner (Mitte) am Ratsherrenschiessen in Stäfa teil.

Der «Zürichsee-Zeitung» erzählt sie, sie sei begeistert vom Schiesssport, schiesse im Keller regelmässig mit einem Luftgewehr auf Kaffeerähmli. «Für sie sei schiessen besser als meditieren, erzählt sie mit leuchtenden Augen», heisst es im Zeitungsbericht.

Nachdem sie die Story mit dem Heiligenbild von ihrem Instagram-Account gelöscht hat, schreibt Ameti: «Hello, ich habe Story gelöscht, weil sich Personen in ihren religiösen Gefühlen verletzt fühlen könnten. Als Vorlage für das 10-m-Schiessen habe ich Motive gebraucht, die genug sichtbar sind. Ich hatte nur den Koller-Katalog zur Hand, der gross genug war. Auf den Inhalt der Bilder habe ich nicht geachtet. Das war nicht richtig. Tut mir von Herzen leid, falls ich damit jemanden verletzt habe!»

War es schlicht Gedankenlosigkeit? Oder eine missglückte Provokation?

Gegenüber dem «Blick» sagt sie: «Das war absolut dumm von mir. Ich habe mir nichts dabei überlegt. Es tut mir unglaublich leid.» Auf Medienanfragen antwortet sie inzwischen nicht mehr.

Normalerweise liebt es Ameti, ihre politischen Gegner zu reizen oder Angriffe zu kontern. Sie ist eine politische Aktivistin und setzt sich wie eine Influencerin in Szene. Gerade deshalb ist Ameti der Darling der Medien, gilt für viele lange als die kommende Frau, mit vorgezeichneter Karriere in der Bundespolitik.

Wenn sie im November 2022 im SRF-«Club» über die beiden damaligen SVP-Bundesratskandidaten Albert Rösti und Hans-Ueli Vogt spricht, sagt sie einen Satz, der später berühmt wird: «Ich kann mir politisch betrachtet keinen von ihnen schöntrinken.»

Und als ihr ein Twitter-User unterstellt, sie habe bei SRF einen «Sugardaddy» und bekomme wohl bald eine eigene Sendung, stellt sie ein Video auf Instagram: Sie blickt darin herausfordernd in die Kamera, reisst mit den Zähnen ein Zuckersäckchen auf, öffnet den Mund weit, lässt den Zucker über ihre Zunge rieseln.

Anschauen kann man sich den Beitrag nicht mehr: Ameti hat ihren Account am Montag auf «privat» gestellt und sämtliche Posts gelöscht.

Sie eckt auch bei den Grünliberalen an

Sanija Ameti kommt 1992 im heutigen Bosnien zur Welt. Als sie drei Jahre alt ist, flüchtet sie mit ihren muslimischen Eltern vor dem Jugoslawienkrieg in die Schweiz. Sie sagt, ihre Eltern hätten sich in der Schweiz um jeden Preis anpassen wollen. Sie ist das Gegenteil. Sie will auffallen.

Als sie in die Politik einsteigt, sagt sie Sätze wie: «Es gibt nur einen, der mehr Spass hat in der Schweizer Politik als ich: Christoph Blocher. Darum ist er der Einzige, der mich nicht langweilt.» Oder: «Ich stelle Ansprüche, ich breche Stereotype. Das löst eben Hass aus. Es ist jedes Mal das Gleiche. Es langweilt mich.»

Ihr Problem ist: Auch in der eigenen Partei, den Grünliberalen, eckt sie an. Als es im Herbst 2023 um die Plätze für die Nationalratswahlen geht, setzt die Kantonalpartei sie lediglich auf den 18. Listenplatz. Bei den Wahlen verpasst Ameti den Sprung nach Bern. Dabei wird dort ihr Lieblingsthema, die Europafrage, verhandelt.

Mit der Kommunalpolitik fremdelt sie hingegen. Sichtbar mit Verve setzt sie sich im Stadtparlament, in dem sie seit 2022 sitzt, lediglich einmal ein: als es um das Bussenregime in der gesperrten Langstrasse geht, über das sie sich aufregt.

Parteikollegen im Kanton Zürich nerven sich hinter vorgehaltener Hand schon länger über Ameti: Ihr gehe es nur um Selbstinszenierung. Zürcher Politik interessiere sie nicht besonders. Letzteres hat sie selbst auch schon eingestanden.

Eine Politikerin, die im Sperrfeuer der öffentlichen Kritik steht, ist auf Freunde in der Partei angewiesen. Doch die GLP distanziert sich nach dem Zielscheiben-Vorfall unmissverständlich. Niemand setzt sich für sie ein.

Jürg Grossen, der Präsident der nationalen Partei, spricht von einer «Riesendummheit, die nicht entschuldbar ist». Und die kantonale GLP schreibt auf X: «Der Instagram-Beitrag von Sanija Ameti widerspiegelt in keiner Weise die Werte der Grünliberalen.»

Am Montagnachmittag wird zunächst publik, dass Ameti «in gegenseitigem Einvernehmen» aus der kantonalen Parteileitung austritt. Dort war Ameti für das Ressort Kommunikation und Kampagnen zuständig.

Dann, keine zwei Stunden später, kommt die Nachricht von der GLP Schweiz: Diese strebt ein Ausschlussverfahren gegen Ameti an, weil ihr Verbleib dem Ansehen der Partei schade. «Ein solcher Post kann als Ausdruck von Hass und Gewalt verstanden werden. Das hat in der GLP keinen Platz.»

Sie solle Verantwortung übernehmen und von sich aus die Partei verlassen. Zuständig für das Ausschlussverfahren ist die Stadtzürcher Kreispartei 4 und 5. Diese äussert sich derzeit nicht.

Und schliesslich, ebenfalls am späten Montagnachmittag, wird bekannt, dass Ameti ihren Consultant-Job bei der PR-Agentur Farner aufgeben wird.

Ameti sagte in einem Radio-Interview einmal: «Ich liebe das Spiel mit den Medien einfach.» Womöglich hat sie dieses Spiel zu weit getrieben. So weit, dass sie verkannte, was das Bild der durchlöcherten Gottesmutter auslösen würde.

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