Der Onlinehändler beordert seine Mitarbeiter zurück ins Büro, in der Schweiz schränken der Industriekonzern Sulzer und weitere Firmen die Home-Office-Möglichkeiten ein. Sind das Ausnahmen, oder ist es ein Trend?
Mit «Hey Team» hatte sich Amazon-Chef Andrew Jassy in diesen Tagen an seine Belegschaft gewandt. In einer länglichen Botschaft skizzierte der CEO des Onlinehändlers, wie er die Firmenkultur stärken will.
Und dann, gegen Schluss, kam der Hammer: «Wir erwarten, dass die Mitarbeiter im Büro anwesend sind, es sei denn, es liegen unvorhergesehene Umstände vor.» Als Gründe für eine Ausnahme von dieser Regel nennt er das Pflegen eines kranken Kindes oder Arbeiten, die eine hohe Konzentration erfordern.
Sulzer, Schindler und andere werden restriktiver
Nach der Corona-Pandemie hatte sich bei vielen Unternehmen eine Praxis mit einem Recht auf zwei bis drei Arbeitstage im Home-Office etabliert. Doch seit geraumer Zeit stellen verschiedene Firmen diese Modelle wieder infrage und pochen auf Anwesenheit im Büro.
Zu den Schweizer Konzernen, die Home-Office strenger handhaben, gehört beispielsweise Schindler. Der Liftbauer hatte auf Anfang Mai die Möglichkeit zur Heimarbeit stark eingeschränkt und an Bedingungen geknüpft. Bereits früher hat das Pharmaunternehmen Novartis wieder mehr Präsenz im Büro eingefordert. Dies nachdem die Firma während der Pandemie noch mit «Home-Office für immer und für alle» geworben hatte.
Wie der «Blick» schreibt, hat nun auch der Industriekonzern Sulzer diesbezüglich die Schraube angezogen und für rund 400 Mitarbeitende die Präsenzpflicht verschärft. Home-Office sei bei Sulzer «in speziellen Fällen» weiterhin möglich, «sofern es mit der Aufgabe vereinbar ist, und in Absprache mit dem Vorgesetzten», wird eine Sprecherin zitiert.
Begründet wird die Massnahme damit, dass physische Präsenz den Teamgeist stärke und die Produktivität fördere. Es sind ähnliche Argumente, wie sie der Amazon-Chef in seiner Botschaft formuliert.
Sind Firmen, die grundsätzlich die physische Anwesenheit der Mitarbeiter verlangen, Ausreisser – oder einfach Vorreiter auf dem Weg zurück zu einer Arbeitswelt, wie sie vor der Covid-Zeit bestanden hat?
Laut einer aktuellen Umfrage der Berater von KPMG prophezeien 83 Prozent der befragten Unternehmensführer eine mehr oder weniger vollständige Rückkehr der Belegschaft ins Büro innerhalb der kommenden drei Jahre. Diese Zahl sollte nicht überbewertet werden, da sie stark schwankt: Vor einem halben Jahr waren es erst 34 Prozent und vor einem Jahr wiederum 64 Prozent.
Aber die Vermutung, dass viele Firmen rund zweieinhalb Jahre nach der Pandemie ihr Home-Office-Regime überprüfen und dabei allfällige Exzesse korrigieren, trifft sicher zu – auch Unternehmen, die das Verhalten ihrer Mitarbeiter zu Hause nicht elektronisch überwacht haben.
Dreht der Wind am Arbeitsmarkt?
In der Vergangenheit hat sich verschiedentlich gezeigt, dass Heimarbeit in Firmen mit einer Art Zwei-Klassen-Gesellschaft tendenziell einen schwereren Stand hat – also in Betrieben, in denen ein grosser Teil der Belegschaft gar nicht im Home-Office arbeiten kann. Privilegien des Büropersonals könnten als unsolidarisch wahrgenommen werden. Ein Beispiel ist der Detailhändler Coop, bei dem der grösste Teil der Angestellten in Läden und Logistik tätig ist. Ähnlich bei Amazon.
Grosszügige Home-Office-Regelungen galten bisher eigentlich als wichtiger Faktor im Wettstreit um neue Mitarbeiter, insbesondere jüngere Generationen und Frauen.
Wenn nun Firmen vermehrt auf solche Möglichkeiten verzichten, könnte das auch ein Hinweis darauf sein, dass sich die Lage am Arbeitsmarkt zugunsten der Unternehmen entwickelt hat – und die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer abgenommen hat. Aus der Amazon-Belegschaft kamen nach der Veröffentlichung der neuen Regeln Vorwürfe auf, der Konzern ziele mit dem Schritt darauf ab, dass unzufriedene Mitarbeiter kündigen, was dem Management einen Stellenabbau erspare.
Langfristig sinkender Bürobedarf
Von einer tiefgreifenden Veränderung des Arbeitsverhaltens zu Vor-Corona-Zeiten ist jedenfalls bis jetzt noch nichts sichtbar. Das Ifo-Institut stellt in einer aktuellen Publikation für Deutschland seit Frühjahr 2022 eine Stabilisierung der Home-Office-Quote fest. Der Anteil der zumindest teilweise zu Hause arbeitenden Beschäftigten an der Erwerbsbevölkerung ist in dieser Periode von 25 auf 23,4 Prozent im August 2024 nur minim gesunken.
Allerdings ist in diesen Zahlen nicht erkenntlich, ob oder wie stark sich die Anzahl Home-Office-Tage verändert hat. Die Verfasser der Ifo-Studie gehen jedenfalls davon aus, dass der Bedarf an Büroflächen längerfristig wegen Home-Office um 12 Prozent zurückgeht.
Dass auch die Schweizer Politik nicht mit dem Verschwinden des Home-Office rechnet, zeigte sich erst gerade in diesen Tagen. So wurde ein Gesetzesprojekt zur Telearbeit in die Vernehmlassung geschickt. Dieses sieht eine flexiblere Arbeitszeitregelung vor, wenn Leute von zu Hause aus arbeiten.