Ausländer, Minderjährige – der digitale Asyl-Appell der SP kann jeder so oft «unterzeichnen», wie er will.
Wenn die drei Parteien, die sich (auf dem Papier) bürgerlich geben, im Nationalrat zusammenstehen, wird es schwer für die Ratslinke. So wie in der ausserordentlichen Asyl-Session. Mit den Stimmen der FDP und der grossen Mehrheit der Mitte wurde am vergangenen Dienstag eine SVP-Motion überwiesen, deren Auftrag an den zuständigen Bundesrat, SP-Mann Beat Jans, klar ist: vorläufig Aufgenommenen den Familiennachzug verbieten.
Vorläufig Aufgenommene sind Migranten, die keinen Asylgrund haben geltend machen können und deshalb die Schweiz eigentlich verlassen müssten. Wenn die Wegweisung von den Behörden als nicht möglich, nicht zumutbar oder nicht zulässig eingeschätzt wird, werden sie indes geduldet. Bis auf weiteres – und meist darüber hinaus. Mit dem Verbot des Familiennachzugs wollen die Bürgerlichen die Attraktivität des Status F nicht noch weiter steigern.
Zu komplex für Nationalrat?
Knapp 24 Stunden nach dem Nationalrat hätte der Ständerat das Geschäft besiegeln und den Auftrag an Jans übergeben können. Eine gleich lautende Motion der SVP-Ständerätin Esther Friedli wäre eine reine Formsache gewesen. Die kleine Kammer tritt in Migrationsfragen seit geraumer Zeit selbstgewiss konservativ auf. Den Familiennachzug aus Drittländern für Schweizer Staatsangehörige hatte der Ständerat zuvor bereits abgelehnt. Man befürchtet, dass eingebürgerte Schweizer ihre Eltern nachziehen – vor allem in das hiesige Gesundheitssystem.
Doch der Ständerat sagte die ausserordentliche Asyldebatte kurzerhand ab. Matthias Zopfi hat in einem Rückweisungsantrag gebeten, die Motion nochmals in der Kommission zu besprechen. Der Grüne-Ständerat machte «grundrechtliche und praktische Fragen» beim Familiennachzug geltend, die Thematik weise schliesslich eine «gewisse Komplexität» auf. Das tönte ein wenig so, als ob die Nationalräte dem Asyldossier nicht gewachsen wären.
Darüber hinaus begründete Zopfi die Verzögerung mit einem anderen Volkswillen – obwohl doch gerade der Nationalrat das Schweizervolk vertritt. «Offenbar wurde auf heute noch ein Appell zu diesem Thema lanciert», sagte er im Plenum und meinte damit eine Online-Petition der SP. Diese fordert den Ständerat auf, den «SVP-Angriff auf Flüchtlingsfamilien» sofort zu stoppen und den «unmenschlichen Entscheid» des Nationalrats zu korrigieren.
Innert 24 Stunden hätten über 120 000 Menschen den Appell «unterzeichnet», jubelte die SP, nachdem der Ständerat Zopfis Antrag zugestimmt hatte. «Gemeinsam konnten wir einen derart gewaltigen Druck erzeugen, dass es den Ständerat dazu bewogen hat, den Vorstoss an die zuständige Kommission zurückzuweisen.»
Mit den vielen Unterschriften will die SP aufzeigen, dass das Migrationsthema ausserhalb des Bundeshauses gar keines sei. Die Asylbewerber würden den meisten Menschen gar nicht auffallen, sagte Samira Marti in der «Samstagsrundschau» von Radio SRF. Von den vielen Umfragen zum Thema sowie den vergangenen nationalen Wahlen lässt sich die SP-Fraktionschefin nicht beeindrucken. Wozu auch, wenn ihr innert 24 Stunden über 120 000 Menschen recht geben?
Dabei handelt es sich bei diesen angeblichen Unterschriften eigentlich nur um ein paar Klicks. Wie ein Selbsttest zeigt, kann man innert weniger Minuten eine Vielzahl von vermeintlichen Beglaubigungen abgeben. Es braucht lediglich (irgendeine) gültige Handynummer. Und selbst wenn man eine falsche E-Mail-Adresse hinterlässt, kommt am Schluss die Meldung: «Danke! Jede Unterschrift ist wichtig, um den Druck auf den Ständerat zu erhöhen.»
Wenn es für die mehrfache Stimmabgabe keinerlei Hürden gibt, liegt der Verdacht nahe, dass hier die gut organisierten SP-Sympathisanten leichtes Spiel haben, die Zahlen nach oben schiessen zu lassen. Ist der Asyl-Appell nur ein Fake, ein weiterer Unterschriften-Bschiss, nachdem bekannt wurde, dass dubiose Firmen in der Westschweiz beim Sammeln für Initiativen Unterschriften gefälscht haben? «Je mehr wir sind, desto eher können wir verhindern, dass auch der Ständerat der SVP folgt», hiess es im SP-Appell, der in den sozialen Netzwerken schnell die Runde machte. Auch Minderjährige und Ausländer können den Aufruf zigfach «unterzeichnen».
Nicht verbindlich
Auf die Frage nach der Mehrfachnutzung geht das SP-Sekretariat nicht direkt ein. «Wir haben keinerlei Hinweise darauf, dass hinter den gut 135 000 Petitionär:innen keine realen Personen stehen würden», schreibt die Mediensprecherin Lena Allenspach. Im Gegensatz zu Initiativen und Referenden würden die Unterschriften bei Petitionen nicht beglaubigt. Dies sei Teil «unseres politischen Systems». Was man noch hinzufügen könnte: Im Gegensatz zu Initiativen und Referenden sind Petitionen unverbindlich.
Umso erstaunlicher ist es, dass sich Esther Friedli davon beeindrucken liess – zumindest hat sie sich nicht gegen Zopfis Rückweisungsantrag gewehrt. Statt die Asylgesetze zu verschärfen, wie es die Volkspartei pausenlos fordert, liess sich die SVP-Programmchefin überreden, die ausserordentliche Asyl-Session abzublasen. Bei der FDP und der Mitte, die Friedlis Motion unterstützt hätten, staunte man nicht schlecht.
Damit hat der Asyl-Appell der SP – ob frisiert oder nicht – in der Realität sehr wohl etwas bewirkt. Er zeigt, dass in Bundesbern vermeintliche Hardliner plötzlich weich werden, wenn es ihnen opportun erscheint. Wie vielen anderen werden auch Friedli Bundesratsambitionen nachgesagt. Wenn es eines Tages dazu kommen sollte, braucht sie auch Stimmen der Linken – echte Stimmen.