Das Wirtschaftswachstum, der Exportsektor und die Finanzpolitik gelten als Wettbewerbsvorteile der Schweiz. Auf den ersten Blick ist das berechtigt, auf den zweiten weniger.
Im Ausland blickt man oft neidvoll auf die Schweiz. Die hiesige Wirtschaft gilt als Musterschülerin. Das spiegelt sich in globalen Rankings zur Wettbewerbsfähigkeit. Auf diesen Ranglisten findet sich die Schweiz zumeist weit oben. Doch sind die Spitzenpositionen berechtigt? Die Ökonomen der UBS haben Zweifel.
In ihrem jüngsten Wirtschaftsausblick werfen die UBS-Ökonomen einen kritischen Blick auf drei vermeintliche Erfolgsfaktoren der Schweiz. Es sind dies das Wirtschaftswachstum, die Exporte und die Finanzpolitik. Gezeigt wird, dass die Schweiz hier nur auf den ersten Blick glänzt. Auf den zweiten zeichnen sich Probleme ab:
1. Schwaches Pro-Kopf-Wachstum
Die Schweiz ist seit dem Jahr 2000 in absoluten Werten stark gewachsen: Kumuliert und real lag die Expansion bei fast 50 Prozent. Das ist weit mehr als beispielsweise in Deutschland und der Euro-Zone, wo das Plus bei ungefähr 30 Prozent lag. Hingegen schnitten die USA besser ab, mit einem Wachstum von 55 Prozent.
Das ist aber nur die halbe Geschichte. Denn die Bevölkerungszunahme in diesem Zeitraum verzerrt die Statistik. Stellt man die Frage, was der Einzelne vom Wachstum hat, ist die Leistung weniger glanzvoll. Denn pro Kopf wuchs die Schweizer Wirtschaft nur um 23 Prozent. Das ist weniger als in Deutschland (25 Prozent), dem angeblich «kranken Mann Europas», oder den USA (31 Prozent).
Die Schweiz wächst somit seit Jahren stark in die Breite. Das Wachstum der Wirtschaft wird massgeblich genährt von einer anhaltend hohen Zuwanderung, die dazu geführt hat, dass die Population seit 2000 um über einen Fünftel gestiegen ist. Die Schlüsselfrage: Was tun, damit die Schweiz beim Wirtschaftswachstum pro Kopf nicht weiter zurückfällt?
Die UBS sieht Potenzial am Arbeitsmarkt. Zwar ist die Erwerbsquote mit 84 Prozent schon hoch. Doch bei Personen ab 65 Jahren liegt die Quote mit 12 Prozent nur halb so hoch wie in den USA. Hier liegen noch viele Arbeitsstunden brach. Zudem besitzt die Schweiz den zweithöchsten Anteil an Teilzeitarbeit im Vergleich mit EU-Staaten.
2. Klumpenrisiko Pharma bei Exporten
Als Erfolgsfaktor der Schweiz gilt gemeinhin auch die Exportwirtschaft. So haben sich die Ausfuhren seit 2000 nominal mehr als verdoppelt, real um 40 Prozent erhöht. Dahinter steht aber primär die Pharmabranche. Seit 2000 sind deren Ausfuhren wertmässig um 375 und real um 120 Prozent gestiegen. Der Sektor macht über 40 Prozent der Warenexporte aus.
Die UBS spricht von einem Konzentrationsrisiko. Und meint, dass die Abhängigkeit vom Pharmasektor stark gestiegen ist. Zwar liefert auch die Uhrenindustrie dank gefragten Luxusmodellen wichtige Impulse. Bei Sektoren wie Maschinen und Elektronik waren die Exporte hingegen in den letzten rund 20 Jahren rückläufig, sowohl nominal als auch real.
Heikel ist das Klumpenrisiko aus einem Grund: Der Vorsprung der Pharmabranche gegenüber der Konkurrenz, etwa Anbietern aus China, schrumpft. Entsprechend wichtig ist es aus Sicht der UBS, das Innovationspotenzial im Land besser auszuschöpfen. Als Bremsfaktor wird auf die Vielzahl regulatorischer Hürden bei Firmengründungen oder Produktzulassungen verwiesen.
3. Staatsfinanzen in der Demografie-Falle
Wenn die Schweiz als Musterschülerin gelobt wird, dann auch aufgrund der geringen Verschuldung. Der Anteil der Staatsschulden an der Wirtschaftskraft ist seit 2000 von 52 auf 39 Prozent gesunken. In dieser Zeit verdoppelte sich Amerikas Schuldenquote. Und auch in Staaten wie Frankreich oder Grossbritannien liegt die Quote schon über 100 Prozent.
Doch auch dieser Trumpf muss relativiert werden. Denn finanzpolitisch warten grosse Herausforderungen. Dazu gehören das Netto-Null-Ziel für Treibhausgasemissionen ebenso wie die notwendige Aufstockung der Militärausgaben. Peilt man beim Wehretat das Nato-Ziel von 2 Prozent der Wirtschaftskraft an, entstehen jährliche Mehrausgaben von über 10 Milliarden Franken.
Als grösste Herausforderung betont die UBS die demografische Alterung. Bleiben beispielsweise bei der AHV griffige Massnahmen aus, droht laut dem Bund bis 2060 ein Anstieg der Schuldenquote um 20 Prozentpunkte. Damit wären die finanzpolitischen Fortschritte der letzten 30 Jahre zunichtegemacht.
Man muss die Analyse der UBS nicht vorbehaltlos teilen. Neben den drei Herausforderungen gäbe es viele weitere. Dazu gehören der wachsende Staatssektor ebenso wie die damit verbundene Überregulierung oder die zusehends überlastet wirkende Infrastruktur. Was die Studie aber zeigt: Ein Standortvorteil kann rasch erodieren, wenn man ihm nicht kontinuierlich Sorge trägt.