Sonntag, November 24

Eigentlich wollte sie vor zwanzig Jahren nur einer älteren Dame bei der Arbeit helfen. Heute ist Billi Bierling Leiterin der Himalayan Database, welche die Expeditionen in den Bergen Nepals aufzeichnet. Ihre eigenen Beobachtungen hat die Alpinistin und Journalistin nun in Buchform niedergeschrieben.

Ihre Liebe zu den Bergen entdeckte sie vergleichsweise spät: Erst mit 24 Jahren begann Billi Bierling, an Felsen zu klettern. 1998 reiste die in Garmisch-Partenkirchen geborene Kosmopolitin mit Schweizer Staatsbürgerschaft erstmals nach Nepal – und verliebte sich in das Land. 2004 gab sie ihren Journalistenjob beim in Bern ansässigen Schweizer Radio International auf und zog nach Kathmandu. Dort begann sie der «Everest-Chronistin» Elizabeth Hawley beim Sammeln von Daten für die Himalayan Database zu helfen. Zu diesem Zweck interviewte sie regelmässig Expeditionsteams vor und nach der Gipfelbesteigung. 2016 übergab die damals 92-jährige Miss Hawley, die 2018 starb, die Verantwortung für die Datenbank ganz an Billi Bierling.

Billi Bierling steigt aber auch selbst auf hohe Berge. Sie stand bisher auf sechs der vierzehn Achttausender. Wenn sie nicht in den Bergen ist, arbeitet sie als Kommunikationsexpertin für die Humanitäre Hilfe der Schweiz. Seit mehr als zwanzig Jahren ist sie ausserdem als freie Journalistin und Übersetzerin für verschiedene Online- und internationale Alpinismus-Medien tätig. Ihre Erfahrungen und Beobachtungen an den höchsten Bergen der Welt hat sie nun in einem Buch festgehalten. «Ich hab ein Rad in Kathmandu» ist im Februar erschienen.

Wir erreichen Billi Bierling telefonisch bei ihrer Laufrunde in Garmisch-Partenkirchen, wo ihre Mutter wohnt.

Frau Bierling, zum Aufwärmen für dieses Gespräch ein paar schnelle Fragen. Es geht gleich los mit der ersten: Bern oder Kathmandu?

Kathmandu, weil es so ganz anders ist. Ich mag Bern sehr und auch Garmisch, aber das Chaos, das fehlt mir in Europa. Das habe ich in Kathmandu.

Bayrische Weisswürste oder Schweizer Raclette?

Keines von beidem, ich ernähre mich vegan. Am ehesten wohl Dal Bhat, das nepalesische Nationalgericht aus Reis und Linsen.

Journalismus oder Berge?

Ich brauche beides. Das lässt sich ja auch schön verbinden.

Laufschuhe oder Fahrrad?

Laufschuhe, auch wenn ich mein Fahrrad liebe.

«You are a restless soul. If you were a child, you would be diagnosed with hyperactivity», soll Elizabeth Hawley, die Begründerin der Himalayan Database, einmal zu Ihnen gesagt haben. So jedenfalls ist es in Ihrem Buch nachzulesen. Sind Sie tatsächlich schwer zu fassen?

Ich bin eine rastlose Seele, stimmt. Interessanterweise hat mein Papa auch immer gesagt: «Ich konnte dich nie fassen, du bist immer weg.» Ich brauche ständig neue Inputs, muss etwas Neues sehen.

Seit knapp zwanzig Jahren arbeiten Sie für die Himalayan Database. Wie kamen Sie überhaupt auf die Idee, für die in Alpinkreisen bekannte Chronistin Elizabeth Hawley zu arbeiten?

Ich wollte eine Zeitlang in Nepal leben, weil ich das Land so schön fand. Da fiel mir Miss Hawley ein, die ich ein paar Jahre vorher kennengelernt hatte. Ich habe ihr einen Brief geschrieben und eigentlich nicht mit einer Antwort gerechnet. Aber es kam ein Brief zurück. Ich wollte eine oder zwei Saisons für sie arbeiten. Nach fast zwanzig Jahren bin ich noch immer dabei und sogar in verantwortlicher Position.

Dabei hat Miss Hawley irgendwann aufgehört, Sie für die Arbeit zu bezahlen.

Anfangs bekam ich noch 500 Rupien, ungefähr 5 Franken 60, pro Interview mit den Alpinisten. Das war nicht schlecht. Irgendwann hat Miss Hawley die Zahlungen eingestellt, weil ich zu viele Interviews machte und es für sie zu kostspielig wurde. Ich kann und konnte es mir leisten, weil ich gute Einkünfte mit meinen anderen Tätigkeiten habe. Was ich von Miss Hawley bekommen habe, ist mit keinem Geld dieser Welt zu bezahlen. Ich durfte sie kennenlernen wie nur wenige. Und die Arbeit mit ihr hat mir viele Türen geöffnet.

Wobei die Arbeit gar nicht so einfach war – und es nach wie vor nicht ist. Agenturen, Expeditionsveranstalter, Bergsteiger, alle haben ihre eigenen Befindlichkeiten und Erwartungen, wie Sie in Ihrem Buch berichten . . .

Ich bin etwas blauäugig an die Sache herangegangen, wollte einfach nur einer älteren Dame bei der Arbeit helfen. Die Schwierigkeit dabei war: Miss Hawley war anerkannt, und dann kam da plötzlich diese junge Frau, die die gleichen Infos einholen wollte. Irgendwann habe ich eine Trekking-Tour geleitet, und schon war das Problem da: Es gab das Gerücht, ich würde Kundendaten abgreifen und sie an andere Agenturen weitergeben. Ich musste viel Schadenbegrenzung betreiben. Es gibt aber tatsächlich noch heute Agenturen, die nicht mit mir reden wollen.

Was waren bis jetzt die schönsten Momente bei Ihrer Arbeit für die Database?

Zum Beispiel die Interviews, die ich vor anderthalb Jahren mit den drei Ukrainern führte, die auf die Annapurna III gestiegen waren. Mit Ueli Steck und David Lama hatte ich gute Gespräche ausserhalb der Datenbank. Gerlinde Kaltenbrunner ist zu einer meiner besten Freundinnen geworden.

Und der schwierige Teil?

Wenn die Menschen, die man kennt, nicht mehr zurückkommen – wie Ueli Steck oder die Amerikanerin Hilaree Nelson. Oder wenn man bei einem Interview zu dem Schluss kommt, dass die Leute gar nicht auf dem Gipfel waren, und ihnen das dann sagen muss. Miss Hawley fehlt mir schon. Sie ist nun seit gut fünf Jahren nicht mehr unter uns. Früher konnte ich mich auf sie berufen, jetzt muss ich selbst hinstehen.

Miss Hawley hat 1963, als es zum ersten Mal eine amerikanische Expedition auf den Mount Everest schaffte, mit ihrer Chronisten-Arbeit begonnen. Braucht es diese Datenbank heute eigentlich noch?

Damals war das relevant. Soziale Netzwerke, Blogs, alpinistische Online-Zeitschriften gab es ja nicht. Unsere Datenbank kann historisch viel leisten. Wir können Auskunft darüber geben, auf welcher Route eine bestimmte Expedition auf einen Berg gestiegen ist. Wir erfassen heute auch alle Erstbegehungen. Die Himalayan Database ist zwar nicht die einzige, sie ist aber eindeutig die kompakteste Quelle für alles, was den nepalesischen Himalaja betrifft.

Kann denn bei der Menge an Menschen, die sich mittlerweile an den Achttausendern herumtreiben, noch annähernd Vollständigkeit erreicht werden?

Wir bekommen viele Daten vom Tourismusministerium. Anders wäre unsere Arbeit tatsächlich nicht zu bewältigen. Als ich bei Miss Hawley begann, waren es ein paar wenige, die alle vierzehn Achttausender besteigen wollten. Heute ist das ein Trend, und zwar auch bei Menschen, die eigentlich keine Alpinisten sind.

. . . und die es auch nicht immer so genau nehmen mit dem, was sie erzählen – manchmal sogar Fotos fälschen. Wäre es nicht auch die Aufgabe der Himalayan Database, hier mehr Klarheit zu schaffen?

Der Everest, so wie ich ihn bestiegen habe, also mit Sauerstoffflasche und Sherpa, und der Everest, wie Gerlinde Kaltenbrunner ihn geschafft hat, ohne Flaschensauerstoff und ohne Sherpa, das sind zwei verschiedene Berge. Ganz klar. Vielleicht müsste man das tatsächlich deutlicher machen. In der Datenbank wird es auf jeden Fall notiert.

In Ihrem Buch schreiben Sie ausführlich über Miss Hawley und erstaunlich wenig über Ihre eigenen Expeditionen.

Es gibt so viele Bergsteigerbücher. Davon wollte ich mich mit meinem Buch abheben. Ich habe das Privileg, so viele Anekdoten gesammelt zu haben. Darüber und über die vielen Begegnungen zu schreiben, fand ich spannender, als ein weiteres Bergsteigerbuch zu verfassen.

Was erwarten Sie denn für die bevorstehende Saison? 2023 ist ja ein besonderes Jahr: Wir feiern das 70-Jahr-Jubiläum der Erstbesteigung des Mount Everest.

Ich erwarte viele Menschen. Man würde meinen, dass die Leute bei der jetzigen Weltlage nicht mehr so viel Geld hätten. Aber das stimmt nicht. Die Leute, die auf die hohen Berge wollen, machen es irgendwie möglich. Ob es Rekordzahlen am Mount Everest geben wird, weiss ich nicht. Aber es werden gewiss nicht weniger sein als im vergangenen Jahr. Das gilt auch für die anderen Achttausender, weil es mittlerweile unvorstellbar viele Frauen und Männer gibt, die die vierzehn Himalaja-Riesen in Angriff nehmen wollen.

Das Buch: Billi Bierling (mit Karin Steinbach): Ich hab ein Rad in Kathmandu. Mein Leben mit den Achttausendern. Tyrolia-Verlag, Innsbruck. 256 S., Fr. 37.90.

Am 31. März findet eine Buchpräsentation mit Billi Bierling in Bern statt: Alpines Museum, Helvetiaplatz 4, 18.30 Uhr.

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