Sdrawka Ewtimowas Kurzgeschichten in «Maulwurfsblut» führen tief in die Tristesse eines Landes.
Die Kulissen des Patriarchats stehen noch, die Männer aber arbeiten im Ausland, weshalb die Frauen einsam sind, jedoch einfallsreich – Sdrawka Ewtimowas knappe Erzählungen führen in ein befremdliches Bulgarien. Es ist höchst gegenwärtig und zugleich anachronistisch, brutal und märchenhaft, nicht zuletzt feministisch und chauvinistisch-oligarchisch. Ein spöttisches Lachen gibt es obendrein.
In der Geschichte «Hunger» fällt Teo, dem das Städtchen zur Hälfte gehört, eine junge Angestellte auf. Einen breiten Mund hat Maria, und ihre dünnen nackten Beine stechen aus der kurzen Hose hervor «wie in die Schuhe geschlagene Nägel». Sie beachtet ihn nicht, all ihre Aufmerksamkeit gehört Essbarem.
Den Hunger vermacht
Seit ein Arbeiter, den sie wohlgefällig betrachtet hatte, von Teo gefeuert wurde, stopft sie sich rund um die Uhr voll mit allem, was sie kriegen kann, Sauerampfer, Erdbeeren, Kirschen. Teo lädt sie wie jede Frau, die er haben will, ins Restaurant ein und staunt, wie Maria «betont langsam» die halbe Speisekarte verputzt, immer noch ohne einen Blick für ihn. Dafür folgt sie ihm seelenruhig in sein Schlafzimmer und verlässt es genauso gleichmütig wieder. Nach der zweiten, für Teo denkwürdigen Nacht ist sie jedoch verschwunden und vermacht ihm den Hunger . . .
In «Maulwurfsblut», ihrer ersten Veröffentlichung auf Deutsch, verschwendet Sdrawka Ewtimowa kein Wort. Die 1959 geborene Schriftstellerin und Übersetzerin lebt in Pernik bei Sofia, dem heruntergekommenen Zentrum der sozialistischen Schwerindustrie Bulgariens, und arbeitet seit mehr als zwanzig Jahren im Verteidigungsministerium. Acht Erzählungsbände und sechs Romane hat sie bisher publiziert. In «Maulwurfsblut», einer Auswahl aus drei Büchern, bewahren sich meist Frauen einen erstaunlichen Eigensinn. Und weil die Verhältnisse so sind, wie sie sind, klingen die Geschichten bald nach Slapstick, bald nach Western, Märchen oder Mythos.
Immer aber ist Bulgarien leer. Die Männer arbeiten in Italien oder Spanien, die Dörfer veröden, und die drei Nebenerwerbsbäuerinnen in «Zeit zum Mähen» werden des wuchernden Grases nicht Herr. Zwanzig Jahre lang war im Juli ein Mann gekommen, hatte gemäht und des Nachts Weiteres getan, was nur daran zu bemerken war, dass die Mutter morgens müde zurückkam und der Mann nicht bezahlt wurde. Irgendwann blieb er weg. Später kam, ein Jahr nur, ein zittriger Alter, der zur Freude der Grossmutter mähte. Nun ist Milena an der Reihe, einen vielseitigen Mann zu finden.
Ungelenk selbstbewusst
Wie Milena sind Ewtimowas Frauenfiguren oft: hochgewachsen und etwas ungelenk selbstbewusst. Mit dem ihnen zugedachten Leben finden sie sich nicht ab. Die Cafébesitzerin erwählt sich neue Partner, solange ihr Mann in Italien arbeitet; die Ehefrau verscherbelt die gesamte Einrichtung der gemeinsamen Wohnung bis zum Badewannenstöpsel und hinterlässt dem geldfixierten, im Ausland lebenden Mann Säcke voller Quittungen; die Professorenmutter sorgt für eine ihr genehme Schwiegertochter, indem sie einer jungen Philologin eine rare Klassikerausgabe als Mitgift des Sohnes verspricht.
Etwas erwartbarer sind die letzten Erzählungen des Bandes, in denen Worte und Fiktionen die Grenze zur Wirklichkeit überschreiten. Aber auch sie besitzen Sdrawka Ewtimowas so brüsken wie zärtlichen Ton, der das Aufbegehren ehrt und doch staunend das Geheimnis dessen, was dann geschieht, wahrt. Eine seltene Mischung.
Zdravka Evtimova: Maulwurfsblut. Kurzgeschichten. Aus dem Bulgarischen von Andreas Tretner, Elvira Bormann-Nassonowa und Alexander Sitzmann. Eta-Verlag, Berlin 2024. 192 S., Fr. 33.90.