Freitag, September 27

Der Experte und Unternehmer ärgert sich über den bizarren Schweizer Markt, in dem die günstigen Anbieter Opfer ihres Erfolgs werden.

Im Herbst, wenn die Liste mit den günstigsten Krankenkassenprämien im Kanton Zürich veröffentlicht wurde, tauchte eine Name jahrelang ganz zuoberst auf: jener der Krankenkasse Wädenswil. Und weil ihr langjähriger Geschäftsführer Felix Waldmeier wollte, dass das so bleibt, versuchte er mit seinem Betrieb möglichst klein und unsichtbar zu bleiben. Das ist lange gut gegangen.

In der Rangliste für 2025, die seit Donnerstagnachmittag bekannt ist, belegt die Krankenkasse Wädenswil zwar immer noch einen Spitzenplatz. Zumindest in den Gemeinden ausserhalb der Stadt Zürich. Doch sie hat ihre Prämien um satte 11 Prozent angehoben, das ist fast doppelt so viel wie der landesweite Durchschnitt der diesjährigen Runde. Was zudem auffällt: Die Kasse ist innert eines Jahres rasant gewachsen, von 13 000 Versicherten auf 21 000.

Ist dies das Ende eines Sonderfalls? Waldmeier, ursprünglich ein Landwirt, der die Krankenkasse einst als Einmannbetrieb führte, hat ihre Leitung im Sommer nach fast 36 Jahren abgegeben. Als Präsident ist er aber weiterhin sehr engagiert. Das macht sich sofort bemerkbar, als er das Telefon abnimmt.

Herr Waldmeier, Sie sagten stets, dass Sie mit Ihrer Kasse unter dem Radar bleiben und nicht wachsen wollen. Was ist da falsch gelaufen?

(lacht) Wir sind leider etwas zu attraktiv geworden, weil wir so günstig sind. Die Leute reagieren empfindlich auf die starken Prämienschübe der letzten Jahre und wechseln rascher als früher. Für eine Kleinkasse wie uns kann das schnell zum Problem werden. Wir haben in einem einzigen Jahr 8000 zusätzliche Kunden gewonnen. Das klingt nicht nach viel in einem Kanton wie Zürich, aber für uns bedeutet es ein Wachstum um über 60 Prozent. Das war ganz klar nicht unser Ziel – das muss ich Ihnen sagen.

Sie sind Opfer Ihres eigenen Erfolgs?

Ja, das ist genau das Problem. Wir müssen die Prämien jetzt anheben, um uns zu schützen. Damit nicht jeder zu uns kommt.

Das ist der Grund, weshalb Ihre Prämien so stark steigen?

Das tönt jetzt vielleicht seltsam, aber wir können es uns eigentlich nicht mehr leisten, die billigsten zu sein. Wir müssen die Zahl der Versicherten wieder runterbekommen. Allerdings auch nicht zu sehr, wir wollen ja nicht, dass alle gehen. Aber das rasche Wachstum bringt uns nichts und es bringt auch dem Versicherten nichts.

Warum?

Wir müssen viele Rückstellungen bilden und die Reserven aufstocken, weil wir nicht wissen, was da auf uns zukommt. Unsere bisherigen Kunden kennen wir, aber die Neuen sind eine Blackbox: Wie lange liegen die nächstes Jahr im Spital?

Sind denn besonders viele Kranke zu Ihnen gestossen?

Nein, bis jetzt sieht es sogar eher danach aus, als wären die neuen Mitglieder sehr gesund – aber auch das ist ein Problem. Wenn viele Gesunde kommen, müssen wir mehr in den Risikoausgleich zahlen. Wir reden hier von Millionen von Franken.

Sie hätten rein rechnerisch lieber Kunden, die ab und zu ein bisschen krank sind?

(lacht) Ein bisschen wäre gut, ja, aber das sind reine Wunschvorstellungen. Jene, die zu uns kommen wollen, müssen uns nicht sagen, wie es ihnen gesundheitlich geht, und abweisen dürfen wir in der Grundversicherung sowieso niemanden.

Das klingt nach einem bizarren Markt, in dem günstigsten Anbieter bestraft werden und ihre Leistungen deshalb künstlich verteuern.

Das ist überhaupt kein Markt, ich kann ja abgesehen von der Prämienhöhe fast nichts mehr steuern. Als ich vor 36 Jahren anfing, war ich noch ein Unternehmer.

Also vor Einführung des Krankenversicherungsgesetzes.

Richtig. Aber das Unternehmertum hat man uns zu 80 Prozent weggenommen durch die Überregulierung.

Sie bezeichnen Wachstum als Problem, aber das gilt offensichtlich nicht für die ganze Branche.

Die grossen Kassen haben natürlich schon Wachstumsstrategien. Die schicken Leute auf die Strasse, um neue Kunden anzuwerben. Damit sie jene ersetzen können, die gewechselt haben. Das lassen sie sich viel kosten – entsprechend haben sie auch keine guten Prämien.

Wenn kleine Kassen im Vorteil sind: Weshalb gibt es dann immer weniger?

Sie glauben das vielleicht nicht, aber wenn ich eine Krankenkasse mit 1000 Mitgliedern mache, dann funktioniert das im Prinzip bestens. Der Grund, warum fast alle kleinen Kassen aufgegeben haben, ist die krasse Zunahme an Vorschriften und Aufsichtsorganen: Da sind die Finanzmarktaufsicht, das Bundesamt für Gesundheit und – als neueste Macht im Haus – der Datenschutz.

Das gilt für grosse Kassen genauso.

Aber uns belastet es stärker als eine grosse Kasse. Sie können sich nicht vorstellen, was wir alles tun müssen, damit wir dieses Business überhaupt betreiben dürfen. Die 73-jährige Frau Meier am hinteren Mettliberg würde staunen, was sie mit ihren Prämien noch alles so mitfinanziert – wie viele Ferkel an dieser Sau rumsaugen. Das sollte man den Leuten mal aufzeigen: Wie gross der Anteil für Nebenleistungen aufgrund der verrückten Regulierungsdichte ist.

Weshalb sind Sie trotzdem immer noch günstiger als die anderen?

Ich würde nie behaupten, dass wir in Wädenswil schlauer sind. Aber wir haben über viele Jahrzehnte ein Gespür für dieses Business entwickelt.

Inwiefern?

Wir kontrollieren die Leistungen genauer als manche grosse Kasse und zahlen nur, was vom Gesetz vorgesehen ist. Eigentlich ist das klar geregelt, es gibt da keine Graubereiche, darum haben wir vieles automatisiert. Aber zahlen Sie mal jemandem eine Rechnung nicht – der lässt Sie dann deutlich wissen, was er von Ihnen hält, keine Sorge.

Ein Faktor sind die Personalkosten: Grosse Kassen haben doppelt so viele Angestellte pro Versichertem wie Ihre – wie kommt das?

Da spielt vieles mit rein. Unter unseren 17 Mitarbeitern hat es bestimmt kein faules Ei. Aber wenn wir eine grosse Kasse besuchen würden, könnte ich Ihnen sofort zeigen, welche überflüssig sind. Und dann gibt es noch die in der Teppichetage, die kosten einiges mehr als zwei Franken fünfzig. Von denen hat es auch den einen oder anderen zu viel.

Bei Ihnen verdient der Chef laut Geschäftsbericht rund 200 000 Franken. Ist das vergleichsweise bescheiden?

Selbstverständlich, aber ich will mich hier nicht brüsten, dass ich ein Anständiger sei, der sich nicht bereichert. Ich finde es sowieso falsch, dass man jetzt den Fehler wieder bei den Krankenkassen sucht. Wir sind nicht das Problem, wir haben nicht einmal sechs Prozent Verwaltungskosten – Sie können gerne jemanden suchen, der das günstiger macht.

Woran krankt das Gesundheitssystem dann?

Das Problem ist, dass es zu einem unanständigen Selbstbedienungsladen verkommen ist. Aber das will ja niemand wahrhaben. Man muss der Politik mal eins ans Bein geben.

Wo soll die Politik konkret ansetzen?

Die grossen Kostentreiber sind Spitäler, Ärzte und Medikamente – in dieser Reihenfolge. Die Herren in Weiss müssen mal Federn lassen. Aber das ist ein Thema, das kein Politiker anfasst, weil er sonst nicht mehr gewählt wird. Jetzt schraubt man wieder an den Tarifen, aber das bringt am Ende nichts. Ich würde Ärzte nach Arbeitszeit zahlen, das wäre ein einfaches System. Sie können sich als Patient einchecken, wenn sie kommen, und auschecken, wenn sie gehen.

Das würde doch Fehlanreize setzen. Die Ärzte könnten sich für die Behandlung mehr Zeit lassen.

Aber wenigstens könnte man dann mal beweisen, dass der Tag nicht mehr als 24 Stunden hat. Wer kann schon die eigene Arztrechnung lesen? Ich kann als Versicherer nur prüfen, ob alle Positionen plausibel sind, dann wird die Rechnung bezahlt. Aber was Ihr Arzt mit ihnen wirklich gemacht hat, das weiss ich nicht – und Sie wissen es zwar, verstehen aber die Rechnung nicht. Das ist doch ein Skandal. Das gibt es auf der ganzen Welt sonst nirgends, dass man so viel Geld zahlt ohne einen blassen Schimmer, wofür.

Hat Ihre Kasse eine Zukunft, wenn es so weitergeht?

Ich habe sie 35 Jahre lang geleitet, und zwar nicht unter dem Motto Heimatschutz und Denkmalpflege, sondern weil es wirklich funktioniert. So lange es irgendwie geht, werden wir weitermachen, das sind wir unseren Mitgliedern schuldig.

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