Wieder einmal ziehen die russischen Knollenjäger durch den Auwald. Jüngst sollen sie 150 Kilo Bärlauchknollen ausgegraben haben. Was hinter dem kuriosen Diebesgut steckt.
Es sei jedes Jahr dasselbe, sagt der Polizeisprecher Chris Graupner am Telefon. «Im Januar und Februar kommen die Knollenjäger und buddeln.»
In diesen Februarwochen muss sich die sächsische Polizei wieder einmal den Bärlauchdieben widmen, die im Leipziger Auwald 150 Kilogramm Bärlauchknollen ausgegraben haben sollen. «Es geht wieder los: Bärlauchdiebstahl im Leipziger Auwald», stand in der «Leipziger Zeitung». Die «Bild» titelte: «Bärlauch-Banditen plündern unsere Wälder». Was ist da los?
Die «Bärlauch-Streife»
Anfang Februar, Mitten in der Nacht, fiel den sächsischen Polizisten ein dunkler Volvo auf. Er fuhr mit eingeschaltetem Fernlicht auf der Staatsstrasse 38. Sie stoppten das Auto und «nahmen einen starken Bärlauchgeruch wahr», wie es in der Medienmitteilung heisst. Der knoblauchartige Duft stimmte die Beamten misstrauisch. Und tatsächlich, unter der Heckklappe fanden sich neben Erntewerkzeug mehrere Einkaufstüten voller Bärlauchknollen.
Die Polizei vermutete als Tatort den Leipziger Auwald, ein 5900 Hektaren grosses Landschaftsschutzgebiet, das für Bärlauchdiebstähle berüchtigt ist. Noch in derselben Nacht fuhren Ermittler in Richtung Wald und stellten prompt ein zweites Auto mit weiteren 50 Kilogramm Bärlauchknollen im Gepäck sicher. Zwei der drei Insassen waren laut der Polizei bereits wenige Tage zuvor in der südlich von Leipzig gelegenen Stadt Borna auf ihrer Bärlauch-Expedition gestellt worden.
Doch was wollen die Diebe mit den Knollen?
Der Polizeisprecher Graupner, der von einem Kollegen am Telefon als «unser Bärlauchexperte» vorgestellt wird, sagt, dass die Banden schon seit vier Jahren jeweils im Frühjahr den Auwald umbuddelten und massenweise Knollen erbeuteten. Im Februar 2023 war ein Mitarbeiter des Stadtordnungsdiensts im Auwald auf 800 bis 1000 Kilo in Säcke verpackte Knollen gestossen, die unter Laub und Ästen verdeckt gelagert wurden. Die Knollen waren durch das Graben hinüber, die Täter konnten entkommen.
Die Leipziger Polizei habe sogar eine Streifenwache eingerichtet, um die Diebstähle einzudämmen. Nun wird der Bärlauch im Auwald von einer Fahrrad- und einer Fussstreife bewacht. «Natürlich ist das nicht unsere Hauptaufgabe», sagt Graupner, der sich der Absurdität der «Bärlauch-Streife», wie sie in einigen lokalen Medien genannt wird, völlig bewusst ist.
Eine russische Delikatesse
Graupner sagt, über die Jahre habe die Polizei ein Muster entdeckt. «Die Täter, die wir stellen konnten, stammen aus Russland und Tschetschenien.» Auch im jüngsten Fall sind die insgesamt sechs tatverdächtigen Männer russische Staatsbürger. In Russland seien die Bärlauchknollen eine Delikatesse, sagt Graupner. Sie sollen nach Knoblauch schmecken, nur etwas milder und fruchtiger. Die Diebe würden die Knollen in ihr Heimatland schicken, wo sie von Privatpersonen und Gastronomie abgekauft würden. Laut der Polizei beträgt der Wert von 100 Kilogramm Knollen mehrere tausend Euro.
Bärlauchknollen sind leichte Beute. «Die Knollen wachsen etwa zehn Zentimeter unter der Erde und lassen sich mit einem stabilen Messer leicht aus dem Boden stechen», sagt Graupner. Sobald Anfang März die Knollen sprössen und die ersten Blätter wüchsen, verschwänden die Diebe. Denn sie interessiert einzig die Knolle. Zwar wächst Bärlauch auch in Russland, sagt Graupner, doch im Leipziger Auwald sei das Kraut besonders konzentriert. Die Ernte würde sich daher durchaus lohnen.
Nach der «Handstraussregel» ist das Bärlauchpflücken in Deutschland grundsätzlich erlaubt, aber eben nur für den Eigenbedarf. Übermässiges Pflücken ist strafbar. Gegen die mutmasslichen Bärlauch-Diebe wird wegen Verdachts des Bandendiebstahls ermittelt. Graupner sagt: «Es wird nicht das letzte Jahr sein, dass wir mit den Knollenjägern zu tun haben.»