Samstag, November 30

Im Sog der Goldrally prescht auch der Preis von Silber vor. Aus fundamentaler Sicht stehen die Chancen für Silber und Aktien von Silberminenkonzernen gut. Engagements erfordern starke Nerven, bergen aber reichlich Potenzial.

Geschätzte Leserin, geschätzter Leser

Die Bewegungen sind eindrücklich. Der Goldpreis ist seit Mitte Februar erneut auf dem Vormarsch und hat den wichtigen Widerstand bei 2070 $ pro Unze durchbrochen. Nach einer Avance von 10% seit Anfang Jahr notiert das Edelmetall am Spotmarkt mit 2290 $ auf einem Rekordhoch – und dies, trotz des jüngsten Anstiegs der Renditen am Bondmarkt und einem leicht festeren Dollar.

Auftrieb verspürt auch Silber. Der «kleine Bruder» von Gold hat allein seit Anfang Woche mehr als 9% gewonnen. Zu 26.90 $ pro Unze notiert der Preis auf dem höchsten Niveau seit dem Sommer 2021 und hat den Widerstand bei 26 $ hinter sich gelassen.

Anders als Gold ist Silber allerdings erst dabei aufzuwachen. Der Preis bewegt sich noch immer weit unter den Bestmarken von 1980 und 2011, als er gegen 50 $ kletterte.

Gerade aus relativer Sicht erscheint Silber demnach günstig. «Das Gold-Silber-Preisverhältnis liegt bei fast 90», sagt der US-Marktstratege Larry McDonald in diesem Interview. «In den letzten Bullenmärkten sank es auf rund 60 und ist auch schon auf 20 gefallen», hält er fest.

Ein guter Zeitpunkt also, sich mit den Chancen und Risiken bei Investitionen zu befassen.

Wilder als Gold

Wer sich in Silber und Aktien von Silberminenkonzernen engagiert, muss ausgesprochen starke Nerven haben. Der Handel orientiert sich hauptsächlich am Goldpreis. Das hat in erster Linie damit zu tun, dass auch Silber als Edelmetall in der Wahrnehmung der Märkte ein monetärer Status zukommt. Dies, obwohl die meisten Zentralbanken schon lange kein Silber mehr als Reserve halten.

Im Gegensatz zu Gold ist der Markt für Silber mit einem globalen Volumen von lediglich rund 20 Mrd. $ jedoch wesentlich enger und spekulativer. Entsprechend verhält sich der Preis viel wilder. Zu explosiven Ausschlägen – nach oben wie nach unten – kommt es immer wieder.

Aus psychologischer Sicht sind die Treiber ähnlich. Zu den wichtigsten zählt die Reputation von Edelmetallen als sichere Anlage in ungewissen Zeiten. Wie die jüngsten Nachrichten aus dem Nahen Osten verdeutlichen, nehmen geopolitische Spannungen und Konflikte zu. Dieses Jahr finden in diversen grossen Demokratien zudem Wahlen statt; allen voran in den USA, wo die hohen Staatsschulden mehr und mehr zum Problem werden.

«Kein Politiker wird mit dem Versprechen gewählt, weniger Geld auszugeben», bemerken dazu die Rohstoffanalysten des Brokers BMO Capital Markets. «Damit besteht durchaus die Möglichkeit, dass Edelmetalle im weiteren Jahresverlauf aufgrund neuer Sorgen um die Stabilität von Währungen in einer Ära steigender Budgetdefizite gefragt sind.»

Auffällig ist, dass der Goldpreis auch in Franken nach oben ausgebrochen ist. Die überraschende Zinssenkung der Schweizerischen Nationalbank hat wohl Befürchtungen um eine Abschwächung der Valuta verstärkt. Wenn der Nimbus des Frankens als «sicherer Hafen» etwas bröckelt, bedeutet das an den Märkten entsprechend weniger Konkurrenz für Edelmetalle wie Gold und Silber.

Entscheidend ist ebenso, was sich generell bei den Zentralbanken abspielt. Weltweit haben sie in den vergangenen zwei Jahren ein Rekordvolumen von jeweils mehr als 1000 Tonnen Gold gekauft. Dieser Trend hat sich in den vergangenen Monaten fortgesetzt, wobei vor allem China, Indien, die Türkei und Polen als Käufer auftreten.

Ein wichtiger Aspekt ist diesbezüglich, dass Gold gemäss dem internationalen Finanzregelwerk Basel III per 1. Januar 2023 zu einem «Tier I Asset» aufgewertet worden ist. Demnach dürfen Zentralbanken physisches Gold als «risikolose» Anlage in ihrer Bilanz zu 100% statt wie bisher zu 50% bewerten, also gleich wie Bargeld und Staatsanleihen. Dadurch wird es attraktiver, Reserven mit Gold zu diversifizieren, wovon indirekt ebenso Silber profitiert.

Ein «grünes» Metall

Gute Argumente für Engagements gibt es ebenso mit Blick auf fundamentale Trends. Im Gegensatz zu Gold, das fast ausschliesslich als Schmuck, Finanzanlage oder Währungsreserve verwendet wird, entfällt bei Silber rund die Hälfte des Bedarfs auf industrielle Zwecke.

Kein anderes Metall leitet Strom besser. Silber spielt deshalb eine Schlüsselrolle für «grüne Technologien» wie Elektrofahrzeuge und Solaranlagen. Besonders im Bereich Photovoltaik hat der Bedarf massiv zugenommen, weil China den Weltmarkt überschwemmt. Aus der Volksrepublik wurden 2023 Solarpanels mit einer Kapazität von rund 250 Gigawatt exportiert, primär nach Europa. Das ist ein Zuwachs von rund 40%.

Die Folge davon ist, dass die Nachfrage nach Silber aus der Photovoltaikindustrie 2023 deutlich auf rund 300 Mio. Unzen gestiegen sein dürfte, nach gut 140 Mio. Unzen im Vorjahr. In Europa nehmen Forderungen nach einer Einschränkung chinesischer Importe zwar zu, und das Risiko von Überkapazitäten steigt. Handkehrum wird mit neuen Verfahren wie der TOPCon-Technologie tendenziell auch mehr Silber pro Solarpanel benötigt, so dass der Bedarf hoch bleiben sollte.

Im Vergleich dazu stagniert das Angebot seit geraumer Zeit. Der grösste Teil des weltweit geförderten Silbers stammt quasi als Nebenprodukt aus Blei-, Zink-, Kupfer-, oder Goldminen. Der mit Abstand grösste Produzent ist Mexiko, gefolgt von China, Peru, Chile und Polen. Bedeutende Investitionen in neue Projekte gab es in den vergangenen zehn Jahren kaum. Rund ein Fünftel des Angebots entfällt auf Recycling.

Im Silbermarkt herrscht deshalb seit Jahren ein strukturelles Defizit. Die Branchenspezialisten von Bank of America schätzen, dass es sich von rund 4000 Tonnen in diesem Jahr bis 2026 auf rund 8100 Tonnen erhöhen wird.

Anlagestrategien

Für Investoren bietet sich Silber somit als Wette mit Hebelwirkung auf einen anhaltenden Aufwärtstrend im Edelmetallsektor an. Das heisst aber auch, dass die Risiken grösser sind als bei Investitionen in Gold. Wer damit umgehen kann und langfristig denkt, nutzt temporäre Rücksetzer nach der Rally der vergangenen Tage, um Positionen auf- oder auszubauen.

Ausser direkten physischen Anlagen kann sich dafür ein Fonds wie der Sprott Physical Silver Trust (Börsenkürzel: PSLV) eignen. Er ist in New York kotiert und investiert in physisches Silber, das nicht bei Grossbanken hinterlegt ist, sondern bei der Münzprägeanstalt Royal Canadian Mint, die ebenso zu den weltgrössten Silberraffinerien zählt. In der Schweiz bietet sich der ZKB Silver ETF an.

Noch eine Stufe riskanter und damit potenziell ertragreicher sind Aktien von Silberminenkonzernen. Der Grund dafür hat nicht nur mit den ausgeprägten Schwankungen des Silberpreises zu tun, sondern auch damit, dass die grössten Vorkommen in politisch nicht immer sicheren Regionen liegen.

Doch hier das Upside: Im Vergleich zur Goldproduktion, wo sich bereits seit einiger Zeit stattliche Margen erwirtschaften lassen, war der Abbau von Silber bisher weniger lukrativ. Das könnte sich nun ändern. Die Förderkosten (All-in sustaining Cost, AISC) für eine Unze Silber bewegen sich auf etwa 20 bis 22 $ pro Unze. Hält sich der Preis auf dem aktuellen Niveau von knapp 27 $ oder steigt sogar weiter, bedeutet das fortan wesentlich attraktivere Margen.

«Reine Förderer gibt es zwar praktisch nicht, zumal die meisten Silberunternehmen einen Grossteil der Einnahmen mit Gold erzielen», sagt Heinz Isler, Berater institutioneller Investoren in Genf. «Der Markt erachtet sie aber trotzdem als Silberunternehmen, weshalb sich ihr Kurs auch so verhält», fügt der Rohstoffexperte mit mehr als fünfzig Jahren internationaler Erfahrung hinzu.

Der einzige reine Silberwert, der ihm bekannt ist, heisst Aya Gold & Silver. Die in Toronto kotierte Gesellschaft betreibt die Zgounder-Mine in Marokko, deren Produktion dieses Jahr von rund 2 Mio. auf 7 Mio. bis 8 Mio. Unzen Silber steigen soll. Weitere Namen mit überdurchschnittlich hohem Silber-Exposure sind MAG Silver, Endeavour Silver und Silvercorp. Dabei handelt es sich jedoch allesamt um kleine Firmen, die sich eher als Beimischung für das Portfolio eignen.

Zu den spannendsten Namen zählt Pan American Silver. Der vom Schweizer Michael Steinmann geführte Konzern hat seine Präsenz in Lateinamerika mit der Übernahme des Konkurrenten Yamana Gold vergangenes Jahr beträchtlich ausgebaut und dürfte dieses Jahr rund 22 Mio. Unzen Silber fördern. Der wichtigste Standort ist La Colorada im Nordwesten Mexikos.

Zu den Titeln, die unter angelsächsischen Investoren am beliebtesten sind, gehören Hecla Mining und Coeur Mining. Beide Unternehmen sind überwiegend in Nordamerika aktiv. Volumenmässig gehören Fresnillo und Industrias Peñoles aus Mexiko mit einem geschätzten Ausstoss von rund 62 Mio. bzw. 52 Mio. Unzen Silber zu den weltweit grössten Förderern.

Wer einen generalistischen Ansatz bevorzugt, kann vor diesem Hintergrund auch einen Fonds wie den Global X Silver Miners ETF (SIL) ins Auge fassen. Er umfasst einen breiten Korb von Silberaktien. Zu den grössten Positionen zählen das Minenbeteiligungsunternehmen Wheaton Precious Metals und die oben genannten Branchenleader.

Freundlich grüsst im Namen von Mr Market

Christoph Gisiger

Exit mobile version