Grünzeug wird mehr und mehr zum Fleischersatz degradiert. Dabei gibt es Gerichte wie die Parmigiana, die einfach unvergleichlich gut sind.
Die Wildsaison ist da! Und wir sind gespannt, welche Absurditäten sich manche Küchenteams hierzulande einfallen lassen, um den Gästen traditionelle Fleischgerichte ohne tierische Eiweisse zu servieren.
Gegen ein schmackhaftes Pilzragout ist nie etwas einzuwenden. Aber wie wär’s mit einem Auberginenrücken, der die entsprechende Körperpartie des Rehs an Zartheit noch übertreffen könnte? Oder doch lieber ein Randenpfeffer, der den gebeizten Hirsch vergessen lassen und des Jägers Pirsch überflüssig machen soll? Dieses «Wild» ist so zahm, dass es einem aus der Hand frisst.
Die beiden Gemüse sind nicht zufällig gewählt: Randen und Auberginen gehören zu den Lieblingen der Anhängerschaft der vegetarischen Mimikry, dieser zweifelhaften Kunst der Imitation. Sie werden bestenfalls mittels Fermentation und weiterer Behandlungsformen auf ihre Rolle als Fleischersatz vorbereitet und auf den Speisekarten ganzjährig als «Steak» deklariert. Meist halten Textur und Geschmack einem Vergleich mit dem Original von Rind, Kalb oder Schwein nicht annähernd stand.
Nichts läge mir ferner, als mich über Leute zu mokieren, die kein Fleisch essen. Für eine Reduktion des Konsums oder gar den Verzicht gibt es gute Gründe, und ich respektiere den Entscheid als Ausdruck der individuellen Freiheit. Solange mich niemand in Sippenhaft nimmt. Weniger Verständnis habe ich dafür, das Gemüse zum Ersatzspieler zu degradieren, statt seine ureigenen Vorzüge auszuspielen.
Mit Rolf Hiltl, der als Patron des gleichnamigen Restaurants das Kunststück fertiggebracht hat, den Vegetarismus in Zürich vom Körnlipicker-Image zu befreien, stritt ich schon vor zwanzig Jahren darüber: Muss es auf seiner Speisekarte von Begriffen wie «Nuggets» «Gschnätzlets» und «Burger» wimmeln? Seither ist die Branche nicht viel weiter gekommen. Es gibt wohl bald keine Fleischspezialität mehr, die nicht ohne tierische Eiweisse angepriesen würde: von Bratwurst über Bolognese und Fleischvögel bis zum Filet im Teig.
Nennen wir es das Methadon für den Abschied vom Karnivoren-Dasein: Manche verteidigen diese Produkte damit, dass Abstinenzwillige zumindest in der ersten Phase des Entzugs die Illusion benötigten, auf der Pièce de Résistance herumzukauen. Aber statt Ausstiegshilfen zu bieten, sollte sich die Gastronomie lieber darum bemühen, die eingesetzten Zutaten zur bestmöglichen Entfaltung zu bringen.
Meisterhaft – und weitgehend ohne die fraglichen Anspielungen auf die Fleischküche – schaffen das rein vegetarische Spitzenlokale wie das Schwyzer «Magdalena». Ich besprach es hier vor Jahresfrist euphorisch, liebte etwa die langsam sous-vide gegarte Aubergine mit Haselnuss-Crumble und roten Peperoni an Miso-Lack, eingekreist von einem Schaumsüppchen. Diese Aubergine kam nicht im Traum auf die Idee, sich als etwas Animalisches auszugeben. Und sie glänzte umso mehr.
Aber die Dampfwalze der Ersatzindustrie ist nicht mehr aufzuhalten, zumal die Spitzentechnologie munter mitmischt: Schon träumen manche davon, Zürich mit staatlicher Hilfe zu einem Zentrum für Laborfleisch zu machen, unter Qualitätslabels wie «Swiss Cellular Meat Products». Dafür sähen sie dann über Jahrhunderte hinweg erprobte Kulturtechniken der Haltbarmachung, etwa die Fertigung von Bündnerfleisch, gerne auf die Müllhalde der zu entsorgenden Traditionen gekippt.
Das ist Ausdruck einer Zeit, in der bald jeder Lebensbereich durch Surrogate abgedeckt ist – also «behelfsmässigen, nicht vollwertigen Ersatz», wie der Duden das Fremdwort umschreibt. Eines Tages werden wir auch uns selbst abschaffen, da die KI unser Hirn ersetzt. Bis dahin wird alles Eigentliche zurückgedrängt durch Imitate, wobei wahlweise mit dem Tierwohl, dem Umweltschutz, der eigenen Gesundheit, der politischen Korrektheit oder allem zusammen argumentiert wird: Cocktails weichen Mocktails, der Zucker der Restsüsse, der Mohren- dem Schaumkopf, das Zigeunerschnitzel dem Schnitzel Balkan Art.
Widmen wir uns stattdessen der Ehrenrettung der fabelhaften Rande, die auch pur ein Genuss ist, ob roh oder gekocht, und der Aubergine: Sie ist eine Wucht, sei es gebraten, gedämpft oder gebacken. So ist mir die Inspiration für diesen Beitrag bei einer ausgezeichneten Parmigiana di Melanzane gekommen, die zu den Spezialitäten der sympathischen Tessiner Osteria La Palma in der Malcantone-Region zählt.
Veganer mögen um dieses Gericht einen Bogen machen, wegen des Käses: Parmigiano, plus Mozzarella je nach Rezept (etwa jenem in Claudio Del Principes Kochbuch «Italien vegetarisch», nach dem die Parmigiana besonders einfach und gut gelingt). Aber Vegetarier und alle anderen gehen in die Knie, wenn sich das Umami des Tomatensugo an die süssliche Aubergine schmiegt und der Parmesan das frisch vermählte Paar krönt. Selbst die köstliche Moussaka samt Hackfleisch kann da einpacken. Das nenne ich fleischloses Glück.
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