Beim Breaking gibt es keine Messlatte, die übersprungen werden muss, es gibt keine Tore zu schiessen und keine Punkte, die verteilt werden. Breaking ist anders.
Breaking ist eine Subkultur, die diesen Sommer den Sprung von der Strasse auf die grösste sportliche Bühne macht. Breaking ist 2024 olympisch.
Wir erklären dir mithilfe von B-Boy Teddy und B-Girl Becca, wie Breaking an den Olympischen Spielen bewertet wird. Denn Breaking hat seine ganz eigenen Bewertungskriterien, und die unterscheiden sich sehr von den anderen olympischen Disziplinen.
Breaking gehört zusammen mit Writing, MCing und DJing zu den Grundpfeilern des Hip-Hops. Breaking ist auf den Strassen des New Yorker Stadtteils Bronx in den 1970er Jahren entstanden. Es hat jungen Menschen ohne Perspektiven eine Flucht aus dem Alltag ermöglicht – bis heute.
Aktuell macht Breaking den Sprung vom Bordstein zum internationalen Kommerz. Olympia. Das ist in vielen Sportarten das Grösste überhaupt. Es gewinnt, wer am weitesten springt, am schnellsten rennt, am meisten Salti macht.
Und beim Breaking?
B-Boy Teddy: Das System ist ein komparatives System, das heisst, es werden immer zwei Tanzende direkt verglichen. Die Judges schieben einen Schieber für jede Dimension in Richtung der tanzenden Person, die diese Dimension für sich entscheidet. Es gibt keine absolute Punktzahl.
Das ist Theodor Diedenhofen aka B-Boy Teddy. Er erklärt uns, welche Dimensionen es im Breaking gibt.
B-Boy Teddy: An den Olympischen Spielen wird in fünf Dimensionen gejudgt. Die Dimensionen sind: Execution, Technique, Vocabulary, Musicality und Originality.
Zusammen mit Rebecca Annies aka B-Girl Becca zeigen wir euch die einzelnen Breaking-Elemente. Und wir erklären, worauf die Judges bei den einzelnen Dimensionen genau achten.
Wir beginnen mit der Basis: Musicality. Für B-Girls wie Becca ist es wichtig, ihre Moves auf den Rhythmus der Musik abzustimmen. Und genau darum geht es bei Musicality.
B-Boy Teddy: Das eine ist Rhythmus, und das andere ist auch Textur. Wie ist die Bewegung auf dem Beat, auf dem Tempo der Musik? Und auch: Wie tief ist die rhythmische Interpretation von den Rhythmen, die in der Musik gegeben sind?
Hier bei den sogenannten Toprocks sieht man schön, wie Becca immer auf die Snare-Drum des Schlagzeugs steppt, was eine sinnvolle Anwendung in der Musikalität ist, wenn man die Musikgeschichte auch einbezieht, weil im Funk die Snare das dominante Element ist.
Wir haben Becca absichtlich schlecht tanzen lassen. So seht ihr, was bei den einzelnen Kategorien gut und schlecht ist.
B-Boy Teddy: Wir sehen, wie Becca hier zum Teil auf die eins und drei steppt, also wo typischerweise in der Funk-Musik die Kickdrum landet, und nicht konstant auf die Snare, was eine Inkonsistenz in der Rhythmik der Musik ist.
B-Girls und B-Boys brauchen gute Musikkenntnisse. Sie müssen auch relativ schnell auf die Musik eingehen können. Denn: Sie wissen nicht im Vorhinein, welchen Beat der DJ auflegen wird.
Das beeinflusst auch die nächste Kategorie, die wir uns anschauen: Vocabulary. Auf Deutsch würde man wohl am ehesten von Vielfältigkeit sprechen.
B-Boy Teddy: In Vocabulary geht es vor allem darum: Wie breit ist das Bewegungsvokabular einer Person? Wie viele verschiedene Aspekte vom Stil Breaking können abgedeckt werden?
In dieser Kategorie ist es auch wichtig, mit sogenannten Variationen zu arbeiten. Ein Beispiel zur Veranschaulichung: Das hier ist der 6-Step. Ein Grundschritt im Breaking. Das hier ist auch der 6-Step, aber mit einer Variation. B-Girl Becca dreht sich zusätzlich um die eigene Achse.
Mit Variationen zeigt ein B-Girl oder ein B-Boy, dass sie oder er sich mit der Grundbewegung auseinandergesetzt hat. Mehr Variation bedeutet mehr Vocabulary. Dabei ist es aber auch wichtig, sich nicht zu wiederholen. Wiederholungen spielen nicht nur in der Kategorie Vocabulary eine Rolle, sondern auch bei der Originality.
B-Boy Teddy: Unter Originality fallen Dinge wie das Auftreten und die Performance. Wie originell oder neu sind die Ansätze der Bewegungen, die gezeigt werden?
In dieser Kategorie zählt noch viel mehr als in den anderen Bewertungskategorien: Das Bewerten von Breaking ist sehr subjektiv. Es gibt keine klaren Vorgaben, die besagen: Wenn dies und das vorgetragen wird, bedeutet das mehr Originalität, zum Beispiel.
B-Boy Teddy: Breaking ist auch stark zusammengesetzt aus vielen Bewegungen aus zum Beispiel Martial Arts, anderen Tanzstilen, Cartoons. Das heisst, es kommen auch immer wieder neue Einflüsse rein, und es ist auch gern gesehen, sofern sie mit dem Grundstyle von Breaking verwoben werden. Und das ist auch eine Weiterentwicklung des Tanzes. Hier fliessen natürlich auch Präferenzen ein. Das ist dann die ästhetische Präferenz. Deshalb spricht man auch von einer Kunstform.
Wir erinnern uns: Breaking ist mehr Kultur als Sport.
Aber es gibt auch Bewertungskriterien, die an andere olympische Disziplinen erinnern. Zum Beispiel Technique. In dieser Kategorie geht es nämlich um Dynamik und Athletik.
B-Boy Teddy: Also: Wie zum Beispiel ist der Kontrast zwischen schnell und langsam? Und wie explosiv sind gewisse Bewegungen? Wie ist die Spannung? Also körperliche Komponenten. Dazu kommt Special Control. Also: Wie ist der Körper im Raum kontrolliert? Wie sicher ist die Person, sich auf der Bühne zu bewegen, auch im Vergleich zu der Gegner-Person?
Es wird also ähnlich wie beispielsweise im Bodenturnen Spannung, Explosivität und Räumlichkeit bewertet.
Das letzte Bewertungskriterium ist kaum von der Technique zu trennen. Die Ausführung, Execution. Wie der Name schon sagt, geht es hier darum, wie sauber eine Bewegung ausgeführt wird. Hinfallen beispielsweise würde sich negativ auf die Bewertung auswirken.
B-Boy Teddy: Dazu kommt aber auch so etwas wie Bewegungsfluss, Flow. Wie werden die Bewegungen aneinandergereiht? Wie konstant ist der Fluss der Bewegung?
Hier zeigen wir dir auch wieder ein visuelles Beispiel. Das war jetzt absichtlich unschön getanzt von B-Girl Becca. Denn eigentlich sollte es so aussehen:
B-Boy Teddy: Sie rollt hier nach hinten in ein, was wir Freeze nennen, in eine Endposition auf dem Kopf. Und sie hält die Position einmal schön und geht dann kontrolliert weiter. Das würde auch unter Execution gehen, weil sie die Kontrolle hat im Raum. Sie fällt nicht in die Wand hinein oder etwas. Und sie hat die Kontrolle über ihren Körper. Es ist aber auch natürlich Technik, weil die Form, die sie ausführt, schön ist und kontrolliert ist und sie mit der Spannung in ihrem Körper diese Form ausführen kann.
Die einzelnen Bewertungskriterien können also kaum ohne Berücksichtigung der anderen Kategorien angeschaut werden. Deshalb ist es auch so schwierig, ein starres Bewertungsraster für Breaking zu entwickeln.
Breaking lässt sich also nicht wirklich in das klassische Bewertungssystem der Olympischen Spiele zwängen. Das Internationale Olympische Komitee (IOK) hat Breaking 2024 ins Programm aufgenommen, um ein jüngeres Publikum anzusprechen. Wie viel Publikum Breaking anzieht, zeigt sich dann im August. Am 9. und 10. August finden die Wettkämpfe in Paris statt.