Samstag, November 30

Im Ausland reibt man sich die Augen. Denn die Einlagensicherung der Schweiz weist Eigenarten auf, die es anderswo nicht gibt. Die Betroffenen zeigen sich unbeeindruckt.

Ist mein Geld auf der Bank sicher? Diese Frage raubt vielen Leuten den Schlaf, vor allem in Krisenzeiten. Doch es gibt eine Organisation, die solchen Leuten wieder zu ruhigen Nächten verhelfen soll. Sie liegt gut versteckt in einem unscheinbaren Bürogebäude in Steinwurfdistanz zum Bahnhof Basel und heisst Esisuisse. Der Verein beschäftigt bloss zehn Mitarbeiter und ist nicht nur eine der wichtigsten, sondern auch eine der unbekanntesten Institutionen am Schweizer Finanzplatz.

100 000 Franken sind geschützt

Die geringe Bekanntheit überrascht. Erstens feiert die Organisation diesen Mai schon den 40. Geburtstag. Zweitens übt sie eine Aufgabe aus, die zentral ist für die Stabilität des Bankensystems. So ist Esisuisse für die Sicherung der Einlagen von Bankkunden verantwortlich. Sie muss verhindern, dass Sparerinnen und Sparer wegen eines Gerüchts sogleich in Panik geraten, überstürzt ihr Geld abziehen und die betroffene Bank aufgrund versiegender Liquidität in einen Abwärtsstrudel gerät.

Obschon Esisuisse selten für Schlagzeilen sorgt: Unumstritten ist die Institution nicht. Vor allem im Ausland wundert man sich über deren Eigenarten. Organisationen wie der Internationale Währungsfonds (IMF) orten Reformbedarf. Ob zu Recht oder nicht, bleibt kontrovers. Die einen, unter ihnen auch der Bundesrat, sagen, der IMF verstehe das Schweizer System nicht. Andere meinen, das hiesige Sicherungsnetz sei ziemlich löchrig und tatsächlich eine Gefahr für die Finanzstabilität.

Wer hat recht? Auf der Suche nach einer Antwort empfiehlt sich zuerst der Blick auf das Grundprinzip: Eine Einlagensicherung kommt dann zum Tragen, wenn eine Bank in Konkurs gerät. In diesem Fall ist in der Schweiz pro Kunde und Bankbeziehung ein Guthaben von 100 000 Franken vor dem Verlust geschützt. Esisuisse muss die Auszahlung dieser gesicherten Kundengelder finanzieren. Für das Geld haften die 285 Mitgliedbanken solidarisch, nach Massgabe ihrer gesicherten Einlagen.

Harsche Kritik des IMF

Dieses Vorgehen ist unumstritten. Der Zwist entspinnt sich anderswo – und könnte bald lauter werden. So bereitet sich der IMF derzeit auf eine Überprüfung der Schweizer Einlagensicherung vor. Das weckt ungute Erinnerungen. Denn 2019, als der IMF letztmals ein Financial Stability Assessment Program (FSAP) zur Schweiz durchführte, gab es heftige Kritik: Der IMF schrieb damals: «Ohne gründliche Reform kann die Einlagensicherung nicht wirksam zur finanziellen Sicherheit beitragen.»

Das sind harte Worte. Das Thema gewinnt aber wieder an Aufmerksamkeit. Ein Grund ist das Frühjahr 2023. Damals gerieten in den USA mehrere Regionalbanken ins Straucheln, und in der Schweiz verschwand mit der Credit Suisse eine global systemrelevante Bank. Die vom Bund eingesetzte Expertenkommission «Bankenstabilität» riet den Behörden vor diesem Hintergrund unlängst, auch eine Stärkung der Einlagensicherung zu überprüfen und dabei die internationalen Entwicklungen zu berücksichtigen.

Es sind vor allem vier Eigenheiten des Schweizer Systems, die für Kontroversen sorgen, und zwar nicht nur bei den Inspektoren des IMF:

1. Ein Schutz mit Obergrenze

Nur ein kleiner Teil der gesicherten Einlagen ist tatsächlich abgedeckt durch die Einlagensicherung. Grund ist die im Schweizer System fixierte Obergrenze. Zwar lag die Summe der gesicherten Guthaben per Ende 2022 bei 504 Milliarden Franken. Die Banken müssen Esisuisse gemäss Bankengesetz aber nur 1,6 Prozent davon zur Verfügung stellen, also rund 8 Milliarden Franken. Zwischen den offiziell gesicherten Einlagen und den von Esisuisse abrufbaren Mitteln klafft somit eine riesige Lücke.

Eine Obergrenze ist wohl unvermeidbar. So ist es unwahrscheinlich, dass alle Banken gleichzeitig untergehen. Auch könnte der Schadenfall einer Grossbank kleinere Institute mit in den Abgrund reissen, wenn diese solidarisch für die Einlagen der Grossbank geradestehen müssten. Doch ein Problem bleibt: Beim Ausfall einer Grossbank oder vieler mittlerer Banken reichen die 8 Milliarden Franken nirgendwohin. So lagen die gesicherten Einlagen Ende 2022 bei elf Banken über diesem Limit.

Befragte Experten kritisieren aber nicht die Systemobergrenze per se; ähnliche Limiten gibt es in praktisch allen Ländern. Problematisch sei vielmehr, dass in der Schweiz nicht geklärt sei, was passiere, wenn das von Esisuisse finanzierte Geld bei einem Schadenfall nicht ausreiche. Niemand weiss etwa, ob die Kunden einer mittelgrossen Bank, deren gesicherte Einlagen grösser sind als 8 Milliarden Franken, bei einem Kollaps dennoch bis zu 100 000 Franken vor Verlust geschützt wären.

Der IMF kritisiert, dass es in der Schweiz für solche Fälle, bei denen die Einlagensicherung an Grenzen stösst, keine Staatsgarantie gibt. Zwar wurde im Vorfeld des auf Anfang 2023 angepassten Bankengesetzes über alternative Finanzierungen diskutiert, etwa über private Versicherungen, eine Kreditaufnahme durch Esisuisse oder eine staatliche Lösung mittels Garantie oder Vorschuss. Diese Optionen wurden aber alle verworfen, sei es aus Kostengründen oder aufgrund befürchteter Fehlanreize.

«Das Problem ist nicht die Obergrenze, sondern die Kombination dieser Grenze mit der fehlenden Alternativfinanzierung», sagt ein Ökonom mit beruflichem Einblick ins System, der anonym bleiben will. Diese Kombination könne dazu führen, dass die Leute den Glauben an die Sicherheit der Einlagen verlören. «In einer Krise braucht es dann nur noch einen einzigen kritischen Medienartikel zur Obergrenze, und der Bank-Run geht los», befürchtet er. Andere Länder hätten daher zumeist finanzielle Lösungen über ihre Obergrenzen hinaus definiert.

2. Kein vorfinanzierter Fonds

Die zweite Kritik hat damit zu tun, wie Esisuisse zu ihrem Geld kommt. In vielen Ländern, etwa den USA, kann die Einlagensicherung jederzeit auf einen vollumfänglich vorfinanzierten Fonds zurückgreifen. Esisuisse hingegen muss in der Krise zuerst ihre Mitgliedbanken anweisen, Geld für das kollabierte Institut zu überweisen. Doch in Zeiten, in denen eine Bank pleitegeht, ist die Liquidität oft knapp. Entsprechend gross ist die Gefahr, dass sich auch die Situation der Geberbanken verschärft.

Experten befürchten eine prozyklische Wirkung. Das heisst: Wenn die Lage für Banken mit grosser Wahrscheinlichkeit sowieso schon schwierig ist, zumal Finanzkrisen selten bei schönem Wetter ausbrechen, müssen Banken auch noch Geld für kriselnde Konkurrenten lockermachen. Für das Finanzsystem als Ganzes kann dies destabilisierend wirken. Beim IMF drängt man daher auf Ex-ante-Finanzierungen. Das Geld soll also schon vollumfänglich vorhanden sein, wenn eine Bank falliert.

Gregor Frey, CEO von Esisuisse, lässt die Kritik aber nicht gelten, und zwar aus zwei Gründen. Erstens zeichne sich das Schweizer System durch eine weltweite Besonderheit aus. So sei jede Bank verpflichtet, inländische Vermögenswerte im Umfang von mindestens 125 Prozent der gesicherten Einlagen zu halten. Diese Aktiven müssten unbelastet und einfach verwertbar sein. Dazu komme das Konkursprivileg. «Aufgrund dieser Regeln sollte jede Bank genügend Mittel haben, damit die gesicherten Einlagen im Konkursfall ausbezahlt werden können.»

Zweitens verweist Frey auf eine seit 2023 gültige Neuerung. Seit rund einem Jahr müssen die Banken nämlich die Hälfte des geforderten Finanzbeitrages, also 0,8 Prozent ihrer gesicherten Einlagen, im Voraus hinterlegen, entweder als Bargeld oder in Form von leicht verwertbaren Wertschriften. «Auch in der Schweiz ist somit die Hälfte der Einlagensicherung durch eine Ex-ante-Finanzierung gesichert», sagt Frey. Die andere Hälfte muss jedoch bei Bedarf zuerst bei den Banken eingefordert werden.

3. Ein privater Verein

Eine weitere Besonderheit, die beim IMF auf wenig Verständnis stösst: Hinter der Schweizer Einlagensicherung steht nicht eine staatliche Behörde, sondern ein privater Verein. Bei der Gründung war sie zudem direkt der Schweizerischen Bankiervereinigung angegliedert. Das ist zwar nicht länger der Fall. Weiterhin basiert Esisuisse aber auf der Idee der Selbstregulierung durch die Banken. Der IMF hingegen fordert eine öffentlichrechtliche Einrichtung ohne Banker im Führungsgremium.

Dass ein von Banken kontrollierter Verein die Belastung für die Branche klein halten will, liegt nahe. Vor diesem Hintergrund ist auch dessen Ablehnung eines vollständig vorfinanzierten Fonds einzuordnen. Denn wenn die Banken die gesamten 8 Milliarden Franken vorschiessen müssten, wäre dies teurer als der Status quo. Der Esisuisse-Chef Frey entgegnet aber: «Die Einlagensicherung ist staatlich geregelt. Esisuisse ist zwar als Verein organisiert, übernimmt aber einen Teil der gesetzlichen Aufgaben.»

Die Idee der Selbstregulierung hat in der Schweiz langjährige Tradition. Neben Vorteilen hat dies aber auch Nachteile. So sind staatliche Organisationen bei Krisen einfacher einzubinden, etwa in Koordination mit der Notenbank und der Bankenaufsicht. Ein Beispiel: In Südkorea hat die nationale Einlagensicherung in Echtzeit direkten Zugang zu heiklen Daten wie dem Abfluss von Bankeinlagen. Solche Daten wird man einem Verein, der von Banken verwaltet wird, kaum liefern wollen.

4. Eine Pay-Box-Lösung

Die Schweizer Einlagensicherung ist eine reine Pay-Box. Sie ist also nur dazu da, die Einlagen auszuzahlen, wenn eine Bank liquidiert wird. In den meisten Ländern sind die Kompetenzen aber breiter definiert. Statt die Einleger bloss auszuzahlen, werden etwa Guthaben von einer Bank zur anderen übertragen. Oder die verfügbaren Gelder können im Falle einer systemrelevanten Bank, die ohnehin «too big to fail» ist und daher kaum liquidiert werden kann, auch für die Sanierung eingesetzt werden.

Diese vier Schweizer Besonderheiten stehen quer zum Trend. So sagt Eva Hüpkes, Generalsekretärin der in Basel angesiedelten Internationalen Vereinigung der Einlagensicherungen (Iadi): «Der weltweite Trend geht eindeutig hin zu Systemen mit einem vorfinanzierten Fonds und mit Kompetenzen, die über die blosse Funktion einer Pay-Box hinausgehen.» Iadi agiert dabei als globale Dachorganisation und definiert Standards für ihre weltweiten Mitglieder, zu denen auch Esisuisse gehört.

Dennoch, in der Schweiz scheint man am Sondermodell festhalten zu wollen – sehr zum Verdruss des IMF. Dieser zeigte sich vor Jahresfrist in seinem Länderbericht zur Schweiz unzufrieden mit den Anfang 2023 eingeführten Anpassungen, etwa der teilweisen Vorfinanzierung der Einlagensicherung. In resigniertem Tonfall schrieb er: «Die Behörden beabsichtigen nicht, das Einlagenversicherungssystem wie empfohlen zu überarbeiten.» Das tönt nicht nach einer Annäherung der Positionen.

Der Nutzen der Unklarheit

Zur Verteidigung des Schweizer Modells kann man einwenden, dass eine gewisse Mehrdeutigkeit disziplinierend sein kann, etwa mit Blick auf die unklare Lage, falls das Geld von Esisuisse nicht ausreicht. Denn wenn von Anfang an feststeht, dass am Schluss ohnehin der Staat einen allfälligen Fehlbetrag übernimmt, schauen Kunden kaum noch auf die Solidität der Banken und tragen ihr Geld einfach dorthin, wo der höchste Zins winkt. Auch Banker könnten sich zu grösserer Leichtsinnigkeit veranlasst sehen.

Letztlich ist die Einlagensicherung vor allem für den Konkurs kleiner Banken gedacht. Bei Grossbanken ist sie überfordert. In einem Land wie der Schweiz, wo die Grössen der Banken extrem ungleich sind, ist die Ausgangslage besonders schwierig. Die Experten des Bundes kamen im Herbst denn auch zum Schluss, dass eine stärkere Einlagensicherung die Situation der CS kaum verbessert hätte. Der Bank-Run fand dort bei sehr vermögenden Kunden statt und betraf primär ungesicherte Einlagen. Daran hätte auch eine sehr üppig finanzierte Esisuisse wenig geändert.

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