Neuseeland will seine kränkelnde Wirtschaft mithilfe von digitalen Nomaden wieder auf Vordermann bringen. Gelockerte Visabestimmungen sollen den Tourismussektor ankurbeln.
Neuseeland will eine «copycat» werden – ein Nachahmer. Das Land will – wie andere zuvor – Visaprogramme für digitale Nomaden einführen. Gelockerte Regeln sollen Menschen nach Neuseeland bringen, die ein fremdes Land kennenlernen, reisen und gleichzeitig arbeiten wollen.
Dieses Modell funktioniert in über 50 Ländern, darunter Portugal, Estland, Italien, Kroatien, Spanien, Rumänien, Thailand, Indonesien oder Kolumbien. Nun will es auch Neuseeland testen. So verkündete Neuseelands Ministerin für Wirtschaftswachstum, Nicola Willis, unlängst Änderungen am Besuchervisum des Landes. Dieses soll ausländischen Arbeitskräften künftig die Fernarbeit im Land ermöglichen. Zu diesen digitalen Nomaden zählen unter anderem IT-Spezialisten, Influencer oder andere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die remote arbeiten können und dabei kein Einkommen aus neuseeländischen Quellen beziehen.
Besucherinnen und Besucher aus Deutschland, Österreich und der Schweiz dürfen 90 Tage im Jahr ohne Visum in Neuseeland verbringen. Neu dürfen sie diese Zeit künftig auch zum Arbeiten nutzen, solange sich der Arbeitgeber im Ausland befindet.
Keine Konkurrenz für Neuseeländer
Sie gehe davon aus, dass es sich bei vielen dieser Reisenden um hochqualifizierte Menschen handele, sagte Neuseelands Ministerin für Wirtschaftswachstum. Die digitalen Nomaden würden nicht mit Neuseeländern um Jobs konkurrieren. Angesprochen sind vor allem hochqualifizierte IT-Fachkräfte aus den USA und Ostasien.
Letzteres ergibt insofern Sinn, da Neuseeland nicht den gleich kostengünstigen Lebensstandard wie beispielsweise Indonesien oder Thailand bietet. So muss eine alleinstehende Person in einer Grossstadt mit monatlichen Lebenshaltungskosten zwischen 4000 und 5000 neuseeländischen Dollar pro Monat rechnen. Umgerechnet sind dies rund 2170 bis 2700 Euro. «Die digitalen Nomaden, die Neuseeland anlocken möchte, bleiben in der Regel länger und geben mehr Geld aus als gewöhnliche Touristen», kommentierte der Wirtschaftsexperte Oliver Hartwich, Direktor der Denkfabrik The New Zealand Initiative.
Wirtschaft in der Rezession
All das könnte das Land dringend gebrauchen, denn Neuseeland befindet sich wirtschaftlich in einer Rezession. Vor allem der Tourismussektor wurde durch die Grenzschliessung während der Pandemie stark beeinträchtigt. Trug die Branche laut der Tourismusbehörde Tourism New Zealand vor Covid-19 umgerechnet noch rund 22 Milliarden Euro zur Wirtschaft bei, so zeigen die neuesten Zahlen aus dem Jahr 2023, dass der Sektor mit einem Beitrag von 20,4 Milliarden Euro noch immer am Aufholen ist.
Und auch beim Rest der Wirtschaft sieht es wenig rosig aus: Seitdem man versucht hatte, mit Zinserhöhungen die hohe Inflation zu drücken, stagniert die Wirtschaft, die Arbeitslosigkeit stieg an und Arbeitssuchende wanderten ins Ausland ab. Nach Angaben der Bank HSBC musste die neuseeländische Wirtschaft im letzten Jahr den stärksten Rückgang des Bruttoinlandprodukts (BIP) unter allen Industrieländern hinnehmen, wie Radio New Zealand erst vor wenigen Tagen berichtete.
Schnelle Reformen nötig
Hartwich ist nun aber hoffnungsvoll, dass «der Erfolg kleinerer Massnahmen wie dieses Visums für digitale Nomaden dazu beitragen könnte, die Voraussetzungen für grössere Reformen zu schaffen». Der Wirtschaftsexperte zählt Modernisierungen von Häfen, schnellere Genehmigungen und Infrastrukturinvestitionen auf. Letztere Reformen müsse Neuseelands Premierminister Christopher Luxon aber möglichst schnell umsetzen, um das Land wieder auf Kurs zu bringen.
Warnende Stimmen weisen jedoch darauf hin, dass der Tourismus dafür berüchtigt sei, einkommensschwache und unsichere Arbeitsplätze zu schaffen, wie Glenn Banks und Regina Scheyvens, zwei Experten der neuseeländischen Massey University, in einem Aufsatz zum Thema urteilen. «Dies ist nicht die Grundlage für eine starke und nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung», schreiben sie.
Neuseelands «Geht nicht»-Denkweise
Tatsächlich sind die Erfahrungen aus dem Ausland gemischt. An einigen Orten hat sich der Trend der digitalen Nomaden, der in den 2010er Jahren einsetzte, nachdem vor allem junge Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihrem Alltag entfliehen wollten, zu einer wirtschaftlich interessanten Einnahmequelle entwickelt. Doch an anderen Orten überwiegt inzwischen die Kritik: In der südafrikanischen Stadt Kapstadt werden Stimmen laut, dass die Horden an Fernarbeitern zu einem Kostenanstieg geführt hätten, und in Ländern wie Spanien und Griechenland protestierten bereits zahlreiche Menschen gegen Übertourismus.
Auch Hartwich gesteht ein, dass es einige berechtigte Bedenken hinsichtlich der neuen Richtlinien geben könnte. Neben steuerlichen Konsequenzen, falls digitale Nomaden länger als 90 Tage bleiben würden, müsste auch die Infrastruktur an beliebten Touristenorten modernisiert werden. Aber normale Länder könnten solche Herausforderungen meistern, merkte er an. In Neuseeland dagegen könnte die weitverbreitete «Geht nicht»-Denkweise, die weit über die Tourismuspolitik hinausgehe, dem Vorhaben und damit auch der Wirtschaftserholung ein Bein stellen.