Freitag, September 27

Der Tod einer Amerikanerin in der Suizidkapsel Sarco löst Unbehagen aus. Im Parlament wird bereits ein Verbot der neuen Suizidmethode gefordert. Die Schweiz steht vor einer neuen Sterbehilfe-Debatte.

Drei Tage, nachdem sich im Kanton Schaffhausen eine 64-jährige Amerikanerin in der Suizidkapsel Sarco das Leben genommen hat, hat die Schaffhauser Staatsanwaltschaft Untersuchungshaft gegen eine der beteiligten Personen beantragt. Dies bestätigte Peter Sticher, erster Staatsanwalt, gegenüber der NZZ. Weder zur beschuldigten Person noch zu den Gründen über den Antrag machte Sticher Angaben. Die Voraussetzungen für eine Untersuchungshaft sind streng: Infrage kommt sie nur, wenn es um ein Verbrechen oder ein Vergehen geht. Mehrere andere Personen wurden inzwischen wieder freigelassen.

Laut Medienberichten handelt es sich bei einer der verhafteten Personen um Florian Willet. Der 47-jährige Deutsche präsidiert zusammen mit Fiona Stewart, der Partnerin des Sarco-Erfinders Philip Nitschke, den Verein The Last Resort («der letzte Ausweg»). Dieser ist der Schweizer Ableger von Nitschkes Organisation Exit International. Vor seinem Engagement bei der Sarco-Organisation war der Jurist und Ökonom Willet Mediensprecher von Dignitas Deutschland.

Der Antrag auf Untersuchungshaft zeigt, wie ernst die Staatsanwaltschaft den Einsatz der Suizidkapsel bewertet. Laut Auskunft von Sticher wird wegen verschiedener Delikte ermittelt. Im Vordergrund steht die Bestimmung zur Beihilfe zum Suizid in Artikel 115 des Strafgesetzbuches (StGB). Es droht eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren. Ausgesprochen werden kann sie allerdings nur, wenn die beschuldigte Person aus «selbstsüchtigen» Beweggründen gehandelt hat. Zentral ist dabei die Bereicherungsabsicht – wenn die Beihilfe also beispielsweise mit Blick auf das Erbe oder gegen Geld geleistet wird.

Sarco-Nutzer bezahlen nur 18 Franken

Das scheint im Fall Sarco bis jetzt unwahrscheinlich. Fiona Stewart gilt als gewiefte Juristin, sie dürfte die potenziellen rechtlichen Risiken genau abgeklärt haben. Die Verantwortlichen von The Last Resort betonen bei jeder Gelegenheit, dass die Benutzung des Sarco gratis sei – sie kommen damit einem Vorwurf zuvor, dass es ihnen auch darum gehen könnte, sich zu bereichern. Bezahlen müssen die Nutzer der Suizidkapsel nur rund 18 Franken für den Stickstoff, der in der Kapsel zur Anwendung kommt. Hinzu kommen die Kosten für die Anreise, die Hotelübernachtungen in der Schweiz und die Bestattung.

Womit sich The Last Resort genau finanziert – allein schon die Anwaltskosten dürften hoch sein –, bleibt unklar. Einen Unkostenbeitrag zu verlangen, wäre nicht grundsätzlich verboten, das tun auch die hiesigen Sterbehilfeorganisationen, die Ausländer in den Tod begleiten. Sie verlangen für diese Dienstleistung in der Regel rund 10 000 Franken. Die Branche beruft sich dabei auf das Urteil des Bezirksgerichts Uster aus dem Jahr 2018, laut dem ein solcher Beitrag für eine Suizidbegleitung nicht «krass überhöht» sei – und dass entsprechend keine selbstsüchtigen Motive vorlägen. Möglicherweise verzichten die Sarco-Leute nun in einer ersten Phase auch auf eine tiefere Benutzungsgebühr, um juristisch auf Nummer sicher zu gehen.

Selbstsüchtige Motive können jedoch auch «ideeller oder affektiver Art» sein, wie der Zürcher Strafrechtsprofessor Christian Schwarzenegger dazu im «Basler Kommentar» schreibt. In der Fachliteratur findet sich dazu jedoch nur wenig Konkretes. Die Rede ist in diesem Zusammenhang von Hass, Bosheit oder Rachsucht. Ob beispielsweise auch die Aufmerksamkeit, die die Sarco-Promotoren durch den Suizid erhalten, für eine Bestrafung ausreicht, ist ungeklärt. Ein juristisches Gutachten, das Nitschke zur Vereinbarkeit des Sarco-Einsatzes mit dem schweizerischen Recht in Auftrag gegeben hat und das der NZZ vorliegt, äussert sich dazu ebenfalls nicht.

«Wie kann ich jemandem helfen?»

In einem Gespräch mit dem «Sonntags-Blick» äusserte sich Willet zu seinen Motiven, die rein altruistisch seien. Auf die Frage, ob ein Mensch, der sterben wolle, obwohl er nicht unheilbar krank sei, nicht eine Verantwortung gegenüber den Mitmenschen habe, antwortete er: «Das ist Sklaverei.» Je mehr die Leute an der Moral festhielten, desto autoritärer seien sie normalerweise, erklärte Willet. Denn Moral sei nicht Empathie. «Wenn ich mitfühlend bin, denke ich darüber nach, wie ich jemandem helfen kann, was ich tun kann, damit er sich besser fühlt.»

Der Basler Strafrechtsprofessor Christopher Geth geht aufgrund der bis jetzt bekannten Tatsachen eher nicht davon aus, dass man den Sarco-Verantwortlichen Selbstsucht im Sinne von Art. 115 StGB vorwerfen kann. Dass viele Leute über den Einsatz der Suizidkapsel irritiert seien und das Vorgehen für moralisch verwerflich hielten, bedeute noch nicht, dass es auch strafbar sei. Aus der Durchführung eines Strafverfahrens lässt sich laut Geth nicht viel ableiten. Er weist darauf hin, dass die Staatsanwaltschaft verpflichtet ist, im Zweifelsfall Anklage zu erheben. «Ob tatsächlich ein Delikt vorliegt, müssen dann die Gerichte entscheiden», sagt er.

Die Strafnorm zur Suizidbeihilfe kommt in der Schweiz kaum je zur Anwendung. 2016 wurde zum letzten Mal eine Verurteilung ausgesprochen. In den Fokus sind deshalb in den letzten Tagen weitere Bestimmungen und Gesetze gerückt, die nicht in erster Linie auf die Strafbarkeit, sondern auf die Zulassung der Suizidmethode abzielen. So reichte die Zürcher SVP-Nationalrätin Nina Fehr Düsel am Donnerstag eine Motion ein, mit der sie die Benutzung von Sarco im Chemikalien- oder im Produktesicherheitsgesetz untersagen will, beispielsweise durch ein Verbot von Stickstoff für diesen Zweck. Eine Regelung auf Bundesebene sei besser als Strafverfahren in den einzelnen Kantonen, findet Fehr Düsel.

Sarco laut Baume-Schneider «nicht rechtskonform»

Fehr Düsel betont, es gehe ihr nicht darum, die geltende Suizidhilfepraxis strenger zu regeln. Genau dies hatten die Schweizer Sterbehilfeorganisationen im Zusammenhang mit dem Sarco befürchtet. Kritische Berichte über die Kapsel seien eine willkommene Gelegenheit für die Gegner der Sterbehilfe in der Schweiz, sagte Ruedi Habegger, Präsident der Nordwestschweizer Organisation Pegasos, im Juli gegenüber der NZZ. «Sie werden versuchen, das zu nutzen, um unsere liberalen Regeln zu ändern.»

Das Chemikalien- und das Produktesicherheitsgesetz hatte am Montag – wenige Stunden vor dem ersten Sarco-Einsatz – auch die Chefin des Innendepartementes, Elisabeth Baume-Schneider, erwähnt. Die Suizidkapsel sei «nicht rechtskonform», weil sie die Anforderungen des Produktesicherheitsgesetzes nicht erfülle und nicht mit dem Zweckartikel des Chemikaliengesetzes vereinbar sei, erklärte sie im Nationalrat. Im Gesetz heisst es, dieses solle «das Leben und die Gesundheit des Menschen vor schädlichen Einwirkungen durch Stoffe schützen». Das Gutachten im Auftrag von Nitschke kommt dagegen zu dem Schluss, der Einsatz von Sarco stehe mit beiden Gesetzen im Einklang.

Die seit Tagen andauernde Debatte macht deutlich, dass sich das Vorgehen der Sarco-Promotoren in einem rechtlichen Graubereich bewegt. Das Unbehagen ist verbreitet, die stark technisierte Methode scheint eine neue Dimension der Suizidbeihilfe zu öffnen. Trotz der teilweise tief in die juristischen Details abdriftenden Diskussion steht der Schweiz nicht in erster Linie eine rechtliche Auseinandersetzung bevor. Im Vordergrund steht die politische und ethische Frage, wo die Schweiz bei der organisierten Suizidbeihilfe die Grenzen zieht.

Exit mobile version