Sonntag, September 29

20 000 Menschen demonstrierten in Palma de Mallorca gegen ausufernden Tourismus. Auch Venedig, Dubrovnik, Barcelona und andere Destinationen klagen über Overtourism. Was kann dagegen unternommen werden?

Die Bilder kamen im Sommer mehrfach in den Nachrichten: Wütende Demonstrantinnen und Demonstranten zogen durch die Altstadt von Palma de Mallorca, lautstark forderten sie «Menos turismo, más vida» (weniger Tourismus, mehr Leben). Ihre Insel stehe nicht zum Verkauf, war auf Schildern zu lesen, und auf Englisch: «Take back your drunks, give back our homes.»

Man kann sie verstehen. Die 1,2 Millionen Einwohner der Balearen werden jedes Jahr von rund 18 Millionen Touristen überrannt. An einem einzigen Juli-Wochenende dieses Jahres wurden auf den drei Insel-Flughäfen 4786 Flüge abgefertigt, 2023 brachten 759 Kreuzfahrtschiffe über 2,5 Millionen Passagiere an Land. Die Ausländer kaufen die schönsten Fincas und Stadtwohnungen, bezahlen, ohne zu murren, überhöhte Restaurantrechnungen und produzieren Staus, Lärm und Dreck.

«Genug ist genug»

Die Einheimischen sind genervt: Sie finden keinen finanzierbaren Wohnraum mehr und müssen sich mit den unterbezahlten Jobs der Tourismusbranche zufriedengeben. «Genug ist genug», sagt Pere Joan Feminia, der die Kundgebung mitorganisiert hat, «wir verlangen konkrete Massnahmen, um die Zahl der Touristen zu begrenzen und das Wohlbefinden der einheimischen Bevölkerung zu verbessern.»

Die Crux ist: Mallorca lebt vom Tourismus, er ist mit Abstand die wichtigste Einnahmequelle der Insel. So aufgebracht und teilweise verzweifelt die Einwohner auch sein mögen – den Ast, auf dem sie sitzen, ganz abzusägen, ist keine Option. Es geht darum, das richtige Mass zu finden – aber wie?

Dass der Tourismus sich selbst reguliert, ist kaum zu erwarten, und nicht nur Mallorca hat mit dem Problem zu kämpfen. In Venedig versucht man seit Anfang des Jahres die Anzahl der Tagesgäste mit einem Eintrittsgeld im Zaum zu halten. An bestimmten Tagen im Jahr – etwa Feier- oder Brückentage – muss jeder, der nicht in Venedig übernachtet, fünf Euro Eintritt bezahlen. Das Experiment ist für 2024 abgeschlossen und spülte geschätzte 2,2 Millionen Euro in die Stadtkasse.

Ob es irgendwen davon abhielt, in die Lagunenstadt zu kommen, ist bislang nicht bekannt, aber ganz sicher ist Buthan mit seiner Übernachtungsgebühr von zirka 100 Franken pro Nacht erfolgreicher – auch wenn vom Overtourism gar nicht betroffen.

Das davon massiv betroffene Amsterdam geht mit einer ganzen Reihe von Regeln gegen den Massentourismus vor: keine neuen Hotels, nur noch halb so viele Kreuzfahrtschiffe, höhere Touristensteuer und zahlreiche Verbote für Besucher. Als erste Stadt weltweit führte die niederländische Metropole 2021 eine Touristenquote ein: Die Anzahl der Ferienübernachtungen pro Jahr darf nicht höher als 20 Millionen sein. Bedenkt man, dass die Stadt eine Bevölkerung von knapp 1,2 Millionen hat, ergibt das nicht nur für Einwohner, sondern auch für Reisende Sinn: Man möchte doch als Feriengast auch einmal ein paar Sätze auf Niederländisch hören und im Restaurant nicht nur unter Touristen sitzen.

Strategien gegen Übertourismus

Hatte man nach der Covid-Pandemie zunächst Sorgen, ob sich der Tourismus wieder erholen wird, so kann man heute sagen: Er hat. Egal, ob Flüge und Hotels teurer geworden sind – wer kann, der reist.

Offenbar können das viele, zu viele vielleicht? Das Schlagwort Overtourism wurde jedenfalls im vergangenen Jahr auch zum Thema des World Economic Forum: Was ist Übertourismus und wie können wir ihn überwinden, lauteten die Fragen. Als Lösungen wurden unter anderem die Umlenkung des Tourismus auf weniger bekannte Orte, eine von Behörden festgelegte Kapazitätsgrenze und die Unterstützung von Initiativen, die lokale Prioritäten und Bedürfnisse in den Vordergrund stellen und nicht einfach ein Modell der maximalen Gewinnung anwenden, präsentiert.

So weit, so gut. Jeder dieser Ansätze klingt sinnvoll, und doch wirkt alles etwas vage. Das liegt sicher auch daran, dass die Thematik relativ neu ist und ein angemessener Umgang mit den Auswirkungen des Übertourismus auf das jeweilige Reiseziel zugeschnitten sein muss. Erstmals gibt es nun eine genaue Studie dazu: Einen Index zum Übertourismus, erarbeitet und veröffentlicht von der Reiseplattform Evaneos und der Unternehmungsberatung Roland Berger. Der Plan: Weg von einer reinen Beschreibung des Problems, hin zu praktischen Lösungen, die auch Reisenden weiterhelfen.

Die lauten zum Beispiel so: In den besonders gefährdeten Badeorten – darunter Zypern, Mauritius, Griechenland und Kroatien – sollten in der Hochsaison Quoten eingeführt und die Vorteile der Nebensaison hervorgehoben werden. Wer nicht unbedingt im Juli oder August verreisen muss, sollte von den milderen Temperaturen und entspannteren Verhältnissen der Vor- und Nachsaison profitieren. Athen ist im Herbst so viel angenehmer als im Juli, und wer ans Meer möchte, muss keine griechische Insel wählen – Peloponnes ist genauso schön. Evaneos geht im nächsten Jahr sogar so weit, den Verkauf von Reisen auf die Bestseller-Inseln Mykonos und Santorini komplett einzustellen.

Eingestellt wurden auch Städtereisen, die mit einer Anreise per Flugzeug verbunden sind und weniger als fünf Tage dauern. Damit möchte man Reisende dazu bewegen, länger an einem Ziel zu bleiben, um neben den vielbesuchten Städten auch weniger bekannte Orte zu entdecken. Etwa Rotterdam als Ergänzung zu Amsterdam, das hinter Kopenhagen auf Platz zwei der am meisten gefährdeten Metropolen steht. «Der Übertourismus-Index hat uns in unserem Bestreben bestärkt, für bestimmte Reiseziele, die den vielen Besuchern nicht mehr gewachsen sind, besondere Massnahmen zu ergreifen», sagt Aurélie Sandler, Co-CEO von Evaneos.

Alternativorte für die nächsten Ferien

Dabei gibt es Destinationen, die bislang wenig oder keine Probleme mit Übertourismus haben, an denen die Gästekonzentration ausgewogen und über das ganze Jahr verteilt ist. Länder wie Marokko, Vietnam, Ägypten und Island gehören (noch) dazu, obwohl sie immer beliebter werden und möglicherweise an einem Wendepunkt stehen. Als ungefährdete Reiseländer gelten dagegen all jene, die über viel Platz verfügen, kaum saisonabhängig sind und nicht vom Tourismus leben. Dazu zählen Kanada, Peru, Finnland, Australien oder Tansania – also durchaus attraktive Destinationen, die zu einem längeren Aufenthalt verführen.

Generell sieht die Studie, die 70 der weltweit beliebtesten Reiseziele untersucht hat, diverse mögliche Lösungen: Förderung der Nebensaison, Bewerbung von neuen Sehenswürdigkeiten und Orten, Umsetzung von Kontingenten und Beschränkungen, Erhebung von Gebühren. Der griechische Spätherbst kann ganz wunderbar sein und bestens geeignet, um die malerische ehemalige Hauptstadt Nauplia zu erkunden, Athens spannende Museen zu besuchen oder um auf Santorini zwischen Fira und Oia zu wandern.

Frankreich lockt mit schönen, wenig besuchten Regionen wie Finistère oder die Dordogne, Südfinnland mit einer beinahe unbekannten Seenplatte, Österreich mit fast endlosen Rad- und Wanderwegen. Die baltischen Staaten sind ein Eldorado für Naturfreaks und Länder wie Georgien, Albanien und Usbekistan könnten gut ein paar zusätzliche Touristen vertragen. Und Mallorca ein paar weniger. Im Sommer jedenfalls.

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