Neun Tage dauern die Rad-WM, die am Samstag starten. Weil jedes Rennen auf dem Sechseläutenplatz endet, sind die Auswirkungen auf den Verkehr in der Zürcher Innenstadt massiv. Im Seefeld schliessen nächste Woche mehrere Gewerbler ihre Betriebe, weil sie nicht richtig arbeiten können. Andere Stadtquartiere sind mit dem Auto nur schwer zu erreichen, mehrere Gemeinden im Kanton ebenfalls.
Die Rad-WM kosten rund 20 Millionen Franken, wobei die öffentliche Hand etwa 13 Millionen trägt. Davon wiederum zahlt die Stadt Zürich mit über 9 Millionen Franken den Löwenanteil. Die übrigen Erträge sollen an der Veranstaltung selbst erwirtschaftet oder von Sponsoren getragen werden.
Lohnt sich das? Ist es legitim, eine mehrtägige Grossveranstaltung durchzuführen, die derartige Einschränkungen für die Bevölkerung zur Folge hat? Und wie viel Rambazamba verträgt Zürich? Darüber diskutieren Thomas Wüthrich, Direktor von Zürich Tourismus, und der grüne Gemeinderat Urs Riklin, der sich im Stadtparlament – mit Erfolg – gegen das Züri-Fäscht starkgemacht hat.
Herr Wüthrich, die Rad-WM bringen für viele Leute grosse Einschränkungen. Was sagen Sie jenen, die daran zweifeln, dass sich so ein Grossanlass am Ende für Zürich wirklich auszahlt?
Thomas Wüthrich: Zürich Tourismus ist nicht in die Planung und Organisation der Rad-WM involviert. Als Touristiker kann ich aber sagen: Solche Anlässe stärken das Image der Stadt Zürich. Gleichzeitig kann ich die Vorbehalte aus der Bevölkerung, dem Gewerbe und auch aus der Hotellerie nachvollziehen.
Die Hoteliers reiben sich die Hände, nehmen wir an. Die Organisatoren sprechen von insgesamt 850 000 Zuschauern, viele kommen aus dem Ausland.
Wüthrich: Längst nicht alle sind begeistert. Für die Hoteliers ist die zusätzliche Wertschöpfung aus den Rad-WM nicht besonders gross, denn sie sind im September ohnehin gut ausgelastet.
Herr Riklin, Zürich will unbedingt eine Velostadt sein. Eigentlich müssten Sie als Grüner Feuer und Flamme für diesen Anlass sein.
Urs Riklin: Tatsächlich freut es mich, wenn Zürich sich mit diesem Anlass als Velostadt profilieren kann, anders als Monaco, wo mitten in der Stadt Autorennen ausgetragen werden. Zürich hat eine grosse Velo-Community. Gleichzeitig stehen wir Grünen Grossanlässen aus ökologischer Sicht kritisch gegenüber – egal ob Rad-WM, Fussballturniere oder Street Parade.
Wenn Ihnen nicht einmal die Rad-WM wirklich genehm sind: Darf es aus Ihrer Sicht überhaupt noch Grossanlässe in der Stadt geben?
Riklin: Selbstverständlich soll es in einer Stadt Platz für kulturelle oder sportliche Anlässe haben, auch für Grossveranstaltungen, sonst wäre das Leben ja langweilig.
Sie möchten jetzt einfach nicht als Spassbremse dastehen. Im Stadtparlament blockieren die Grünen aber, wo sie können.
Riklin: Wenn es sein muss, ziehe ich die Spassbremse sehr gerne an. Es kommt darauf an, wie ein Grossanlass organisiert wird. Es macht ökologisch einen Unterschied, wie Veranstalter mit Themen wie Mobilität, Abfall oder dem Verpflegungsangebot umgehen.
Herr Wüthrich, können Sie sich eine vegetarische Street Parade vorstellen?
Wüthrich: Nein. Unter Inklusion verstehe ich, dass jeder essen und trinken kann, was er will. Wir sollten den Leuten keine Vorschriften machen.
Riklin: Das macht niemand. Aber in diesem Fall sollen Veranstalter auch nicht behaupten können, ein Anlass sei besonders nachhaltig, wenn keine Massnahmen beim Foodangebot oder beim Abfallkonzept umgesetzt werden. Als Verursachende müssen sie zu den Auswirkungen stehen und Verantwortung für ihre Entscheidungen übernehmen. Alles andere ist Greenwashing.
Wüthrich: Das stellt niemand infrage. Anlässe müssen unter ökonomischen und ökologischen Gesichtspunkten genügen und von der Bevölkerung akzeptiert werden. Nachhaltigkeit und Bevölkerungsverträglichkeit sind zentrale Anliegen von Zürich Tourismus.
Herr Wüthrich, die Partei von Herr Riklin, die Grünen, hat das Züri-Fäscht beerdigt. Ein Anlass, der jeweils zwei Millionen Menschen nach Zürich lockte. Wurmt Sie das als Touristiker?
Wüthrich: Die touristische Bedeutung war nicht riesig, es war vor allem ein Anlass für die Bevölkerung. Persönlich bedauere ich das Aus. Ich glaube, Zürich würde einen solchen Grossanlass alle drei Jahre gut vertragen. Das zeichnet eine lebendige und pulsierende Stadt wie Zürich ja auch aus.
Riklin: Die Grünen haben das Züri-Fäscht nicht beerdigt. Der Verein Zürcher Volksfeste hat von sich aus entschieden, das Fest nicht mehr zu organisieren . . .
. . . weil sie ohne den Programmpunkt Feuerwerk das Crowd-Management nicht stemmen konnten. Und Ihre Partei hat das Feuerwerksverbot eingebracht.
Riklin: Natürlich standen wir dem Züri-Fäscht skeptisch gegenüber. Es ist das beste Beispiel für ein Fest, wo sich Anlass und Stadtbevölkerung auseinandergelebt haben. Von der Stadtbevölkerung wurde es nicht mehr nur mit Begeisterung aufgenommen, wenn zwei Millionen Menschen innert drei Tagen das Seebecken verstopften. Und das Fest hinterliess jedes Jahr einen riesigen Abfallberg. Das Züri-Fäscht soll wieder stattfinden können, einfach ohne Flugshows und Feuerwerk, sondern allgemein verträglich. Es kann nicht sein, dass Veranstaltungen nur auf möglichst viel Konsum ausgelegt sind.
Herr Wüthrich, haben Sie nicht Angst, dass in der Bevölkerung die Abneigung gegen Grossanlässe wächst? Gerade jetzt, im Vorfeld der Rad-WM, hört man von vielen Leuten: Jetzt reicht es langsam.
Wüthrich: Wir sind tatsächlich an einem Punkt, an dem wir schauen müssen, dass wir das Gleichgewicht halten können. Tourismus funktioniert nur, wenn die Bevölkerung dahintersteht und profitiert. Wir tauschen uns deshalb regelmässig mit Quartiervereinen und anderen Vertreterinnen und Vertretern aus der Bevölkerung aus. Diesen Austausch wollen wir in Zukunft noch weiter stärken.
Was ist denn aus Ihrer Sicht der ideale Anlass?
Wüthrich: Ich hätte mich sehr gefreut, wenn der Eurovision Song Contest nach Zürich gekommen wäre. Diese Veranstaltung hätte gut zum offenen und diversen Zürich gepasst. Jetzt freuen wir uns für Basel und hoffen, dass Zürich als Hotelstadt auch profitiert. Für Veranstaltungen braucht die Stadt Zürich eine breit getragene, klare Strategie. Die fehlt heute. Da arbeiten wir sehr gerne konstruktiv mit der Politik zusammen.
Riklin: Das ist ein wichtiger Punkt. Selbstkritisch nehme ich mit, dass es vonseiten der Politik durchaus klarere Kriterien und Rahmenbedingungen für Grossanlässe braucht. Manchmal ist nicht klar, weshalb sich die Stadt ausgerechnet um diesen oder jenen Grossanlass bemüht, um ihn nach Zürich zu holen. Häufig will man sich profilieren. Dies allein sollte aber nicht das Ziel sein. Es sollten auf jeden Fall Anlässe sein, die von der Bevölkerung mitgetragen werden.
Zürich als Stadt der Events – das ist ein Erbe der Ära des früheren Stadtpräsidenten Elmar Ledergerber (SP), der die Stadt in einem internationalen Standortwettbewerb sah. Ist das heute überholt? Die linken Parteien sind wachstumskritischer geworden.
Riklin: Zürich stand damals an einem anderen Punkt. Die Deindustrialisierung war erst abgeschlossen, die offene Drogenszene noch nicht lange Vergangenheit. Jetzt, da die Stadt sehr erfolgreich ist, kann man sich schon fragen, ob man immer noch mehr und noch mehr Wachstum will.
Grossanlässe kurbeln den Tourismus an. Das ist doch auch ein Wirtschaftsfaktor.
Riklin: Es wird immer kolportiert, Grossveranstaltungen brächten unglaubliche Einnahmen. Aber ich habe meine Zweifel, ob die Ausgaben, die die öffentliche Hand machen muss, wirklich wieder in Form von Steuereinnahmen zurückfliessen. Das heisst nicht, dass man es nicht machen soll, aber man soll ehrlich sein. Für den Eurovision Song Contest hätten wir mindestens 20 Millionen Franken – am Ende mutmasslich noch mehr – auf den Tisch gelegt. Ob das für die Stadt finanziell aufgegangen wäre, stelle ich infrage.
Wüthrich: Eine kurzfristige Betrachtung ist schwierig. Natürlich gibt es die direkten Einnahmen der Hotellerie, der Gastronomie und des Detailhandels. Wichtiger ist aber fast der Imagegewinn, den man nicht in Franken und Rappen messen kann.
Herr Riklin, wollen Sie weniger Touristen in der Stadt?
Riklin: Nein, ich finde Reisen und Austausch über Kulturräume hinweg sehr wichtig. Und Zürich ist zum Glück nicht von Overtourism betroffen. Ich möchte, dass sich Touristinnen und Touristen in Zürich willkommen und wohl fühlen. Es geht bei der kritischen Haltung nicht gegen die Personen, aber um die Auswirkungen. Wenn beispielsweise gewerbsmässig vermietete Ferienwohnungen den Wohnraum konkurrieren, muss man einschreiten.
Wüthrich: Wenn sich eine Firma hier ansiedelt, geht dies oft darauf zurück, dass der Besitzer einmal als Tourist in Zürich war und die Stadt geschätzt hat. Wir sollten den Tourismus nicht unnötig einschränken.
Herr Wüthrich, Sie sagen, Zürich müsse sein Image korrigieren. Warum?
Wüthrich: Umfragen in unseren wichtigsten Märkten USA und Deutschland zeigen: Jene, die nicht hier waren, sehen Zürich als graue, langweilige Bankenstadt. Und jene, die Zürich bereist haben, nehmen uns so wahr, wie wir uns selbst sehen: lebenswert, vielseitig, bunt.
Riklin: Wir wollen Tourismus haben, aber keinen, bei dem die Leute am Flughafen in Massen in einen Car gesetzt und vom einen Ort zum nächsten gekarrt werden. Aus ökonomischer Sicht sind mehr Touristen natürlich interessant, aus ökologischer Perspektive jedoch nicht, wenn die Gäste mit dem Flugzeug anreisen. Öffentliche Gelder sollen daher nicht in ein Marketing fliessen, das den Flugtourismus zusätzlich ankurbelt.
Wüthrich: Moment! Zürich Tourismus ist nicht öffentlich finanziert. Lediglich fünf Prozent unseres Budgets kommen von Stadt und Kanton, und das verwenden wir für die Touristeninformation vor Ort. Die Gelder, um mehr Nachfrage zu generieren, werden vor allem in Europa und der Schweiz eingesetzt. Gäste aus der Schweiz machen mit über dreissig Prozent die meisten Logiernächte in Zürich aus. Aber es stimmt, die Anreise ist im Tourismus der grösste ökologische Fussabdruck. Wir brauchen auch die Gäste aus den Fernmärkten, wir können und wollen nicht auf sie verzichten. Wenn man von Inklusion redet und alle gleich behandeln will, darf man anderen Leuten das Reisen nicht verbieten.
Riklin: Es stimmt, dass es heikel ist, wenn man da aus der Position des Privilegierten redet. Aber es gibt auch verschiedene Möglichkeiten, zu reisen.
Kommen wir zurück zu den Rad-WM und zu den Einschränkungen, die jetzt auf die Stadtbewohner zukommen. Warum muss der Anlass eigentlich im Stadtzentrum stattfinden? Auf dem Flugplatz Dübendorf wäre doch genug Platz.
Wüthrich: Man will die schönsten Bilder von Zürich in die Welt schicken, und die entstehen nun einmal rund ums Seebecken. Auch für die Teilnehmer und die Zuschauer ist eine Durchführung in der Innenstadt attraktiv. Ich finde es schade, dass in Zusammenhang mit den Rad-WM ein Aspekt völlig untergeht: Zum ersten Mal treten Frauen, Männer und Menschen mit einer Behinderung am gleichen Anlass an. Ich würde es begrüssen, wenn dies mehr Beachtung fände – bei allem Verständnis für die Direktbetroffenen.
Neun Tage Einschränkungen sind eine lange Zeit. Wie lange darf denn eine Veranstaltung dauern, damit sie für die Bevölkerung verträglich ist?
Riklin: Es ist schwierig, eine konkrete Zahl zu nennen. Sind neun aneinandergereihte Tage oder neun einzelne Wochenenden verträglicher? Was ich schade finde, ist, dass mit den Rad-WM in Zürich viele Chancen verpasst wurden. Paris ist mit Olympia viele langfristige Infrastrukturprojekte angegangen. In Zürich ist fürs Velo wenig passiert. Die Stadt hätte den Gewerblern zum Beispiel E-Cargo-Bikes für die Warenauslieferung während der WM zur Verfügung stellen können als Anreiz, damit sie sich überlegen, ob es das Auto wirklich immer braucht. Und vielleicht hätte man sich auch an die Verkehrsberuhigung auf der Bellerivestrasse gewöhnt.
Wüthrich: Ich würde die Qualität einer Veranstaltung nicht an ihrer Länge festmachen. Wichtig ist, mit der Bevölkerung im Dialog zu bleiben. Und ich finde, wir sollten den Rad-WM jetzt eine Chance geben. Ich freue mich darauf.