Eine Allianz aus Wirtschaft und bürgerlichen Parteien hat den Abstimmungskampf zum nächsten Ausbauschritt für die Nationalstrassen eröffnet. Links-Grün dürfte mit heftiger Gegenwehr reagieren.
Man will offensichtlich keine Zeit verlieren. Nur gerade zwei Tage nach dem Urnengang über die BVG-Reform und die Biodiversitätsinitiative hat eine Allianz aus Wirtschaft und bürgerlichen Parteien den Abstimmungskampf zum Ausbauschritt 2023 für die Nationalstrassen eröffnet. Am 24. November, auf den Tag genau in zwei Monaten, stimmt das Volk über die Vorlage ab. Der Auftritt von gleich sieben National- und Ständeräten von Mitte, FDP und SVP vor den Medien in Bern machte deutlich, dass in den kommenden Wochen mit heftiger Gegenwehr gerechnet wird.
Insgesamt geht es um sechs Ausbauprojekte in fünf Kantonen, die von 2027 bis 2041 realisiert werden sollen. Die Ziele sind bei allen Projekten die gleichen. Es geht um die Beseitigung von Engpässen, mehr Sicherheit, weniger Unfälle, weniger Stau, weniger Ausweichverkehr in die Gemeinden. Bei drei Projekten handelt es sich um Tunnelbauten, was auch den Umwelt- und den Lärmschutz verbessern soll.
«Die Projekte setzen nur dort an, wo sie am dringendsten benötigt werden und wo sie den grössten Mehrwert erzielen. Und das ist dort, wo es heute gravierende Engpässe gibt», sagte der MCG-Ständerat Mauro Poggia. Der Genfer vertritt eine der fünf Regionen, die unmittelbar von der Umsetzung der Vorlage profitieren würden.
Der Ausbau auf drei Spuren pro Richtung zwischen Le Vengeron und Nyon sei nicht eigentlich eine Weiterentwicklung, sondern vielmehr eine Anpassung an die heutigen Bedürfnisse einer Region mit einem starken Bevölkerungswachstum. Das Gleiche gilt laut den Befürwortern auch für die anderen Ausbauprojekte in den Kantonen Bern (Wankdorf und Schönbühl), St. Gallen (Rosenbergtunnel), Schaffhausen (Fäsenstaubtunnel) und Basel-Landschaft (Rheintunnel Birsfelden).
Links-Grün stimmte geschlossen dagegen
Das Parlament stimmte der Vorlage im Herbst 2023 zu, das Geld liegt im 2017 geschaffenen Nationalstrassen- und Agglomerationsfonds bereit. Noch während der Debatte im Parlament wurde allerdings klar, dass das Geschäft längst nicht in trockenen Tüchern ist.
Von Links-Grün kam massive Kritik, in der Schlussabstimmung im Nationalrat stellten sich die Fraktionen der SP, der Grünen und der GLP geschlossen gegen den Entwurf. Kurz darauf ergriffen rund dreissig Organisationen, Parteien und Verbände unter der Führung des VCS das Referendum. Die bürgerlichen Parteien und die Wirtschaft müssen sich damit erneut in einen Abstimmungskampf werfen, den sie sich eigentlich hatten ersparen wollen.
Diese Vorlage sei von «grösster Bedeutung für die Bevölkerung, für Pendlerinnen und Pendler, für Anwohnerinnen und Anwohner, für den Freizeitverkehr und den Tourismus», ja «überhaupt für die gesamte Wirtschaft», sagte der Mitte-Ständerat und Gewerbeverbandspräsident Fabio Regazzi. Mobilität sei nicht weniger als «der Schlüssel zu Freiheit und Fortschritt». Regazzi dürfte zu einer der zentralen Figuren dieses Abstimmungskampfes werden, sein Verband führt die Kampagne an, zumal das Gewerbe zu den Hauptbetroffenen der jährlich steigenden Staustunden gehört.
Der Bund schätzt die volkswirtschaftlichen Kosten durch überlastete Schienen und Strassen auf jährlich über 3 Milliarden Franken, davon entfallen 1,2 Milliarden auf die Autobahnen – weil Arbeitskräfte im Stau steckenbleiben, Lieferketten unterbrochen werden, Aufträge ausfallen. Das Strassennetz bestehe zwar nicht nur aus Autobahnen, sagte der SVP-Nationalrat Thomas Hurter. «Wenn es aber auf den Autobahnen staut, ist davon das gesamte Netz betroffen.»
Wenn es um Ausweichverkehr gehe, gehe es immer auch um die Sicherheit, betonte die Mitte-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter. Im Halbjahr nach der Eröffnung der dritten Tunnelröhre am Gubrist habe der Verkehr auf den typischen Ausweichrouten um bis zu 20 Prozent abgenommen. Das bedeute weniger Stau, weniger Unfälle, weniger Risiken für Velofahrer und Fussgänger und bessere Zugänge für die Rettungskräfte. Auf der Autobahn selber habe die Zahl der Unfälle gar um 75 Prozent abgenommen.
Ähnlich hatte sich auch Jürg Röthlisberger, der Direktor des Bundesamts für Strassen (Astra), vor kurzem im Interview mit der NZZ geäussert. Die punktuellen Ausbauten im Umfang von 5 Milliarden Franken, über die im November abgestimmt wird, lösten nicht alle Probleme. «Aber es handelt sich um werthaltige Investitionen in ein Volksvermögen von 140 Milliarden Franken. Mit 4 Prozent dieses Wertes können wir das Autobahnnetz wieder verlässlicher machen.»
Verlagerung im grossen Stil ist nicht möglich
Letztlich gehe es um «das Funktionieren unserer Gesellschaft und den Erfolg der Schweizer Volkswirtschaft», sagte der FDP-Ständerat und Parteipräsident Thierry Burkart. Die Schiene und die Strasse dürften dabei nicht gegeneinander ausgespielt werden. Die Erfahrung habe gezeigt, dass es hier kein «Entweder-oder» gebe. «Wenn wir auf die heutige Auslastung der Infrastruktur schauen, wird uns schnell klar, dass eine Verlagerung im grossen Stil – also Verkehr nur noch auf der Schiene oder nur noch auf der Strasse – gar nicht möglich ist.» Deshalb sei es nichts als konsequent, wenn die Beseitigung der Engpässe langfristig geplant und umgesetzt werde.
Der Abstimmungskampf dürfte nicht nur den parteipolitischen Linien entlang verlaufen. Denn Verkehrspolitik ist immer auch Regionalpolitik. Entscheidend wird deshalb sein, wie sich die Verbände und Parteien in den betroffenen Regionen positionieren – und wie stark die Vorlage das Stimmvolk in jenen Regionen bewegt, die nicht unmittelbar davon betroffen sind.