Im Schaulager in Beeskow wird eine riesige Sammlung von DDR-Kunst aufbewahrt. Neben viel Kitsch entdeckt man hier auch Werke, die das Leben in der Diktatur ironisch kommentieren.
Es ist eine filmreife Geschichte über die Resteverwertung eines Staates: Im Sommer 1993 kommt ein vollbeladener Lastwagen der ehemaligen DDR-Feuerwehr auf Burg Beeskow an. Das Transportmittel hat es trotz gerissenem Keilriemen und brennender Ölleitung bis auf das Anwesen geschafft. Hunderte Gemälde, die davor in den Büros der SED-Funktionäre hingen, in Gewerkschafts- und Parteizentralen, landen in der brandenburgischen Kleinstadt an der Spree. Und das ist erst der Anfang eines speditorischen Grossunternehmens.
17 000 Gemälde, Grafiken, Zeichnungen und Büsten werden in den folgenden Jahren nach Beeskow gebracht. In eine Asservatenkammer der Kunstgeschichte, von der bis heute kaum jemand weiss, die es aber in sich hat. An den Schieberegalen hängt ein früher Neo Rauch neben einem Werk Willi Sittes. Es gibt Blätter von Werner Tübke neben dem üblichen DDR-Selbstbeweihräucherungskitsch. Wo sich die angestaubten Büsten von Sozialrevolutionären und Parteigenossen türmen, riecht es nach Altlastendrama. Nach ein bisschen Kunst zwischen viel Krempel. Aber so ist es nicht. Beeskow ist ein Zeitspeicher. Die Uhren haben hier nicht aufgehört zu ticken.
Idyllisch fliesst die Spree um die Burg Beeskow herum. Das mittelalterliche Gemäuer liegt auf einer Insel. Dass es in den neunziger Jahren hier tumulthafte Szenen gab, verdankte sich ausgerechnet der Treuhandanstalt. Gegründet nach dem Mauerfall, sollte die Behörde das DDR-Volkseigentum privatisieren. Rundum wurden Betriebe auf kürzestem Weg geschlossen oder verscherbelt, aber ausgerechnet bei der vom Staat angekauften Kunst machte man sich Gedanken. Die vom DDR-Kulturfonds finanzierten Trophäen sollten nicht einfach verschwinden.
Ein grosses und äusserst debattenfreudiges Symposium fand 1993 am Deutschen Historischen Museum statt. Herbert Schirmer, Mitglied der Ost-CDU und Kunstminister in der letzten DDR-Regierung unter Lothar de Maizière, schlug den Beeskower Herrensitz als Unterbringungsort für die Sammlung vor. Dezentraler geht es kaum. Östlich der 8000-Einwohner-Kreisstadt liegt nur noch Eisenhüttenstadt. Dann kommt die Oder, dahinter liegt Polen.
George Orwells Auge bei Neo Rauch
Wie kontaminiert und kompliziert das Thema DDR-Kunst ist, kann man an einem frühen Gemälde des Leipziger Malerstars Neo Rauch sehen, das heute ganz hinten im Beeskower Depot hängt. «Die Kreuzung» heisst das Grossformat aus dem Jahr 1984. Es zeigt einen Volkspolizisten beim Regeln des Verkehrs, auffliegende weisse Tauben und davor eine dynamische kleine Gruppe von Menschen.
Es ist das Selbstporträt eines Künstlers, der sich heute von diesem Bild distanziert. In seinen offiziellen Werkkatalog hat Neo Rauch es nicht aufgenommen. Es sei zu epigonal. Die Geschichte der «Kreuzung» ist sehr speziell und doch im Muster staatlicher Kunstankäufe der DDR nicht ungewöhnlich.
Es war den Führungskräften Anfang der achtziger Jahre nicht entgangen, wie weit sich die Jugend popkulturell von den ideologischen Werten des Arbeiter- und Bauernstaates entfernt hatte. Deshalb wollte man etwas nachbessern. Mit einer Eliteakademie der Freien Deutschen Jugend (FDJ). Die «bildkünstlerische Ausgestaltung der Jugendhochschule Wilhelm Pieck» war eines der grössten Kunstankaufsprojekte der DDR. Entstanden ist der Bau in einem Waldstück bei Wandlitz, und er war selbst so etwas wie eine Übermalung: Die FDJ-Kaderschmiede wurde direkt neben der früheren Wochenendvilla des NS-Propagandaministers Joseph Goebbels gebaut.
Ein interessantes Detail des Bildes von Neo Rauch: Hinter den dynamischen Figuren ist auf einer Litfasssäule ein riesiges Auge zu sehen. Es erinnert an George Orwells Roman «1984», die grosse Phantasmagorie vom Überwachungsstaat. Es muss kein Zufall sein, dass das Entstehungsjahr der «Kreuzung» ausgerechnet auch 1984 ist. Ursprünglich sollte das Bild prominent im Foyer der FDJ-Hochschule hängen, später hat man es in einen Raum des Internats verbannt.
Politisches Pathos
Was in Beeskow zusammengetragen ist, stammt aus Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Aus Büros der SED, des Freien Deutschen Gewerkschaftsbunds der DDR, der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft oder von der FDJ. Einige Parteigenossen wollten sich nach dem Ende des Staates ihr Eigenheim mit volkseigener Kunst behübschen, aber auch da wurde eingegriffen, um ein Archiv zu schaffen, das heute trotzig seine eigene Wahrheit behauptet.
Beeskow hat ein grossartiges Arsenal aus Kunst, der man ihre früheren ideologischen Verpflichtungen genauso ansieht, wie sie sich davon emanzipiert. Das politische Pathos wendet sich hier gegen diejenigen, die es einstmals verordnet haben. Auf den DDR-Bildern wirkt plötzlich vieles sehr ironisch.
Der Neo Rauch mit dem despotischen Riesenauge und den auffliegenden weissen Tauben scheint schon in neue Zeiten hinüberzuschielen. Willi Sittes Monumentalgemälde «Proletarier aller Länder vereinigt Euch», das für die SED-Parteihochschule in Berlin-Mitte entstanden ist, zeigt einen gekreuzigten Arbeiter. Das unfreiwillig Ironische des Bildes wird sofort erkennbar, wenn ihm die angestammte Umgebung fehlt.
Das Archiv in Beeskow ist Ort eines psychologischen Phänomens. Fünfunddreissig Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer ist das Pathos längst abgeplatzt. Die Kunst, die zur Verherrlichung einer sozialistischen Zukunft geschaffen wurde, hat sich auf und davon gemacht und schaut auf einmal böse zurück.
Von Thomas Ziegler stammt das 1982 entstandene Bild «Swetlana und Werner L. aus Berlin träumen von Sibirien». Wahrscheinlich nicht ohne Grund träumen die beiden in düsteren Farben. Norbert Wagenbrett porträtiert 1985 ein junges Paar, das trotz seinem zeittypischen Jugendoutfit wie eine DDR-Replik auf den Schlechtgelaunten-Klassiker «American Gothic» von Grant Wood wirkt. Auch nicht froher, trotz knallgelben Helmen: Wagenbretts «Bauarbeiter und Bauarbeiterin». Manfred Butzmann hat seinen Kollegen Harald Hauswald porträtiert. Auf der Grafik trägt er Gasmaske und einen Schutzanzug.
Anders als eine Kunstsammlung hat das DDR-Kunstarchiv keine geplante Erzählung. Es ist mit Zufällen bestückt und aus dem Ungeist einer Ideologie entstanden, die den Geist der Kunst auch unterschätzt haben muss. Die Kunst hat der Lebenswirklichkeit im Land viel genauer ins Auge geschaut, als es der Politik lieb sein konnte.
Berliner Plattenbauten sind in einer Tristesse gemalt, die erklären könnte, warum jeder Zweite sich am Wochenende auf seine Datsche geflüchtet hat. Dort war es allerdings auch nicht viel besser. «Schönes Wochenende» heisst ein Bild von Hartmut Staake aus dem Jahr 1981. Dicht an dicht und symmetrisch aufgereiht stehen die Datschen auf einem gerodeten Waldstück beisammen. Diese staatlich regulierte Freiheit war eine Frage der Leidensfähigkeit. Komfort gehörte nicht zu ihren Tugenden.
Ihrer Zeit voraus
Wo früher der Kulturfonds, die Treuhand und der Magistrat Ostberlins zuständig waren, gibt es heute eine Zusammenarbeit des Beeskower Depots mit dem Dokumentationszentrum Alltagskultur in Eisenhüttenstadt. Diese Dachorganisation einer versunkenen Welt nennt sich Museum Utopie und Alltag. Eisenhüttenstadt bewahrt im eigenen Haus 170 000 Objekte aus dem Leben der DDR auf.
Raunend geht das Publikum durch die Säle. Es ist eine spezielle Weisst-du-noch-Nostalgie, die man einem Volk nicht nehmen können wird, das von oben und im Kollektiv beglückt wurde. Vom Klorollenhalter bis zur Kunst. In ihrer Zweckhaftigkeit haben die Gegenstände des Alltags etwas Egalitäres, bei der Kunst ist das anders. Beeskow hat auch viel unbrauchbaren Krempel im Archiv. Bilder, die sich vom Propagandakitsch der Nazis in nichts unterscheiden. Man muss das nicht sehen.
Manches von gestern wirkt aber wie von heute. Schon zu Lebzeiten der DDR hatte diese Kunst ihren Abschied gefeiert. 1989 war das Feiern dann offiziell. Aus dem gleichen Jahr stammt ein Beeskower Gemälde. Die Berliner Mauer vom Westen aus gesehen. Und der Maler wurde schon mit Westmark bezahlt.
Das Kunstarchiv Beeskow in Brandenburg ist nur über angemeldete Führungen zu besichtigen.