Am Dienstagabend fand im Zürcher Stadion Letzigrund das 113. Konzert von Taylor Swifts «The Eras Tour» statt. In gut drei Stunden stellte der amerikanische Superstar ihre letzten zehn Alben vor.
Das hier ist nun also das grösste Ereignis des Tages, des Monats, des Jahres. Und zwar weltweit. Jedenfalls soweit es um Musik geht. Taylor Swift, die Königin des Welt-Pop ist nach Zürich gekommen. Selbst die Sonne kann dem Ereignis nicht widerstehen. Am frühen Dienstagabend strahlt sie mit gnadenloser Wucht auf die 48 000 wartenden Besucherinnen und Besucher im Stadion Letzigrund. Kurz nach 19 Uhr ertönt das Intro zum Song «Miss Americana». Und sobald Swift nun sichtbar wird und «Grüzi» sagt, geht eine erste Welle der Euphorie durchs Publikum.
Wo die Welt Glück verspricht, setzt sie auf Glanz und Glitzer. Das zeigt sich jetzt auch im Stadion, wo manche Fans als Disco- oder Country-Girls die gleichen Glitterkleider und Glitterstiefel tragen wie ihr Idol. Und wenn Taylor Swift mit ihrem Glittermikrofon fortan ein Lied anstimmen wird, dann werden sie ergeben mitsingen.
Taylor Swift steht auf einer Bühne – genauer: auf einer ausladenden Plattform, die mitten durchs Publikum verläuft. Aus der Distanz wirkt sie ziemlich zierlich und menschlich. Dank den Kameras und Projektoren jedoch, die sie in hundertfacher Vergrösserung auf eine grosse Screen transferieren, wird sie zu einer etwas blassen Göttin – denn noch macht ihr die Helligkeit der Sonne Konkurrenz.
Qualität und Quantität
Unter die Fans haben sich auch zahlreiche Interessierte gemischt, deren Aufmerksamkeit nicht nur durch Bewunderung bestimmt wird. Sie wundern sich auch über den Erfolg des Superstars, der alle anderen Stars in den Schatten stellt. Welche von Swifts Qualitäten sind ausschlaggebend für die wuchernde Quantität bezüglich Streams, Album- und Ticketverkäufen oder Chart-Positionen? Gerade solche Diskussionen befeuern den erstaunliche Hype noch weiter. Gut möglich aber, dass man im Konzert jetzt zumindest auf eine Frage eine Antwort findet: Kann Taylor Swift live überzeugen?
Ihr Auftritt beginnt beschwingt mit luftigen Pop-Songs wie «Cruel Summer». Den Titel könnte man hierzulande ja klimatisch verstehen. Begleitet von der Band, die sich hinten beidseits der grossen Screen installiert hat, singt Taylor Swift jedoch von einem Sommer, in dem sich ein Typ nicht für ihre Liebe erwärmen liess. An sich eine traurige Sache, mag man meinen. Aber die Musik klingt munter und frisch. Und Taylor Swift selber gibt sich gelöst und selbstironisch. Wie noch oft an diesem Abend stakst und hüpft sie im Rhythmus die Bühne auf und ab. Und jeder Schritt ein Zeichen von Selbstvertrauen und Souveränität.
In den nächsten Stücken will die Sängerin ein paar Botschaften unter die Leute bringen. Während sich die Bühne in eine Art Bürogebäude mit vielen tanzenden Geschäftsleuten verwandelt, singt sie in «The Man» von den Nachteilen, die es offenbar mit sich bringt, wenn man als Mädchen geboren wird. «You Need To Calm Down» ist dann eine mitreissende Hymne an die Toleranz – insbesondere gegenüber queeren Mitmenschen. Dass sie es ernst meint mit ihrer Mission, beweist die auffallende Diversity ihrer Tanztruppe mit dünnen und dicken, dunkel- und hellhäutigen Tänzerinnen und Tänzern.
«Zürich, welcome to the Eras tour», ruft der Star irgendwann. Sie trete zum ersten Mal in der Schweiz auf, sagt sie, und erklärt dann die Idee ihrer aktuellen Tournee, deren 113. Konzert in Zürich stattfindet: Sie ziehe Bilanz ihrer bisherigen Karriere. Dazu bringe sie Stücke der letzten zehn Alben auf die Bühne. Ob Fearless (2008), «Speak Now (2010), «Red» (2012), «1989» (2014), «Reputation» (2017), «Lover» (2019), «Folklore» (2020), «Evermore» (2020), «Midnight» (2022), «The Tortured Poets Department» (2024) – jedes Repertoire steht eben für eine biografische Ära im Leben der 34-jährigen Künstlerin.
Kuss und Tanz
Der Wechsel von Album zu Album wird stets durch ein neues Kleid und einen Song markiert, der typisch ist für den jeweiligen Musikstil. So verschwindet Taylor Swift nun plötzlich unter der Bühne, um sich wenig später in goldenen Hüllen zu zeigen. «Fearless» wird angestimmt, die Musik ist nun mit Folk und Country getönt. Thematisch aber geht es immer wieder um die Liebe. Im Titelsong gibt’s einen ersten Kuss und einen Tanz im Regen. In «You Belong To Me» hingegen spricht die Eifersucht: Denn der verehrte Junge merkt nicht, dass er zur Sängerin gehört und hängt einer arroganten Rivalin nach.
Die Texte von Taylor Swift sind geprägt durch einen erzählerischen Flow. Immer wieder greift sie auf gescheiterte Beziehungen zurück, um sich dabei direkt an ein männliches Du zu richten, mit dem sie endgültig fertig zu sein vorgibt. Der Trennungsschmerz scheint aus der Distanz dann nicht mehr so gross; er lässt jedenfalls Raum für kühle Vernunft und Verachtung.
Entsprechend wirkt Taylor Swift als Sängerin häufiger abgeklärt als ergriffen. Es gibt in ihren Balladen – zum Beispiel im zehnminütigen «All To Well», das im Stadion etwas grob daherkommt – kaum vokale Extreme. Virtuose Koloraturen sind ebenso wenig Taylor Swifts Sache wie vokale Grenzbereiche wie Hauchen, Heulen, Schreien. Auch die Begleitung scheint jeweils nicht von einer leidenden Seele dirigiert. Sie schafft sich ruhige Bahnen auf einer emotionalen Oberfläche, die Trost und Gelassenheit verspricht. Wird die Gangart beschleunigt in poppigeren oder rockigeren Passagen, dann verfällt die Sängerin des Öfteren in ein Gellen, das zwar laut ist, aber dünn und brüchig wirkt.
Analog zur gesanglichen Geradlinigkeit wirkt auch Swifts physisches Engagement reduziert und sehr kontrolliert. Die Sängerin lässt sich nur selten, wenn sie beispielsweise ein paar rockige Akzente unterstreicht, auf hektische Gesten ein. Und auf ausgelassenes Tanzen verzichtet sie fast ganz. Im «Evermore»-Akt wagt sie einmal ein paar Schritte in einer feierlichen Gruppenchoreografie. Aber in ihrem langen Kleid wirkt sie eher wie eine charmante Märchenprinzessin als wie ein hitziger Pop-Star.
Das Konzert dauert lang, sehr lang, fast dreieinhalb Stunden. Wer kein Hardcore-Swiftie ist, wird gegen Ende herausgefordert, wenn noch und noch ein Song angestimmt wird. Und am Schluss wird man draussen auch ein paar Swifties entkräftet und halb ohnmächtig am Boden herumsitzen sehen. Immerhin nutzt Taylor Swift die Zeit, um sich als flexible Musikerin und als eine Persönlichkeit mit sehr unterschiedlichen Seiten in Szene zu setzen. So tritt sie im «Folklore»-Akt als Fee auf, um sich später einen Hipster-Hut aufzusetzen. Manchmal lässt sie sich von Hip-Hop- oder R’n’B-Anklängen auch in sinnliche Sphären verführen.
Swift als Vamp
Das gilt insbesondere für das Repertoire von «Reputation», das Swift als Vamp in einem Schlangen-Kleid zum Besten gibt. Mit dem aggressiven Sex, der im Pop der letzten Jahrzehnte zum Standard geworden ist, erschrickt sie ihre Fans nicht. Taylor Swift gibt sich hier zwar so frivol und lasziv wie sonst selten, wirkt aber weiterhin kontrolliert. Eine Ekstase traut man ihr kaum zu, auch einen Absturz wird sie nicht riskieren, vielleicht mal einen rechten Schwips. Dennoch verlässt sie in R’n’B-inspirierten Songs wie «Delicate» oder «Shake It Off» (beide von Max Martin produziert) ein wenig ihre Komfortzone, um sich in ein rhythmisches Fieber zu steigern und für stimmungsmässige Höhepunkte zu sorgen.
Ein anderes Highlight ist das sogenannte «Acoustic Set», in dem Taylor Swift auf jeden Schnickschnack verzichtet, um solo zwei Songs zu interpretieren – in «All You Had To Do Was Stay» spielt sie selber Gitarre, für «Last Kiss» begleitet sie sich am Piano. So innig und schnörkellos ist ihr Vortrag, dass sie, in einen wallenden Rock gehüllt, eher wie eine Magierin oder eine Prinzessin wirkt als ein Pop-Star. Vielleicht sind es gar nicht nur der Gesang, die Texte und der Geschäftssinn, mit denen Taylor Swift ihre Fans begeistert. Vielleicht bezaubert sie diese zuallererst durch ihr Charisma und ihre freundliche Autorität.