Der Regie-Star Frank Castorf hat am Burgtheater «Heldenplatz» von Thomas Bernhard inszeniert. Er lässt das Publikum beschimpfen. Aber das Publikum schimpft zurück.
Buhrufe schon am Anfang, Buhrufe zum Schluss. In dieser vokalen Rahmung ist im Wiener Burgtheater am Wochenende die Premiere von Thomas Bernhards Drama «Heldenplatz» über die Bühne gegangen. In der Inszenierung von Frank Castorf pflanzt sich der Schauspieler Marcel Heuperman zuerst an die Rampe und säuselt den Schmähruf lustig provozierend dem Publikum entgegen.
Am Ende der Premiere aber, nach fünf Stunden dramatischer Geisterbahnfahrt durch Dichtung und Wirklichkeit, schallte es viel lauter zurück. Da war klar: Man will in Österreich seinen alten Bernhard wieder haben – und nicht so eine sinnlos aufgemotzte Seifenoper, in der man sich vor lauter Fremdtexten nicht mehr an Bernhards Beschimpfungen delektieren kann.
Keine Misthaufen mehr
Der Übertreibungskünstler ist hier längst kanonisiert. Was bei der Uraufführung seines «Heldenplatzes» 1988 noch für Skandal und stinkende Misthaufen vor den Burg-Toren sorgte, hat Einzug gehalten in die Hochkultur. Man hört sich nun gerne an, dass das Land zutiefst korrupt sei, nichts aus der Nazi-Zeit gelernt habe und abermals auf dem Weg in finstere politische Zeiten sei – und lacht darüber wie im Kabarett. Dass in Österreich tatsächlich eine Rechts-aussen-Riege wieder zum Angriff aufs Parlament trötet und gute Chancen hat, bis ins Kanzleramt zu gelangen, wird ausgeblendet auf Kosten des defaitistischen Amüsements.
Auch Castorf, der ewig junge und schwer linke, zehnmalkluge Bühnenstürmer, der sein Rüstzeug aus alten DDR-Zeiten immer noch blank putzt, will an dieser seltsamen Selbst-Kasteiung nicht rütteln. Er lässt gar nicht den «Heldenplatz» spielen, wie er im Buche steht. Und wenn, dann macht er sich lustig über einzelne Wut-Sätze, bei denen vor über dreissig Jahren dem braven Wiener noch der Hals schwoll. Den Text aber hat er zerpflückt, um ihn in kleinen Szenen-Schmankerln zu servieren, in denen die Schauspieler glänzen dürfen. Um das Original aber rankt sich wirr eine Castorf-Geschichte vom schlechten Einfluss Amerikas.
Bei Bernhard ist eine kleine Gesellschaft in Trauerkleidung zusammengekommen, weil ein Professor sich das Leben genommen hat. Die Nachkommen geben unisono dem undemokratischen und antisemitischen Österreich die Schuld. An der grenzenlosen Dumm- und Korruptheit der Politiker sei der Selbstmörder zugrunde gegangen. Thomas Bernhard hat alle Register seiner Beschimpfungs-Brillanz gezogen, um dem Zuschauer mit Wiederholungsterror einzubleuen: Dieses Land sei nicht mehr zu retten.
Mitten im Drama aber gibt es folgenden Satz: «Der Amerikanismus hat hier alles zerstört.» Und da hat Frank Castorf zugeschnappt. Er hat sich von seinem langjährigen Bühnenbildner Aleksandar Dénic eine typische drehbare Castorf-Welt mit meterhohen Monroe- und Mafia-Gestellen bauen lassen, mit Zugang zur Subway und einem U-Bahn-Zug unter der Erde. Ergänzt wird das Szenario durch ein blickdichtes Kabuff, in dem sich das Dramenpersonal drängt, beobachtet von einer Live-Kamera.
Aufsagen muss es lange Passagen von Thomas Wolfe und John F. Kennedy, die in den 1930er Jahren nicht so recht wussten, ob sie den aufkommenden Faschismus in Deutschland loben oder tadeln sollten. Wahlweise waren sie fasziniert oder auch nur gefährlich blauäugig. Hier mag Castorfs Denkansatz irgendwo versteckt geschlummert haben.
Allein, man wird nicht schlau daraus. Die Zeiten und Orte drehen sich wie die Bühne – und schon ist man wieder von einem neuen Monolog gefangen, der brillant daherkommen mag, aber nur wie ein aus allen Zusammenhängen gefallener schauspielerischer Höhepunkt. So kann man diesen Abend als eine Nummernrevue auffassen, aber dafür ist man eigentlich nicht gekommen.
Jeglichen Verweis auf gegenwärtige gesellschaftliche Strömungen hat Castorf sich und seiner Truppe verboten. Er wäre freilich nicht er, würde er billige Steilvorlagen nutzen. Bei ihm muss es immer einen speziellen Weg ums Gehirn herum geben. Solche Pfade hat er einst mit viel Risiko und Provokation beschritten. Er hat alte Texte aufgebrochen und verblüffend mit fern liegenden Gedankenfetzen und radikalen Szenen versetzt. Im Burgtheater gelingt ihm das nun kaum; stattdessen versteigt er sich zu schlimmsten Geschmacklosigkeiten: Die Trauergemeinschaft wird nun von sichtbar aus dem Kronleuchter strömendem Gas vertrieben.
Es gibt nur wenige Momente in diesen fünf Stunden, die den Zeitaufwand lohnen. Bezeichnenderweise stellen sie sich immer dann ein, wenn abseits antiamerikanischer Sperenzchen Bernhard pur gespielt wird.
Seelische Wunden
Zum Beispiel, wenn Birgit Minichmayr in eine mumienähnliche Zwangsjacke gesteckt wird: Ihr Österreich-Hass-Monolog kommt dabei ätzend wie aus einer tiefen seelischen Wunde heraus. Inge Maux singt ohne Kitsch ein altes jiddisches Lied. Und in Branko Samarovskis stummem Leidensgesicht liegt mehr Anklage und Hoffnungslosigkeit als im ganzen letzten Drittel der Aufführung, die Castorf mit lähmender Nichtigkeit verplappern lässt.
«Wer Visionen hat, braucht einen Arzt, hat der Bundeskanzler gesagt», murmelt Samarovski. In seinem Gesicht spiegelt sich dabei die Angst vor dem, was da kommen könnte in unserer Zeit. Draussen liegt der echte Heldenplatz kurz vor Mitternacht in heller Pracht unschuldig da.