Diese Woche trifft der Nationalbankpräsident letztmals einen geldpolitischen Entscheid. Viel Spielraum für Lockerungen besteht nicht mehr, denn die Nullzinsgrenze rückt immer näher.
Der Vorhang fällt. Am Donnerstag wird Thomas Jordan ein letztes Mal einen geldpolitischen Entscheid bekanntgeben, zusammen mit seinen beiden Kollegen im Direktorium der Schweizerischen Nationalbank (SNB). Wie es Jordans Naturell entspricht, wird er um seine Person und seine Dernière wohl wenig Aufhebens machen, ehe er das Amt des SNB-Präsidenten per Ende September an Martin Schlegel weiterreichen wird.
25 oder 50 Basispunkte?
Der Stabwechsel – und das dürfte für Jordan wichtig sein – erfolgt vor dem Hintergrund einer stabilen Preisentwicklung. Seit 15 Monaten liegt die Inflation in der Schweiz wieder im geldpolitischen Zielband, also zwischen 0 und 2 Prozent. Die Rückkehr zur Preisstabilität nahm die SNB im März zum Anlass, noch vor den anderen grossen Zentralbanken die Zinswende einzuleiten. Der damaligen Zinssenkung um 0,25 Prozentpunkte folgte im Juni ein zweiter Schritt im gleichen Umfang. Damit liegt der Leitzins gegenwärtig bei 1,25 Prozent.
Aller Voraussicht nach wird Jordan zum Abschied eine weitere Lockerung vornehmen. Unklar ist, ob der Leitzins um 25 oder 50 Basispunkte gesenkt wird. Die Mehrheit der Ökonomen rechnet mit der kleineren Variante. Dass sich die SNB ans Skript des Finanzmarkts hält, ist aber keineswegs garantiert. Sie hat in den vergangenen Jahren immer wieder für Überraschungen gesorgt. Daher kann auch ein «Doppelschritt» um 0,5 Prozentpunkte, wie ihn am vergangenen Mittwoch die US-Notenbank Fed vollzogen hat, nicht ausgeschlossen werden.
Eine Leitzinssenkung um 50 Basispunkte ist jedoch die weniger wahrscheinliche Variante. Dies auch deshalb, weil die Konjunktur in der Schweiz vergleichsweise robust ist. Die Ökonomen der UBS weisen darauf hin, dass die Nationalbank in der Vergangenheit nur dann zu Zinsschritten von mehr als 25 Basispunkten gegriffen hat, wenn sich die wirtschaftliche Lage rasch eingetrübt hatte und der Aufwertungsdruck auf den Franken besonders hoch war. Gegenwärtig scheint weder das eine noch das andere der Fall zu sein.
Inflation sinkt stärker als erwartet
Am unwahrscheinlichsten ist ein Nullentscheid, also die Beibehaltung des Zinsniveaus. Denn seit der letzten Lagebeurteilung vor drei Monaten sind die Konsumentenpreise weniger stark gestiegen als von der SNB erwartet. Ging die SNB damals von einer Teuerung von 1,5 Prozent im dritten Quartal aus, liegt der Durchschnitt nach den ersten zwei Monaten des Quartals bei 1,2 Prozent. Im August lag die Inflation mit 1,1 Prozent ziemlich genau in der Mitte des Zielbandes, das die SNB mit Preisstabilität gleichsetzt.
Doch die Inflationszahlen lassen sich unterschiedlich interpretieren. Ökonomen, die für eine starke Lockerung der Geldpolitik plädieren, verweisen darauf, dass die Inflation fast nur noch von den Mieten, die im August 4 Prozent höher lagen als im Vorjahresmonat, ausgeht. Dieser Effekt werde aber bald aus der Statistik verschwinden, da ein weiterer Anstieg des hypothekarischen Referenzzinses – und damit eine weitere Verteuerung der Bestandesmieten – nicht absehbar sei. Klammere man die Wohnungsmieten aus, betrage die Inflation nur 0,4 Prozent.
Ökonomen, die das Inflationsproblem noch nicht als gelöst erachten, sehen das anders. Sie verweisen auf die hartnäckig hohe Teuerung der Inlandgüter. Diese verharrt seit weit über einem Jahr bei rund 2 Prozent und macht keine Anstalten, bald zu sinken. Dass die Gesamtteuerung in der Schweiz jüngst gesunken ist, liegt also einzig daran, dass seit Ende 2023 die Importgüter aus dem Ausland dank einem relativ starken Franken billiger geworden sind. Bei inländischen Gütern – und vor allem bei Dienstleistungen – ist hingegen keine Entspannung festzustellen.
Wenig zinspolitischer Spielraum
Doch die Inflation reagiert nicht nur auf den Zins, sondern auch auf den Wechselkurs. Und hier spricht vieles dafür, dass der Aufwertungsdruck auf den Franken mittelfristig zunehmen wird. Denn in den USA und im Euro-Raum dürften die Leitzinsen bis im nächsten Sommer kontinuierlich sinken. Damit verringert sich die Differenz zwischen dem traditionell niedrigeren Zinsniveau im Frankenraum und jenem bei Euro und Dollar. Die relative Attraktivität von Frankenanlagen steigt daher – und somit auch der Aussenwert der Schweizer Währung.
Um die Zinsdifferenz aufrechtzuerhalten und einer Erstarkung des Frankens entgegenzuwirken, kann die SNB ihren Leitzins zwar weiter senken. Doch viel Spielraum hat sie nicht, weil das Zinsniveau schon sehr niedrig ist. Ganz anders ist die Lage in den USA, wo der Leitzins bei knapp 5 Prozent liegt, und im Euro-Raum, wo die drei Leitsätze zwischen 3,5 und 3,9 Prozent betragen. Konkret heisst das: Die SNB kann den Zins noch 5 Mal um je 0,25 Prozentpunkte senken, ehe sie wieder bei Negativzinsen landet; das Fed hingegen 19 Mal und die EZB 14 Mal.
Die SNB dürfte wenig Interesse daran haben, das unkonventionelle und ungeliebte Experiment der Negativzinsen bald zu wiederholen. Damit stellt sich die Frage, wie weit die SNB bei ihren Zinssenkungen zu gehen bereit ist. Hier gehen die Markterwartungen weit auseinander. Während etwa die Ökonomen von Safra Sarasin davon ausgehen, dass die SNB den Leitzins bis September 2025 bis auf 0,5 Prozent senken wird, erwartet die UBS in ihrem Basisszenario, dass der Leitsatz bis Ende 2025 nicht unter 1 Prozent fallen wird.
Rückkehr zu Deviseninterventionen?
Doch was tun, wenn man keine Negativzinsen will, aber auch verhindern muss, dass eine massive Aufwertung des Frankens die Exporteure bedroht und zu sinkenden Preisen führt? Die SNB müsste umschwenken: weg von der Zinspolitik hin zur neuerlichen Steuerung des Wechselkurses. Sie müsste am Devisenmarkt wieder massiv Fremdwährungen kaufen. Jordan weiss, wie das geht: Während seiner Amtszeit musste er die Bilanz zeitweise auf über eine Billion Franken aufblähen. Gut möglich, dass auch für Schlegel der Kauf von Devisen bald wieder an Bedeutung gewinnen wird.