Samstag, November 23

Die französische Dirigentin ist seit ihrem Triumph mit Wagners «Tannhäuser» bei den Bayreuther Festspielen weltweit gefragt. Bei ihrem Einstand in Zürich spielt sie jetzt gemeinsam mit Diana Damrau ihre jahrzehntelange Erfahrung als Sängerin aus.

Jedes Kind weiss, dass man zum Singen nicht zwingend einen sinnvollen Text braucht. «La, la, la» tut es auch. Oder, wenn die Stimmung danach ist, ein jubilierendes «Ah!». Im Konzertsaal dagegen ertönt so befreites Lallen und Jauchzen selten. Doch im jüngsten Konzert des Tonhalle-Orchesters Zürich kommt die deutsche Sopranistin Diana Damrau aus dem Säuseln und Seufzen schier nicht heraus. Quer durch alle Lagen lässt sie ihre feine, helle Stimme schwärmen, trauern, lächeln – man spürt die Emotionen, muss sich aber selbst einen Reim darauf machen. Denn es gibt keinen Text, der die Gefühle benennen würde.

Dafür singt am Pult des Tonhalle-Orchesters noch jemand. Die französische Dirigentin Nathalie Stutzmann, die an diesem Abend ihr Debüt in Zürich gibt, singt im Stillen offenkundig jeden Ton mit, sie hängt förmlich an Damraus Lippen. Kein Wunder: Stutzmann war jahrzehntelang als Mezzosopranistin eine Grösse in der Lied- und Opernwelt. Doch nach der Jahrtausendwende reichte ihr dies nicht mehr, sie nahm noch einmal Unterricht und tritt seit 2008 auch als Dirigentin auf – mit derzeit wie im Zeitraffer anschwellendem Erfolg. Denn seit sie 2023 die Premiere von Wagners «Tannhäuser» bei den Bayreuther Festspielen geleitet hat, gilt sie als eine der profiliertesten Künstlerinnen im nach wie vor kleinen Kreis der international tätigen Dirigentinnen.

Morgen wieder Sonne

In Zürich hört man jetzt die Qualitäten, die auch ihren Bayreuther «Tannhäuser» bei der Wiederaufnahme diesen Sommer ausgezeichnet haben: Sie versteht es wie wenige, Sänger durch ihre Partien zu tragen; sie kennt die Möglichkeiten und Grenzen der menschlichen Stimme, weiss, wo es Raum braucht zur Entfaltung des Klangs, aber auch zum Atemholen. Denn sie atmet mit ihnen. Diana Damrau nutzt diesen Raum im Konzert für Koloratursopran und Orchester von Reinhold Glière beeindruckend. Das kuriose Stück, das ohne Text für die Solistin auskommt, ist eigentlich anachronistischer Kitsch im Fahrwasser des einst in der UdSSR propagierten sozialistischen Realismus.

Aber Damrau und Stutzmann stellen den Kern des Stücks heraus: Sie setzen ganz auf die wortlos in der Solostimme ausgedrückten Emotionen, die sich frei und schwärmerisch entfalten dürfen, ohne je ins Sentimentale zu kippen. Noch mehr Atmosphäre schaffen die beiden dann in den frühimpressionistischen Orchesterliedern von Henri Duparc. Auch hier hört man die Erfahrung der zwei gestandenen Liedinterpretinnen: Die nun von Gedichten vorgezeichneten Emotionen blühen im konzisen Rahmen prächtig auf, klingen aber ebenso kontrolliert wieder aus. Das Zusammenwirken mit den Orchestersolisten gewinnt dabei besondere Intensität, zumal in der Zugabe, dem Lied «Morgen» von Richard Strauss, das Damrau in Anspielung auf das Schneechaos vor der Tür schlicht mit dem Textzitat «. . . und morgen wird die Sonne wieder scheinen» ankündigte.

Eine packende Geschichte

Stutzmann wiederum hatte sich dem Zürcher Publikum zu Beginn sinnigerweise mit der «Tannhäuser»-Ouvertüre vorgestellt. Hier wie auch in Tschaikowskys 5. Sinfonie wird besonders deutlich, dass sie ursprünglich aus der Originalklang-Bewegung kommt. Stutzmann folgt nämlich Nikolaus Harnoncourts Idee der «Klangrede», gestaltet also die musikalischen Phrasen als rhetorisch wirkende Einheiten – wie Argument und Gegenrede. Das Orchester lässt sich darauf ein, spielt aber stellenweise über die dämpfenden Zeichen der Dirigentin hinweg, der anscheinend ein differenzierteres Klangbild vorschwebt. Das Prinzip funktioniert trotzdem: Tschaikowskys Geschichte von der Überwindung des Leids durch Zuversicht, die dennoch bis zum Schluss gefährdet bleibt, wird packend beredt – ganz ohne Text.

Exit mobile version