Samstag, November 23

Das Tonhalle-Orchester und sein Musikdirektor stellen sich in der 7. Sinfonie von Gustav Mahler einem direkten Vergleich mit dem Lucerne Festival Orchestra.

Paavo Järvi sucht die Herausforderung: Im jüngsten Tonhalle-Konzert legt es Zürichs Musikdirektor auf einen direkten Vergleich mit dem Lucerne Festival Orchestra (LFO) an. Das ist mutig und auch ein bisschen verwegen, denn wer die Auftritte des LFO am vergangenen Sommerfestival verfolgen konnte, weiss: Es gibt derzeit in der Schweiz kein anderes Orchester, das auf einem derart hohen technischen und musikalischen Niveau spielt wie das Wunder-Ensemble von Luzern. Järvi könnte indes genau das gereizt haben – schliesslich wirken nicht nur etliche seiner Tonhalle-Musiker in Luzern mit, er kennt die Truppe des Kollegen Riccardo Chailly auch selbst von zwei Auftritten als Einspringer, mit denen er 2023 den Festivalauftakt gerettet hat.

Und so dirigiert er – wie Chailly zur Eröffnung der zurückliegenden «Neugier»-Saison im KKL – die 7. Sinfonie von Gustav Mahler. Das ist ein Statement, selbst wenn die Koinzidenz doch blosser Zufall sein sollte. Denn wer dieses achtzigminütige Riesenwerk aufs Programm setzt, muss sich seiner Sache sehr sicher sein: Mahlers Siebte, entstanden hauptsächlich in den Sommern 1904 und 1905, gehört nämlich zu den anspruchsvollsten Stücken des Repertoires, und zwar sowohl für die Musiker wie für das Publikum.

Ohne Geheimnis

Dieser Umstand hat dazu geführt, dass die Siebte lange im Schatten der meisten anderen Mahler-Sinfonien stand, die mittlerweile bei den grossen internationalen Orchestern fast ohne Ausnahme zu den Standardwerken gehören. Aufführungen der Siebten erinnern hingegen durchaus noch an jene ersten Jahrzehnte der Mahler-Renaissance nach 1960, als sich selbst die Spitzenensembles den teilweise extrem fordernden Notentext noch aneignen mussten. Bei der Wiedergabe durch das Lucerne Festival Orchestra war davon freilich im Sommer kaum etwas zu spüren, die Aufführung gelang klanglich wie auch spieltechnisch fast makellos.

Beim Tonhalle-Orchester spürt man die Schwierigkeiten jetzt deutlicher. Das überrascht – umso mehr, als die Musiker und Järvi die Siebte gerade erst auf ihrer Spanientournee mehrmals zur Aufführung gebracht haben. Aber bei dem Konzert am Freitag wirkt vor allem zu Beginn manches unausgewogen, viele Einsätze der hier reichlich beschäftigten Bläsersolisten geraten zu direkt, sie sind weitgehend präzise, aber ohne Geheimnis. Das nimmt leider der originellen Einleitung, die Mahler nach dem Vorbild einer französischen Barock-Ouvertüre komponiert hat, die magische Atmosphäre.

Ein wilder Ritt

Chailly hatte hier schon mit den ersten Klängen den Ton gesetzt für seine raffinierte Interpretation, die mustergültig offenlegte, dass nichts in diesem Stück das ist, wonach es vordergründig klingt. In den beiden Nachtmusiken spukte es vor romantischer Ironie, das zentrale Scherzo zerpflückte boshaft alle Wiener Walzer-Seligkeit, und wenn Mahler im Finalsatz Pathos mit Jahrmarktsmusik und Opernklängen mischt und das Ganze mit Glockengeläute garniert, blieb reizvoll in der Schwebe, was davon ernst gemeint ist und was als höherer Scherz. Järvi erreicht diese Doppelbödigkeit nur stellenweise, und er zelebriert sie auch nicht so anschaulich wie Chailly.

Stattdessen schickt er seine Musiker auf einen wilden Ritt, noch verschärft durch merklich straffere Tempi. Dies geht zulasten der dynamischen Differenzierung, auch zwischen den einzelnen Instrumentengruppen, die sich manchmal gegenseitig übertönen. Zugleich nimmt seine Lesart aber das grössere Risiko in Kauf: Gerade durch die virtuose Zuspitzung tritt hervor, wie sehr auskomponierte Grenzgänge – technischer wie emotionaler Art – Mahlers Musikverständnis bestimmen. Nur der Mittelweg führt bei diesem Komponisten nicht ans Ziel.

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