Montag, Dezember 30

Wohnungen im Grünen zu erstellen, ist politisch kaum noch möglich. Im Siedlungsraum kann der Abbau rechtlicher Hürden helfen, es braucht aber vor allem bessere Projekte.

Glücklich, wer bei Knappheit über eine Reserve verfügt. Das müsste eigentlich auch für Bauland gelten. Auf dem Schweizer Wohnungsmarkt klaffen Angebot und Nachfrage vor allem in urbanen Gebieten mehr und mehr auseinander. Der Mangel an Wohnraum und steigende Mieten gehören zu den drängendsten politischen Themen. Entspannung ist angesichts des anhaltenden Bevölkerungswachstums jedoch keine in Sicht, und die Bautätigkeit schwächelt.

Da wäre der Zeitpunkt doch goldrichtig, um auf einem grossen Stück Landwirtschaftsland, das für diesen Zweck vorgesehen ist, ein völlig neues Wohnquartier hochzuziehen. Zumal Bauen auf freiem Feld ohnehin einfacher ist als auf bereits überbauten Grundstücken. Sollte man meinen – doch dem ist nicht so. Ein Fall aus der Stadt Uster zeigt das exemplarisch auf.

Dort hat der Stadtrat vor kurzem beim Parlament den Antrag gestellt, nach fast 20 Jahren die Quartierplanung für eine 15 Hektaren grosse Reservezone abzubrechen. Das weder landwirtschaftlich noch ökologisch oder für jene, die Erholung suchen, besonders wertvolle Gebiet war als Stadterweiterung im Westen von Uster vorgesehen, für gut 2000 Bewohnerinnen und Bewohner sowie nahezu 500 Arbeitsplätze.

Auf den ersten Blick spricht fast alles dafür. Mit öffentlichem Verkehr hervorragend erschlossen, ist Uster Teil jener urbanen Wohnlandschaften, in denen der Kanton Zürich wachsen soll. Geplant war ein ökologisches und energetisches Vorzeigeprojekt mit preisgünstigen Wohnungen. Zuerst war die Rede von Platz für 600 bis 800 Personen. Nach mehreren Überarbeitungen verdreifachte sich diese Zahl. Wenn schon auf der grünen Wiese bauen, so die Leitlinie, dann ist der Platz optimal zu nutzen. Die Planer haben vieles richtig gemacht.

Und doch wird nichts daraus. Für den Stadtrat ist das Vorhaben inzwischen aus der Zeit gefallen, ein «städtebaulicher Dinosaurier», er zieht es zurück. Grund: Es wäre politisch akut gefährdet, entweder im Stadtparlament oder in einer Referendumsabstimmung. Die Einschätzung dürfte zutreffen, denn die Bevölkerung ist heute kritisch eingestellt, wenn es ums Bauen auf der grünen Wiese geht.

Widerstand gegen Expansion in die Fläche

Was für ein Kontrast: Vor 20 bis 30 Jahren riefen die Gemeinden noch nach zusätzlichem Bauland, um gute Steuerzahler anziehen zu können. Das bleibt in einzelnen Fällen weiterhin möglich. Doch der Wind hat gedreht, jedenfalls im Grossraum Zürich. Das ist nicht nur schlecht. Lange genug breitete sich die Siedlungstätigkeit auf Kosten von Natur und Landwirtschaft aus.

Der Widerstand kennt sehr unterschiedliche Begründungen: Bewahrung von Grünzonen, Nahrungsmittelproduktion, Erholungsraum oder zu viel Zuwanderung. Die Lösung des Wohnungsmangels nun wieder im Einzonen von zusätzlichem Bauland in den Grüngürteln der Städte zu sehen, mutet deshalb ziemlich akademisch an und liegt ziemlich weit abseits der politischen Realitäten. Es stünde auch völlig im Widerspruch zu den Entscheidungen in der Raumplanung der letzten Jahre.

An der Siedlungsentwicklung nach innen führt aus all diesen Gründen kein Weg vorbei. Zusätzlicher Wohnraum muss primär auf bereits überbautem Land entstehen. Die grossen Industriebrachen sind bereits zu einem grossen Teil genutzt. Es gibt aber in der ganzen Schweiz noch umfangreiche innere Reserven, die sich aktivieren lassen, nicht nur in den grossen Städten. Allerdings sind die Hürden hoch, und der Widerstand ist auch dort vielfältig.

Das Baurecht bietet heute allzu viele Ansatzpunkte, um Projekte zu behindern oder ganz zu vereiteln. Dieses Gestrüpp zu lichten, ist nötig. Aber es gibt kein Patentrezept. Derzeit sind in Bundesbern Bestrebungen zur Lockerung des Lärmschutzes in Gang. Doch zeigen sich darin rasch Widersprüche und Zielkonflikte.

So entscheidet der Nationalrat in Kürze darüber, die Möglichkeiten der Städte einzuschränken, um Tempo 30 anzuordnen. Flächendeckend sind solche Geschwindigkeitsbeschränkungen fragwürdig, weil sie Durchgangsverkehr in die Wohnquartiere verdrängen und die Attraktivität des öffentlichen Verkehrs beeinträchtigen können. Aber Tempo 30 ist auch eine vergleichsweise einfache Massnahme, die auch auf Hauptstrassen unter Umständen Sinn ergibt. Es ist von Fall zu Fall zu entscheiden.

Problematisch ist, dass das Bundesgericht den Lärmschutz allmählich immer höher gewichtete. Lange behalfen sich Städte wie Zürich damit, dass Lärmgrenzwerte nur an einem Fenster pro Wohnung einzuhalten sind. Die Gerichte bis nach Lausanne verbauten diese pragmatische Lösung, was schon dazu geführt hat, dass Wohnüberbauungen nicht realisiert werden konnten. Deshalb ist es richtig, wenn nun der Gesetzgeber die Verhältnisse wieder geraderückt.

Ausserdem will das Bundesparlament für kleinere Bauvorhaben das Verbandsbeschwerderecht einschränken. Das ist zu kurz gedacht. Denn oft sind es nicht zur Beschwerde berechtigte Organisationen, die einen Rekurs einlegen. Häufiger sind es Anwohner, die durch ein Bauprojekt Nachteile befürchten. Da beisst sich die Katze namens Eigentumsgarantie in den Schwanz. Das Recht, aus seinem Grundstück etwas zu machen, endet nun einmal an seiner Grenze. Das Recht der Nachbarn, sich für ihre Interessen zu wehren, einschränken zu wollen, ist politisch kaum opportun.

Die Forderung der bürgerlichen Parteien wiederum, in der Stadt Zürich flächendeckend ein zusätzliches Stockwerk zuzulassen, ist politisch ein wichtiges Signal. Das könnte auch ein Anreiz sein, weniger Gebäude abzureissen und den bestehenden Gebäudepark weiterzuentwickeln. Ob das in der Praxis tauglich und städtebaulich sowie ästhetisch wünschenswert wäre, ist eine andere Frage.

Der Einfluss der Raumplanung, das ergab eine kürzlich vom Kanton Zürich zusammen mit dem Bundesamt für Wohnungswesen veröffentlichte Studie, wird in dieser Frage ohnehin überschätzt. Wichtiger ist es, die Ausnützung gezielt nach den örtlichen Verhältnissen zu erhöhen. Die Instrumente dafür sind vorhanden.

Entscheidend ist vor allem, die juristischen Verfahren, die allzu oft unvermeidlich sind, wenigstens deutlich zu beschleunigen. Denn weniger der Umstand, dass es zu Einsprachen kommen kann, schreckt Investoren ab, das ist ebenso ein Ergebnis der gleichen Studie. Vielmehr hält die lange Dauer der Verfahren viele davon ab, in den Wohnungsbau zu investieren.

Gefragt ist Führungsstärke

Oft entsteht der Eindruck, Wohnungsbau sei primär eine Frage, den Weg durch den Dschungel der Gesetze zu finden. Falsch ist er keineswegs. Und es wird nicht einfacher. So kommen neue Anforderungen dazu, wie eine dem Klima angepasste Siedlungsentwicklung, die derzeit im Zürcher Kantonsrat verhandelt wird, und der Umgang mit dem noch ungewohnten Instrument Mehrwertausgleich. Lärmschutz, Hitzeminderung, Biodiversität: Das sind alles wichtige Themen. In der Summe können sie lähmend wirken.

Bauen ist jedoch mehr als eine Frage von Paragrafen. Der Mensch reagiert empfindlich auf Veränderungen in seinem Lebensraum. Diese sollten deshalb Ergebnis eines Verhandlungsprozesses sein. Es braucht frühzeitige Gespräche mit allen Beteiligten und Betroffenen und eine offene Information. Das erhöht auch die Qualität der Projekte.

Hier sind die politisch Handelnden gefordert. Es braucht wieder mehr Führungsstärke. Auf lokaler Ebene müssen Exekutivmitglieder auch als Milizpolitiker in der Lage sein, Überzeugungsarbeit zu leisten. Gute Bauvorhaben werden weder einfach verfügt noch vor Gericht erstritten, sondern im besten Fall ausgehandelt.

Von höherer Ebene ist nicht viel Unterstützung zu erwarten. Derzeit sind im Kanton Zürich nicht weniger als fünf Volksinitiativen in der Pipeline, die das Wohnen zum Thema haben. Sie stammen aus entgegengesetzten politischen Lagern mit konträren Forderungen. Auf Bundesebene ergaben zwei runde Tische zur Wohnungsknappheit unter der Leitung von Wirtschaftsminister Guy Parmelin wenig Konkretes. Eher haben sie die allgemeine Ratlosigkeit vergrössert.

Dennoch tut sich viel in den Städten der Agglomeration, die besonders schnell wachsen. Wer hätte vor 20 Jahren gedacht, dass in Dübendorf neben einem 2019 bezogenen 100 Meter hohen Tower in diesem Jahr drei noch höhere Wohntürme fertig werden. In Bülach und in Regensdorf wird derzeit ebenso enorm viel gebaut.

Das gilt selbst für Uster, das um die Jahrhundertwende eine stürmische Entwicklung erlebte. Inzwischen hat sich die Situation etwas beruhigt, aber die Einwohnerzahl steigt jedes Jahr um 300 bis 400 Personen, sozialverträglich. Die Stadt sieht sich in der Lage, die Vorgabe des Kantons zu erfüllen, bis 2035 ein Wachstum um weitere 5000 bis auf 42 000 Einwohner zu ermöglichen. Das ist ohne zusätzliches Bauland machbar, aber braucht Entschlossenheit und Ausdauer.

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