Trotz Trumps Zolldrohungen hofft Peking auf mehr politischen Spielraum. Der Unternehmensberater Jörg Wuttke erklärt, wie mögliche Deals aussehen könnten und an wem Europa sich orientieren sollte.
Donald Trump wird gleich zu Beginn seiner Amtszeit als amerikanischer Präsident Zölle auf Importe aus China erheben. Davon ist Jörg Wuttke, langjähriger Präsident der EU-Handelskammer in China, überzeugt. Aufgrund der fragilen wirtschaftlichen Lage habe die zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt dem wenig entgegenzusetzen, sagt der China-Experte.
Der Konflikt zwischen China und den USA hat sich in den vergangenen Jahren immer weiter zugespitzt. Im Wahlkampf drohte Trump damit, Strafzölle von mindestens 60 Prozent auf alle Importe aus China zu erheben. Bereits in seiner ersten Amtszeit hatte er Zölle auf bestimmte Waren eingeführt. Sein Nachfolger Joe Biden hielt an diesem Kurs fest und verhängte zudem strikte Ausfuhrbeschränkungen für Hightech-Chips.
Wuttke ist inzwischen Partner der amerikanischen Unternehmensberatung DGA Group in Washington. Er berät Unternehmen in der Frage, wie sie sich für die wachsenden geopolitischen Spannungen wappnen können. Im Interview spricht er über das angespannte Verhältnis zwischen den beiden Grossmächten – und in welchen Bereichen er Potenzial für Deals sieht.
Herr Wuttke, was ist vom US-Präsidenten Donald Trump zu erwarten?
Man muss davon ausgehen, dass er andere Länder so behandelt, wie er als Immobilienentwickler mit seinen Lieferanten umgesprungen ist. Trump will alle schockieren und aus dem Gleichgewicht bringen – und dann sehen, wie er sie mit einem sogenannten Deal einordnen kann. Man wird starke Nerven brauchen, um mit ihm umzugehen. Der, dem das in der ersten Amtszeit am besten gelungen ist, war der damalige japanische Ministerpräsident Shinzo Abe.
Wieso?
Abe hat Trumps Eitelkeit bedient. Er hat sogar gelernt, Golf zu spielen.
In Bezug auf China sendet Trump bislang widersprüchliche Signale aus. Einerseits droht er mit hohen Strafzöllen, andererseits hat er den Staatschef Xi Jinping zu seiner Amtseinführung eingeladen. Welche China-Politik erwarten Sie von Trump?
Trump wird mit lauten Tönen Druck aufbauen, um eine gute Ausgangsposition für Verhandlungen zu schaffen, und am Ende mit Getöse seinen grossen Deal verkünden. Er wird gleich zu Beginn seiner Amtszeit Zölle erheben. Das ist für ihn das Einfachste. Nicht auf alle Einfuhren aus China, aber auf einzelne Produkte. Trump ist davon überzeugt, dass die Zölle von den Chinesen bezahlt werden. Dass dadurch die Inflation in den USA steigen wird, blendet er bislang aus.
Wie wird Chinas Staatsführung reagieren?
Sie wird mit gezielten Massnahmen versuchen, Nadelstiche zu setzen.
Wo kann sie den USA weh tun?
Wie die meisten westlichen Länder sind die USA von Medizinalgeräten, bestimmten Medikamenten oder pharmazeutischen Stoffen wie Vitamin B oder Magnesium und von seltenen Erden abhängig. Da hat China fast ein Monopol in der Verarbeitung.
Wird China das als Druckmittel nutzen?
Die Staatsführung hat in letzter Zeit sehr zurückhaltend auf Sanktionen aus den USA reagiert, etwa auf die Strafzölle von 100 Prozent auf E-Autos im vergangenen Jahr. Die Amerikaner haben die Chinesen eigentlich nur geärgert, und die Chinesen haben relativ verhalten reagiert. Ich glaube, das wird auch so bleiben.
Warum?
Ich sehe schon viele Jahre, wie viel mehr China den Westen braucht als umgekehrt. Während wir von einigen wenigen, aber sehr spezifischen Produkten aus der Volksrepublik abhängig sind, ist China auf die grossen Absatzmärkte im Westen angewiesen. Die Exporte sind im Moment der einzige Bereich, in dem Chinas Wirtschaft noch einigermassen wächst. Auf fünf Container, die aus China in die USA gehen, kommt nur einer zurück. Das ist ein extremes Ungleichgewicht. Ausserdem braucht China Technologien aus den USA. Und natürlich ist der Dollar immer noch die Weltwährung.
Wie wirkt sich diese Abhängigkeit aus?
China will sich nicht mit dem stärksten Gegner anlegen. Zumal das Land wirtschaftlich sehr viel schwächer dasteht als während Trumps erster Amtszeit. Die Wirtschaft in den USA brummt dagegen. Die Staatsführung wird versuchen, über Trump-Vertraute wie Elon Musk oder seine Wall-Street-Freunde einen Deal einzufädeln.
Wird Trump sich darauf einlassen?
Ich bin davon überzeugt, dass sich Trump flexibler zeigen wird, als wir alle jetzt glauben. Das zeigt auch seine Ankündigung, Tiktok in den USA weiter zu erlauben. Ich glaube nicht, dass er noch einmal einen Handelsstreit vom Zaun bricht wie in seiner ersten Amtszeit, zumal das für die USA nicht besonders erfolgreich war.
Wie könnte ein Deal aussehen?
Trump wird darauf drängen, dass chinesische Unternehmen stärker in den USA produzieren. Wenn die Chinesen in nichtsensitiven Bereichen Jobs schaffen, werden sie in Amerika weiterhin willkommen sein. Trump könnte auch versuchen, China mehr Flüssiggas zu verkaufen. Bei Fentanyl oder bei Chinas Unterstützung für Iran sehe ich ebenfalls Potenzial für Verhandlungen.
Fentanyl ist eine stark süchtig machende Droge, an deren Konsum in den USA pro Jahr mehr als 70 000 Menschen sterben. Viele der chemischen Grundstoffe für die Substanz kommen aus China.
Das Thema ist für Trump sehr wichtig. Und Chinas Staatsführung könnte die Ausfuhr relativ schnell unterbinden.
Trump hat für sein künftiges Regierungsteam viele chinakritische Politiker wie den möglichen Sicherheitsbeauftragten Mike Waltz nominiert. Können Sie sich vorstellen, dass diese einen Deal mit China unterstützen?
Letztlich wird alles auf Loyalität abgestimmt sein: ein Mann, der das Sagen hat. Genau wie in Peking.
Trump hat gesagt, er wolle Grönland übernehmen, selbst Militärgewalt schloss er nicht aus. Welches Signal sendet er damit an Chinas Staatsführung, die sich Taiwan einverleiben will?
Das ist das typische Trumpsche Getöse. Mit diesem Sound sorgt er für viel Aufregung. Aber es wird in Peking sicher nicht als Freifahrtschein interpretiert. Die wissen ganz genau, dass solche Aussagen dazu dienen, alle aus dem Gleichgewicht zu bringen – und eben keine Erlaubnis sind, sich im Südchinesischen Meer breitzumachen oder Taiwan zu blockieren oder einzunehmen.
Trotzdem scheint es in Teilen der chinesischen Staatsführung die Hoffnung zu geben, dass Trump mit seiner erratischen Politik Verbündete verprellt und Allianzen schwächt – und China langfristig davon profitiert, weil es sich als verlässlicher Partner darstellt.
Peking wird sicher mit Wohlgefallen registrieren, wenn Trump Verteidigungsallianzen wie Aukus oder Quad in Asien, aber auch die Nato zwar nicht unbedingt auflöst, aber zumindest schwächt. Die Staatsführung hat 2017 mit Genugtuung gesehen, wie Trump als Erstes das pazifische Freihandelsabkommen TPP abgeschossen hat. Sie beobachtet genau, was Trump als Nächstes kaputtmacht.
Was erhofft sich Peking davon?
China hofft sicher darauf, mehr politischen Bewegungsraum zu bekommen, wenn die Amerikaner sich weltpolitisch eher zurückziehen und sich auf das eigene Land fokussieren – oder auch Verbündete vergessen, um einen Deal zu machen. Peking ist in diesem Spiel sehr versiert.
Wie sollte Europa damit umgehen?
Die Europäer müssen sich klarmachen, dass die USA im Bereich Handel und Investitionen für sie deutlich wichtiger sind als China. Amerika wird Europa sicher drängen, Partei zu ergreifen. Dadurch wird das China-Geschäft weniger interessant, als es einmal war, auch weil die Wirtschaft dort sehr viel langsamer wächst. Europa sollte sich ein Beispiel an Japans Umgang mit Trump nehmen.
Sie haben mehr als dreissig Jahre in China gelebt und sind jetzt seit sechs Monaten in den USA. Was hat Sie am meisten überrascht?
Es ist schon erschreckend, wie einseitig China hier wahrgenommen wird. Alles wird nur unter dem Aspekt der Sicherheit betrachtet. Und das, obwohl es hier in Washington die besten China-Denkfabriken gibt. Ich versuche, meinen Gesprächspartnern zu vermitteln, dass China nicht so stark werden wird, wie wir das vielleicht vor vier, fünf Jahren noch erwartet haben. China wird die USA nicht vom Thron stossen.