Unsere Zivilisation ist selbst aus dem All sichtbar, weil nachts ein Meer von Lichtern erstrahlt. Gesund ist das nicht für uns Menschen.
Im Science-Fiction-Klassiker «Krieg der Welten», den ich als Jugendlicher mit Begeisterung gelesen habe, beschreibt H. G. Wells, wie fremde Wesen «von überlegenem Intellekt, kühl und ohne Sympathien» die Erde aus der Ferne «wie unter einem Mikroskop» beobachten.
Sollte tatsächlich eine fremde Intelligenz – hoffentlich von freundlicherer Grunddisposition als die Marsianer von Wells – unseren Planeten beobachten, sie hätte im Erscheinungsbild der Erde über Tausende von Jahren kaum Veränderungen wahrgenommen.
Doch dann, ab 1900 der «humanoiden» Zeitrechnung, passierte etwas: Auf der jeweils unbeleuchteten Seite des Planeten – dort, wo Nacht herrscht – tauchten Lichtpunkte auf. Erst waren sie noch vereinzelt. Nun sind sie zu grossen Flächen oder Ketten zusammengeflossen. Die Helligkeit in Europa, Nordamerika und in Ostasien ist heute das aus dem All sichtbare Zeichen: Dieser Planet ist bewohnt.
Zunächst als Symbol des Fortschrittes bejubelt, sind unsere Nächte heute künstlich so aufgehellt, dass sich der Begriff Lichtverschmutzung etabliert hat.
Künstliches Licht durchbricht den Schlaf-Wach-Zyklus
Das allgegenwärtige Licht ärgert nicht nur Hobbyastronomen, die sich für ihre Beobachtungen in abgelegenste Regionen flüchten. Die Lichtflut greift auf vielfache Weise in unser Leben ein. Nicht nur Tiere und Pflanzen leiden darunter. Auch die menschliche Gesundheit wird beeinträchtigt.
Die Überflutung mit künstlichem Licht kann eine Unterbrechung des natürlichen Schlaf-Wach-Zyklus verursachen, der ganz wesentlich von einer als Hypothalamus bezeichneten Gehirnregion gesteuert wird. Dies wiederum, so hat es jüngst eine polnische Gruppe von Wissenschaftern beschrieben, führt zu Schäden an den Nervenzellen.
Durch die Störung des Schlaf-Wach-Zyklus sammeln sich sogenannte neurotoxische Proteine im Gehirn, weil diese – etwas vereinfachend gesagt – nicht in ausreichendem Masse abgebaut werden. Es gebe inzwischen, so die Forscher, Hinweise darauf, dass Lichtverschmutzung zur Entstehung von neurodegenerativen Krankheiten wie Alzheimer beitragen könne.
Für künstliches Licht gilt: Weniger Licht ist besser
Und dies ist nicht der erste von Wissenschaftern entdeckte Schaden, den die Lichtverschmutzung beim Menschen anrichten kann. Seit längerem schon wird die künstliche Helligkeit mit Übergewicht und Diabetes – ihrerseits wiederum Risikofaktoren für Alzheimer –, mit einigen Krebserkrankungen und Depressionen in Zusammenhang gebracht. Und – wen wundert es – mit Schlafstörungen. Auch für künstliches Licht gilt offenbar: Weniger ist oft mehr.
Um zur Science-Fiction zurückzukehren: Im Erwachsenenalter hat mir das Buch «2010: Das Jahr, in dem wir Kontakt aufnehmen» von Peter Hyams gut gefallen. Doch sein Ende ist nicht glücklich: Eine zweite Sonne lässt den Tag 24 Stunden dauern. Der Mensch und die Natur indes brauchen die Nacht – und vor allem ihre Dunkelheit.
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