Die vergangenen Wochen haben eine Fülle von Uhrenneuheiten hervorgebracht. Wir zeigen eine Auswahl der interessantesten Modelle.
François-Henry Bennahmias, der frühere Chef von Audemars Piguet, war ein Meister im Vorhersagen von Branchentrends. 2018 sagte er der «NZZ am Sonntag», Vintage-Uhren seien «das nächste grosse Ding» der Schweizer Uhrenbranche. Er behielt recht. Seither durchforstet nahezu jede traditionsreiche Marke ihre Archive, um ihre Klassiker neu aufzulegen.
Der Vintage-Trend ist nach wie vor lebendig. In den vergangenen Wochen wurden wieder zahlreiche Neuheiten präsentiert, die sich an historischen Modellen orientieren. Daran ist nichts auszusetzen, denn oft überzeugen diese Designs durch ihre zeitlose Attraktivität.
Allerdings fehlt es den Neuauflagen naturgemäss an Originalität. Dabei müssen sich Vintage und neue Ideen gar nicht unbedingt ausschliessen, wie die junge Marke Albishorn zeigt: Sie kreiert Uhren, die aussehen, als wären sie Neuauflagen von historischen Modellen – ohne dass es diese Vorbilder je gegeben hat.
«Was wäre gewesen, wenn . . .?» Diese Frage hat sich Sébastien Chaulmontet, Uhrenkonstrukteur, Anwalt, Sammler und Buchautor, in seiner Karriere oft gestellt. Zum Beispiel: Was wäre gewesen, wenn die Marke XY nicht in der Versenkung verschwunden wäre? Mit seiner frisch gegründeten Marke Albishorn und unter der Stilbezeichnung «Imaginary Vintage» erforscht Chaulmontet eine hypothetische Vergangenheit und kreiert Uhren, die aus einer bestimmten Epoche stammen könnten, aber nie gebaut wurden. Sein erstes, über Massena Lab vertriebenes (und deshalb in Dollar angeschriebenes) Modell Maxigraph etwa ist ein Regatta-Timer mit einer patentierten Countdown-Funktion in der Ästhetik der 1930er Jahre und mit heutiger Technologie. Die Uhr hätte für die erste Ausgabe des angesehenen Regattarennens auf dem Genfersee, Le Bol d’Or, im Jahr 1939 in Auftrag gegeben werden können – wenn jemand damals auf diese Idee gekommen wäre. 4990 Dollar.
Mit Gründungsjahr 1737 gehört Favre Leuba zu den ältesten existierenden Uhrenmarken. Allerdings hat sie turbulente Zeiten hinter sich. Ihre Blütezeit hatte Favre Leuba in den 1960er und 1970er Jahren, als sie sich mit Innovationen wie mechanischen Höhenmessern in ihren Uhren sowie avantgardistischen Designs einen Namen machte. Doch die Quarzkrise würgte das Unternehmen nach der Blüte ab. 2011 übernahm die indische Tata Group die in Indien sehr beliebte Marke, doch drei Versuche, sie wiederzubeleben, scheiterten. Seit 2023 gehört Favre Leuba nun zur ebenfalls indischen Etos-Gruppe, für die Patrik Hoffmann, ehemals CEO von Ulysse Nardin und danach Vizepräsident der Uhrenverkaufsplattform Watchbox, tätig ist. Hoffmann lanciert die Marke mit drei Modellfamilien und 22 Referenzen neu. Die Werke stammen von La Joux-Perret. Abgebildet ein Modell der von den 1960er Jahren inspirierten Kollektion Deep Blue. 2250 Franken.
Zum 140. Geburtstag zeigt die für sportliche Uhren bekannte Marke, dass sie auch klassische Komplikationen wie den ewigen Kalender in Kombination mit einer Stoppfunktion beherrscht. Von den drei mit diesen Komplikationen ausgestatteten Jubiläumsuhren in limitierter Stückzahl überzeugt die Version Navitimer am meisten. Die ohnehin schon mit Skalen gespickte Uhr können ein paar zusätzliche Anzeigen nicht aus der Ruhe bringen. Für Exklusivität und Noblesse sorgt der Farbton des Roségolds, der nicht nur das Gehäuse ziert, sondern auch das mit Sonnenschliff satinierte Zifferblatt. Im Inneren steckt das Automatikkaliber B19, das auf dem hauseigenen Chronographenkaliber B01 basiert. Es verfügt über Vollkalender und Mondphase, korrigiert automatisch Monate mit 28, 30 und 31 Tagen sowie Schaltjahre und kann daher fast hundert Jahre lang ohne grössere Anpassungen laufen. Noch dazu hat es eine Gangreserve von 96 Stunden. 55 000 Franken.
Daniel Roth ist ein Uhrmacher aus dem Vallée de Joux, der wie kein anderer die Ästhetik und Mechanik der heutigen Haute Horlogerie beeinflusst hat. In den 1980er Jahren entwarf und baute er Armbanduhren für die Marke Breguet. 1988 machte er sich selbständig und entwickelte seine eigene Formensprache mit einem Gehäuse in Form eines Kreises mit angeschnittenen Flanken. Weitere Markenzeichen waren handguillochierte Zifferblätter und ein sichtbares Tourbillon mit dreispeichigem Sekundenzeiger. Nachdem Bulgari im Jahr 2000 seine Marke gekauft hatte, wurde es still um Daniel Roth. 2023 holte Jean Arnault die Marke wieder aus der Versenkung. Er liess die vom Uhrmacher geschaffenen Klassiker wieder aufleben und machte dem 79-jährigen Uhrmacher eine grosse Freude. Das Kaliber DR001 wurde von Michel Navas und Enrico Barbasini entworfen, deren Firma La Fabrique du Temps heute zu LVMH gehört. 155 000 Franken.
Auch zwei Jahre nach dem 50. Geburtstag der Royal Oak sorgt das achteckige Modell für Gesprächsstoff. Die Manufaktur aus dem Vallée de Joux hat nämlich eine ausserordentlich schmucke Version des Klassikers mit einem Durchmesser von nur 23 Millimetern herausgebracht. Die Uhr mit der Grösse eines Fingerrings schafft auch ohne Edelsteinbesatz einen glitzernden Auftritt, zumal alle planen Oberflächen von Uhr und Armband mit einem Stichel mit Diamantspitze gehämmert wurden, was das Gold gleissen lässt wie frisch gefallener Schnee und sich «Frosted Gold» nennt. Die Uhr weckt Erinnerungen an die erste miniaturisierte Royal Oak von 1976 sowie die kleinste Royal Oak von 1997, die bloss 20 Millimeter gross war. Die Royal Oak Mini ist mit einem Quarzwerk ausgestattet, dessen Batterie eine Lebensdauer von mehr als sieben Jahren hat, und ist in drei Versionen erhältlich: Gelbgold, Weissgold und Roségold. 30 000 Franken.
Nivada Grenchen feierte 2019 mit der Wiederauflage des Chronomaster Broad Arrow ein erfolgreiches Comeback. Der Chronograph greift das klassische Design der 1960er Jahre auf, das der Uhr einen professionellen Charakter verleiht. Neu können die Chronographen der Serien Chronomaster und der quarzbetriebenen Chronoking durch aufsteckbare Lünetten individualisiert werden. Die Lünetten sind in verschiedenen Farben und mit unterschiedlichen Funktionen erhältlich, darunter eine Worldtimer-Funktion und die für Chronographen typische Tachymeter-Skala, mit der sich Durchschnittsgeschwindigkeiten bestimmen lassen. Sie lassen sich ohne Werkzeug auswechseln. Wie früher besteht der Einsatz aus transparentem Plexiglas, das von unten bedruckt ist. Ein komplettes Set besteht aus einer Uhr und fünf verschiedenen Lünetten. Die Markenrechte gehören Guillaume Laidet und Rémi Chabrat von der französischen Montrichard Group. 1670 Franken.
Nach dem Redesign der Linie Tambour im Jahr 2023 folgt dieses Jahr eine komplett neu gestaltete Familie Escale. Waren die Escale-Modelle bisher stets mit Komplikationen versehen, strahlen die neuen Modelle dank einfacher Dreizeiger-Anzeige eine wohltuende Ruhe aus. Aus der Distanz könnte man meinen, ein klassisches Modell der fünfziger Jahre vor sich zu haben, doch bei genauerem Hinsehen offenbart sich, dass Gehäuse und Zifferblatt diskret mit Anspielungen auf das einstige Kerngeschäft von Louis Vuitton gespickt sind: die Produktion von Koffern. So sind die Bandanstösse optisch durch Beschläge mit den für das Haus typischen Nieten verstärkt. Auf ähnliche Art und Weise stellen die vier Indizes bei 12, 3, 6 und 9 Uhr eine Verbindung zwischen dem Zifferblattzentrum mit geprägter Lederstruktur und der mit facettierten Indizes versehenen Peripherie her. Im Inneren arbeitet ein eigenes Automatikwerk. 27 500 Franken.
Zum 15-jährigen Bestehen ihrer Manufaktur stellen die Bieler eine neue Version ihrer Dual Time GMT Resonance First Edition vor. Strenggenommen sind dies zwei Uhren in einer, weshalb es auch sinnvoll ist, die zwei Zifferblätter unterschiedliche Zeiten anzeigen zu lassen. So kann man bei Reisen in andere Zeitzonen sowohl die Uhrzeit am Aufenthaltsort als auch diejenige von zu Hause anzeigen lassen. Die beiden Uhrwerke im Innern laufen allerdings nicht komplett unabhängig voneinander, denn ihre beiden Unruhen werden durch das Phänomen der Resonanz miteinander synchronisiert. Eine patentierte, gemeinsam mit dem Forschungsinstitut CSEM entwickelte Feder koppelt deren Bewegungen, ohne ihre Schwingungen zu stören. Abgesehen von der technischen Besonderheit glänzt diese Uhr mit Endbearbeitungen von Werk, Zifferblatt und Gehäuse auf höchstem Niveau. Das hat aber auch seinen Preis. 115 000 Franken.
Die 2017 gegründete Uhrenmarke Ming ist in einer auf Nationalstolz beruhenden Industrie ein Beispiel für Globalisierung unter umgekehrten Vorzeichen. Ming sitzt nicht in einem Industrieland, um in Entwicklungsländern produzieren zu lassen. Nein, der Hauptsitz der Marke befindet sich in Kuala Lumpur, produziert wird in La Chaux-de-Fonds. In Kuala Lumpur entwirft der Namensgeber Ming Thein die Zeitmesser, die eine komplett andere Designsprache sprechen als hiesige Uhren. Zeiger, Gehäuse, Armbänder, alles ist ein wenig anders. Ganz besonders sind jedoch die Zifferblätter, mal dreidimensional, mal tiefgründig wie das mit glitzernden Sternen gespickte Aventurinzifferblatt des Modells 37.08 Starlight. Auch der Kaufvorgang ist anders. Hier kommt die einst von Abraham-Louis Breguet eingeführte Bestellmethode der Subskription zum Tragen: Bei der Bestellung wird die Hälfte angezahlt, der Rest wird bei Erhalt der Uhr fällig. 2250 Franken.
Die vom Kanadier Alexandre Beauregard 2018 gegründete gleichnamige Uhrenmarke steht für eine komplett andere Herangehensweise an die Uhrmacherei. Für einmal steht nicht das Uhrwerk im Zentrum, sondern die Gestaltung des Zifferblatts, für einmal sind nicht Herrenuhren Vorbild für verkleinerte Damenuhren, und für einmal zieren Edelsteine nicht das Äussere, sondern das Innere der Uhr. Alexandre Beauregard ist ein Liebhaber farbenfroher Edelsteine. Er verfiel dieser Passion an der Tucson Gem Show in Arizona, wo er die für seine Uhren verwendeten Edelsteine fand. Mithilfe begnadeter Steinschleifer entwickelte er für das Modell Lili Bouton ein Zifferblatt in Form einer Blüte, deren Blätter von tropfenförmigen Edelsteinen geformt werden. Das türkis schimmernde Gesicht dieses Exemplars, das von einem Quarzwerk angetrieben wird, besteht aus australischem Chrysopras. Das Gehäuse aus Roségold ist seinerseits mit Brillanten besetzt. 35 000 Franken.
Die Legend Diver von Longines ist eine echte Taucheruhr aus Stahl, die die ISO-Norm 6425 für diese professionellen Ansprüchen genügenden Zeitmesser erfüllt. Dennoch ist ihr Anblick für diese Uhrengattung ungewohnt, denn sie verfügt nicht über einen aussen liegenden Drehring zur Einstellung der Dekompressionszeit. Stattdessen liegt der Drehring im Inneren und umschliesst das Zifferblatt wie ein geneigter Zifferblattreif. Zum Einstellen dient die zweite verschraubbare Krone, die der Uhr ihr charakteristisches Aussehen verleiht. Diese Optik geht auf das Jahr 1959 zurück, als Longines das erste Modell dieses Namens mit dem patentierten System lancierte. Die Legend Diver ist nun mit den drei neuen Zifferblattfarben Grün, Terracotta und Anthrazit erhältlich, die ihrem professionellen Look eine modische Note geben. Das Stahlarmband mit Reiskornoptik ist ein Hinweis auf die Ursprünge dieser Uhr. 3200 Franken.
Das Modell DS Super PH1000M STC von Certina ist ebenfalls eine Taucheruhr, deren Aussehen sich von anderen ihrer Gattung abhebt. Das ist in erster Linie dem konischen Gehäuse mit der geriffelten Drehlünette geschuldet, welche die Silhouette eines Vulkans oben abschliesst. Wie so viele neue Taucheruhren orientiert sich auch diese Uhr an einem Modell aus der Vergangenheit. Das Vorbild stammt aus dem Jahr 1970 und besass bereits damals eine rekordverdächtige Druckresistenz gegen 100 bar, was einer Tauchtiefe von 1000 Metern entspricht. Die neue Interpretation besticht durch ihre fröhliche Farbgebung, deren Blauton vom Logo der in Florida beheimateten Sea Turtle Conservancy zum Schutz der Meeresschildkröten übernommen wurde. Certina unterstützt dieses Non-Profit-Unternehmen mit dem Erlös aus dem Verkauf dieser attraktiven Automatikuhr, die darüber hinaus zu einem tollen Preis angeboten wird. 915 Franken.
Dieser Artikel ist am Freitag, 20. September 2024, im neuen NZZ-Schwerpunkt «Uhren & Schmuck» erschienen. Weitere aktuelle Storys, Reportagen und Interviews aus der 18-seitigen Beilage sind im E-Paper der «Neuen Zürcher Zeitung» zu finden.