Am Freitag trifft das Schweizer Nationalteam auf Deutschland, am Dienstag auf England. Auch dank klugen Personalentscheiden sieht die Zukunft heute viel heller aus als vor einem Jahr. Wie kam das?
Wenn das Nationalteam am Freitag im Letzigrund gegen Deutschland spielt, werden so viele Menschen im Stadion dabei sein wie an keinem Frauen-Fussballspiel zuvor in der Schweiz. 16 000 von 18 500 möglichen Tickets waren Anfang Woche verkauft – damit wird der Rekord vom Oktober bereits wieder gebrochen.
Sieben Monate vor der Heim-Europameisterschaft wird langsam greifbar, dass sich im Schweizer Frauenfussball etwas bewegt. Auf den Rängen, aber auch auf dem Rasen: Beim 1:1 gegen Australien und beim 2:1 gegen Frankreich spielten die Schweizerinnen so gut wie lange nicht mehr.
Der Unterschied zur Situation vor einem Jahr ist gewaltig.
Im Herbst 2023 hatte das Schweizer Nationalteam beim 1:7 gegen Spanien den Tiefpunkt in einem turbulenten Jahr erreicht. Es war ein trister Abend im Letzigrund, an dem die Equipe gegen die Weltmeisterinnen komplett auseinanderfiel. Zu jener Zeit beschäftigten den Schweizerischen Fussballverband (SFV) mehrere Baustellen.
Im A-Team der Männer stand die Frage im Raum, ob man mit dem Coach Murat Yakin weiterfahren wollte, und auch bei den Frauen war die Trainerin umstritten. Inka Grings hatte den Posten erst seit Beginn des Jahres, mit ihr hatte man an der WM in Australien und Neuseeland im Sommer 2023 zwar den Achtelfinal erreicht, doch in vierzehn Spielen eben auch nur einen Sieg errungen, ein 2:0 gegen die Philippinen.
Ebenso schwer wie die magere Bilanz wogen die Konflikte, die Grings vor allem mit den Führungsspielerinnen hatte und die auf kommunikative Mängel zurückgingen. Die Situation war so verfahren, dass die Führungsspielerinnen bei der SFV-Spitze Druck machten und Grings’ Absetzung forderten.
Das Problem löste sich Mitte November unerwartet glatt: Es wurde publik, dass Grings bei einer früheren Anstellung als Trainerin des Männerteams des SV Straelen 2019/20 Bestandteile ihres sehr geringen Lohnes schwarz erhalten hatte und sie nun die alte Rechnung mit einer Schadenssumme von 13 350 Euro beglich. Dass der Verband erst aus den Medien davon erfuhr, bot dem SFV einen Grund, Grings freizustellen.
Der mutmassliche Übergriff ist bis heute nicht geklärt
Die schwere Krise im Schweizer Frauenfussball im Herbst 2023 verstärkt hat ein mutmasslicher Übergriff in der Delegation, als diese nach der WM in Neuseeland in die Schweiz zurückreiste. Ein Verbandsmitarbeiter soll einer Spielerin bei einer Sicherheitskontrolle ans Gefäss gefasst haben. Der Vertrauensverlust rührte daher, dass die Spitze des SFV erst Ende September 2023, also sechs Wochen danach, darüber in Kenntnis gesetzt wurde. Obschon Grings und Marion Daube, die Direktorin Frauenfussball des SFV, lange zuvor davon gewusst haben sollen.
Mittlerweile sind vierzehn Monate vergangen, seit der SFV den betreffenden Angestellten entlassen und Meldung erstattet hat bei Swiss Sport Integrity, der Melde- und Untersuchungsstelle für den Schweizer Sport. Deren Leiter Markus Pfisterer sagt, dass die Dauer der Untersuchung im vorliegenden Bereich nicht aussergewöhnlich lang sei. Doch der Fall habe eine internationale Komponente, zudem gebe es Fristen zu berücksichtigen, wenn Betroffene Akteneinsicht verlangten. Der Zeithorizont bleibt offen.
Der Fall ist die letzte dunkle Komponente, die aus dem Krisenherbst geblieben ist. Die Zukunft jedoch sieht viel heller aus, als es damals möglich schien. Das hängt vor allem mit der Verpflichtung der renommierten Trainerin Pia Sundhage zusammen.
Ein Glücksgriff? Ja. Ein Zufall? Nein. Die Findungskommission für den Nationalcoach-Posten kam nur bedingt voran, als Daube die Initiative ergriff. Sie wusste, dass Sundhage als Nationaltrainerin Brasiliens kürzlich entlassen worden war, und zögerte zuerst, die weltbekannte Trainerin mit Olympiasiegen und WM-Medaillen im Coaching-Palmarès einfach anzurufen.
Sundhage hat schon einmal eine Heim-EM erlebt
Doch Sundhage zeigte sich offen gegenüber der Idee, nach grossen Frauenfussball-Nationen wie Schweden, den USA oder Brasilien die kleine Schweiz zu trainieren. Die 64-Jährige hatte 2013 in ihrer Heimat Schweden eine Heim-EM als Nationaltrainerin erlebt und schwärmt heute noch von der Euphorie, die damals im Land entfacht worden ist.
Als Daube Sundhage beim Zentralvorstand des SFV vorschlug, sagte sie: «Ob ihr sie nun kennt oder nicht: Wir hätten mit Pia eine gute Option. Wenn wir das nicht machen, gehe ich auf einen anderen Stern.» Der Zentralvorstand willigte ein.
Der Verband war bereit, sich die optimale EM-Vorbereitung einiges kosten zu lassen. Teuer waren zuallererst personelle Entscheide: So durfte Sundhage zwei Assistenztrainer mitbringen; Anders Johansson und Lilie Persson begleiteten Sundhage schon bei früheren Engagements.
Als Sundhage im Februar den Posten antrat, sprach sie von zwei Grundpfeilern ihrer Philosophie: ein kameradschaftliches Umfeld und eine starke Leistungskultur. Ein guter Zusammenhalt im Team ist ihr wichtig, sie fordert aber auch viel. Die Spielerinnen loben ihre Sozialkompetenz, die genauen Analysen und Vorbereitungen. Und dass sie sehr klar kommuniziere, was sie von der einzelnen Spielerin und dem Team wolle. Genau das hatte unter Grings gefehlt. Nach Partien in ihren Vereinen erhalten die Spielerinnen Whatsapp-Nachrichten mit einer Gratulation, ein paar Inputs zu Punkten, die Sundhage aufgefallen sind, oder mit einer Nachfrage, ob alles okay sei, wenn jemand nicht gespielt hat.
Die Schweizerinnen mussten lernen, auf dem Platz zu kommunizieren
Sundhage legt aber auch viel Wert auf die Kommunikation zwischen den Spielerinnen – auf dem Platz und daneben. Meriame Terchoun sagt: «Als Pia neu bei uns war, sagte sie uns, es mache sie nervös, wenn es so ruhig sei auf dem Platz.» Die Schweizerinnen mussten zuerst lernen, was mehr kommunizieren auf dem Platz bedeutet: auch einmal eine gelungene Defensivaktion mit einem Schrei feiern, die Emotionen mehr rauszulassen. Den Mitspielerinnen mit der Körpersprache signalisieren, dass jede für die andere da sei – egal, ob Rookie oder Teamleaderin. Jede Spielerin sei ein wichtiger Teil des Ganzen.
Der Effekt davon ist spür- und sichtbar, das Team strahlt nach zehn Spielen mit Sundhage (davon sieben Siege, zudem gelang der Wiederaufstieg in die Nations League A) wieder mehr Sicherheit aus, die jungen Spielerinnen wie Naomi Luyet, Iman Beney oder Sydney Schertenleib traten selbstbewusst auf, spielten gut. Dass das Team jüngst ein pragmatischeres System mit fünf Defensiv-Spielerinnen angewandt hat, gibt gegen Topteams wie Frankreich oder nun Deutschland und England mehr Stabilität. Intensiv arbeitet Sundhage mit dem Team an erfolgreicheren Kontern, auch mit einem speziellen Sprint-Programm, das die Spielerinnen umsetzen.
Und es gibt zwei weitere Personalien, die das Team vorwärtsgebracht haben: Im März stiess Nadine Angerer als Goalietrainerin zum Staff – die Deutsche war Weltfussballerin und Weltmeisterin, sie trainierte in den vergangenen zehn Jahren Goalies in den USA. Sundhage sagt über ihren Einfluss: «Es ist ansteckend, jemand mit so einer Winner-Mentalität im Team zu haben. Zudem hat sie mit so vielen grossartigen Trainerinnen gearbeitet, dass auch ich ständig von ihrer Erfahrung profitiere.»
Im Frühsommer schliesslich wurde der frühere Schweizer Nationalspieler Johan Djourou als Bindeglied zwischen Staff und Team dazugeholt – auch er überzeugt mit dem Charisma und der Detailarbeit aus einer langen Karriere im Spitzenfussball.
Business-Flüge und ein Bodyscanner als Details zur optimalen Vorbereitung
Von den zehn Millionen Franken für das Vermächtnis der EM (fünf kommen vom Bund, fünf vom SFV) wird auch ein Teil in die Rahmenbedingungen der unmittelbaren EM-Vorbereitung investiert. Dabei geht es darum, die Spielerinnen des A-Teams individuell zu unterstützen, wenn sie irgendwo ein Defizit haben. Oder zu ermöglichen, dass der Staff die Spielerinnen öfter in ihren Klubs besucht und den Austausch mit den Trainern vor Ort intensivieren kann.
Aber es geht auch um Details. So besitzt das Team einen Bodyscanner, der die Beine der Spielerinnen jeden Morgen nach dem Frühstück auf allfällige Entzündungen absucht. Auch arbeitet der Verband vermehrt im mentalen Bereich, damit die Spielerinnen mit dem speziellen Druck einer Heim-EM umgehen können. Spielerinnen wie Ramona Bachmann und Ana Crnogorcevic, die in den USA spielen, ermöglichte der SFV einen Business-Flug zum Zusammenzug. Die Direktorin Marion Daube sagt: «All dies soll den Spielerinnen ein gutes Gefühl geben.»
Trotz allen positiven Entwicklungen: Die fehlende Breite im Kader bleibt ein Problem, das sich bis zur EM im Juli 2025 nicht beheben lässt. Das werden die Schweizerinnen gerade in den Freundschaftsspielen gegen Deutschland und England (am Dienstag) spüren, wobei die Bilanz gegen diese Teams miserabel ist: 29 Partien, 27 Niederlagen, 2 Unentschieden.
Mehrere wichtige Spielerinnen fallen gesundheitsbedingt aus. Allen voran Captain Lia Wälti, die erst von ihrem Kreuzbandriss genesen ist und bei ihrer Rückkehr im Oktober schon wieder der unumstrittene Mittelpunkt des Schweizer Teams war. Sie fehlt nach einem Eingriff wegen eines Abszesses.
Auch nicht dabei sind Géraldine Reuteler und Luana Bühler sowie die 18-jährige Naomi Luyet, die mit ihrem Traumtor gegen Frankreich verzückte und der Sundhage gerne mehr Einsatzzeit gegeben hätte. Mitte Woche kämpfte dann noch Ramona Bachmann mit Grippesymptomen – ob sie gegen Deutschland spielt, wird erst am Freitag entschieden.
Mitarbeit: Peter B. Birrer