Hinter den Barkeeper-Robotern von Tesla steckten in Wahrheit im Hinterzimmer versteckte Menschen. Der Trick ist so alt wie das Maschinenzeitalter.
Ein Roboter mit weissem Hemd und schwarzer Fliege steht hinter der Bar. Er preist Getränke an, scherzt mit den Gästen. Was auf Videos von Besuchern von Elon Musks letzter Party zu sehen war, beeindruckte.
Cocktails mixen ist schwierig für Roboter. Allein zu bestimmen, wie viel Kraft es braucht, um ein Glas zu heben, es aber nicht zu zerdrücken, bedarf komplizierter Berechnungen. Ein Barista muss ausserdem kommunizieren können und flexibel auf Anfragen reagieren.
Die Optimus-Roboter von Tesla an dem Abend der Präsentation der Tesla-Robotaxis schienen zu beweisen, dass die Ingenieure all diese Herausforderungen gelöst hatten. Inzwischen hat sich herausgestellt: Die Roboter waren zu gut, um wahr zu sein.
Musk hat einen Trick genutzt, der die Geschichte der Automatisierung schon seit 1770 begleitet: Die vermeintliche Innovation ist nur eine Hülle. Dahinter verstecken sich Menschen.
Verdächtiges Verhalten und eine Jobanzeige weckten Skepsis
Schon während der Party kam Skepsis auf. Vor allem die Konversationen der Roboter klangen zu menschlich. In einem Video ist verewigt, wie ein Barista-Humanoid aus der Rolle fällt. Er fährt einen Besucher an: «Hör auf, mich Optimus zu nennen. Ich bin ein Roomba mit Gliedmassen, gesteuert von einem Tesla-Angestellten namens Eric. Und ich bin seit vier Stunden hier unten im Keller. Deine Träume sind nicht wahr.»
Das weckte Erinnerungen an eine Jobanzeige vom August, in der Tesla nach Angestellten suchte, die zwischen 1,70 und 1,8o Meter gross sein sollten und bereit, VR-Brillen und einen Motion-Capture-Anzug über längere Zeit zu tragen. Weitere Voraussetzungen waren «den ganzen Tag lang stehen, sitzen, gehen, sich bücken und beugen, strecken, kriechen und sich drehen» und die Offenheit, am Wochenende und nachts zu arbeiten. Das passt zu «Eric» aus dem Video.
Am Mittwoch hat ein Tesla-Mitarbeiter auf der Plattform X schliesslich bestätigt, dass die Oberkörper der Roboter von Mitarbeitern aus der Ferne gesteuert wurden.
Ein Schachautomat versetzt die Habsburger in Aufruhr
Der Trick von Tesla ist so alt wie das Maschinenzeitalter. 1769 liess James Watt seine verbesserte Dampfmaschine patentieren. Genau im selben Jahr baute der österreichisch-ungarische Erfinder Wolfgang von Kempelen den «Schachtürken»: eine Maschine aus Holz voller Rädchen, Hebel und Sprungfedern, die gegen Menschen Schach spielen konnte.
Kempelens Automat wurde zur Sensation: Erfinder und Maschine tourten durch Europa, besiegten Kaiser und Fürsten. Die Wissenschafter der Zeit stellten Vermutungen über die geheime Funktionsweise des neuen Geräts an. Die Wahrheit war enttäuschend: Kempelen hatte einfach einen Schachprofi in einem Kasten in der Maschine versteckt.
«Deine Träume sind nicht wahr!»: Der genervte Ausruf des Typen, der den Barkeeper-Roboter spielen muss, trifft heute wie damals den Punkt. Denn dass Betrügereien wie diese funktionieren, liegt an der Faszination des Publikums am technischen Fortschritt.
Hinter frühen AI-Assistenten stecken Klickarbeiter
Amazon bewies eine gewisse Selbstironie, als es sein 2005 eröffnetes Klickarbeiterportal nach von Kempelens Automaten «Mechanical Turk» nannte. Mit diesem Portal lassen sich kleine Aufgaben outsourcen. Menschen in ärmeren Ländern verdienen Geld, indem sie beschreiben, was auf Fotos zu sehen ist, oder Fehler in Datensätzen finden. Und immer wieder kam Mechanical Turk oder ein Pendant zum Einsatz, wenn Innovation vorgegaukelt werden sollte.
Gleich mehrere Unternehmen wurden über die Jahre dabei ertappt, dass hinter ihren «intelligenten» Programmen in Wirklichkeit Clickworker steckten. Zum Beispiel hinter «M» von Facebook: Schon 2015 kaufte dieser «KI-Assistent» Kinotickets oder formulierte E-Mails. Erste Tester waren begeistert. 2017 deckte das Branchenportal «The Information» auf, dass 70 Prozent der Anfragen an M nicht von der Maschine, sondern von Menschen bearbeitet wurden.
Derselbe Trick steckte hinter einer künstlicher Intelligenz (KI) namens Amy – und hinter der Software Expensify, die versprach, Spesenabrechnungen automatisiert und vertraulich zu überprüfen. 2017 wurde bekannt, dass Rechnungen nicht von KI, sondern von Mechanical-Turk-Mitarbeitern von Hand geprüft worden waren.
Hinter magischer Kassen-KI steckten tausend Arbeiter in Indien
Die jüngste Enttarnung der Art betrifft Amazon. Der Tech-Konzern präsentierte vor einigen Jahren stolz seine «Just Walk Out»-Technologie. Er versprach einen Supermarkt, in dem man Produkte einfach einpacken könne, ohne dass sie gescannt werden müssten. Die Bezahlung funktioniere im Hintergrund, beim Rausgehen würde automatisch abgerechnet. Der Besucher musste am Eingang per Kreditkarte, App oder einen biometrischen Scan einchecken. Den Rest erledige KI, sagte Amazon. Sie erkenne automatisch, wer was eingekauft habe.
Amazon installierte das System in eigenen Supermärkten und verkaufte es an Sportveranstalter und Flughäfen. Im Mai zeigte «The Information», dass 2022 mehr als tausend Personen in Indien hinter der magischen KI steckten. Sie beobachteten Videos der Einkaufenden über Kameras und gaben von Hand ein, wer welche Produkte eingepackt hatte.
Das erklärt auch, warum die Spesenabrechnung oft erst Stunden nach dem Verlassen des Geschäfts eintraf. Von 1000 Verkäufen mussten laut diesem Bericht offenbar 700 händisch überprüft werden. Amazons internes Ziel seien 20 bis 50 Überprüfungen je 1000 Verkäufe gewesen.
Diese Marke dürfte nie erreicht worden sein. Erste Firmenkunden haben sich von der Technologie wieder verabschiedet. Sogar Amazon selbst baut in seine neuesten Geschäfte nicht mehr «Just Walk Out» ein, sondern setzt auf Einkaufswagen, mit denen Kunden die Produkte in dem Moment scannen können, in dem sie sie hineinlegen – ähnlich den mobilen Scannern, die es auch hierzulande in vielen Supermärkten gibt.
Beim Fälschen entsteht die Grundlage echter Innovation
«Fake it till you make it», «spiele es vor, bis zu es kannst», ist eine der Devisen des Silicon Valley. Bei aller Freude an enttarnten Fakes darf man nicht übersehen, dass sie die Innovation manchmal tatsächlich vorantreibt.
So sind automatisierte Spesenabrechnungen heute Alltag, zum Teil auch dank den Klickarbeitern, die Rechnung nach Rechnung per Hand überprüft und so Daten generiert haben, aus denen Algorithmen lernen konnten. Auch KI-Assistenten können heute um Welten mehr als in der Zeit, als Amy und Facebook M enttarnt wurden.
Man kann davon ausgehen, dass Tesla bei dem Robotaxi-Event mit den Optimus-Barkeepern fleissig Daten zu Konversationen und Bewegungen gesammelt hat. All diese Informationen werden dabei helfen, Optimus weiterzuentwickeln.
Nicht immer dauert es von der Fälschung bis zur echten Innovation so lange wie bei der Schachmaschine. Gut möglich, dass Eric hinter Optimus seinen Job also bald wieder verliert.