Ein Tornado ist kein erhobener Zeigefinger: Der Extremwetter-Film verzichtet auf Klimapolemik. Auch sonst macht er vieles richtig.
Naturkatastrophen sind ein dankbares Kinosujet. Verwüstungen machen visuell etwas her, höhere Gewalt ist ausserdem politisch unverdächtig. Die Geschichten bedienen ein breites Publikum. Erdrutsche, Beben oder Hochwasser erschliessen sich kulturübergreifend, Zuschauerinnen und Zuschauer sind gleichermassen angesprochen.
Trotzdem gibt es nur noch selten klassische Desasterfilme. Stattdessen haben endzeitliche Stoffe Konjunktur, Wüstenerzählungen wie «Mad Max», «Dune». Vielleicht ist das schlüssig, weil Hollywood immer einen Schritt voraus sein will: Der dramaturgische Steigerungslauf führt zu Szenarien, in denen die Welt bereits weitgehend erledigt ist. Der Trend geht zum Postapokalyptischen. Eine geografisch beschränkte Katastrophe wirkt dagegen geradezu pingelig.
Darin steckt jedoch ein verbreiteter Hollywood-Irrtum: Für den Zuschauer muss eine Katastrophe nicht gleich planetarisch sein. Wenn es gut gemacht ist, generiert das geringfügige Aufblasen einer natürlichen Gefahr sogar den grösseren Schrecken. Schon ein einzelner weisser Hai tut’s, das hat Spielberg vorgemacht.
Klimapolitischer Druck
Auch ein gröberes Unwetter hat filmisches Potenzial. Vor allem Tornados sind telegen. 1996 hat Jan de Bonts «Twister» den Wirbelsturm als Blockbuster-tauglich ausgewiesen. Fast 30 Jahre später sind wir jetzt endlich beim Plural «Twisters».
Nun lastet auf einem solchen Extremwetter-Film mittlerweile ein gewisser umweltpolitischer Druck. Die Klimajugend geht kaum ins Kino, wenn es sich nicht mit der richtigen Message nützlich macht. Andere finden Hollywood ohnehin zu woke und verdächtigen einen Katastrophenfilm von vornherein der politischen Parteinahme. Von allen Seiten weht ein fieser Wind.
«Twisters» macht das einzig Richtige: Der Kinofilm hält sich raus. Klimawandel ist nur ganz am Rande Thema. So bemerkt bloss eine Nebenfigur einmal, dass es «immer mehr Tornados, Verwüstungen und Trockenheit» gebe. Es ist die allein auf einer Farm in Oklahoma lebende, wetterfest wirkende Mutter der Heldin. Sie schaut die Tochter an, auf deren Denim-Gilet eine US-Flagge aufgenäht ist, und sagt liebevoll: «Still waiting for you to safe the world.»
Aber die junge Kate (Daisy Edgar-Jones) muss eben nicht gleich die ganze Welt retten, sondern es genügen erst einmal die Menschen im amerikanischen Kernland. «America first» ist die Devise. Denn vor allem im Mittleren Westen bringen die Tornados regelmässig Tod und Zerstörung. Kate hatte schon als Physiknerd in der Schule brillante Ideen: Konkret wollte sie einem Wirbelsturm mit Chemikalien die Feuchtigkeit entziehen. Das Experiment, den Tornado zu trocknen, ging allerdings schief. Mit fürchterlichen Folgen für Kates Mitstreiter.
Fünf Jahre später lebt die traumatisierte Kate als Meteorologin in New York City, wo sie buchstäblich sturmfrei hat: Höchstens der Ventilator an der Decke, den die gewitzte Kamera einfängt, generiert noch ein Lüftchen. Aus der sicheren Distanz macht Kate Unwetterwarnung. Dann taucht ein Freund aus College-Zeiten auf, Javi (Anthony Ramos). Er hat eine neue Idee, wie man Wirbelstürme einhegen könnte. Und Javi braucht Kates Hilfe. Widerwillig folgt sie ihm zurück in den Mittleren Westen.
Tornados als Adrenalinkick
Wetterkapriolen, so spektakulär sie sind, machen noch keinen abendfüllenden Spielfilm. «Twisters» braucht zusätzliche Erzähl-Böen. Kate muss feststellen, dass sich in ihrer Abwesenheit die Heimat zum Tornado-Eldorado entwickelt hat. Freaks jagen den Stürmen nach. Allen voran der tollkühne Tyler Owens (Glen Powell), ein ehemaliger Rodeoreiter: Er sucht den Kick jetzt beim Tornado-Reiten.
Mit einem bunten Haufen von Verrückten hat es sich Tyler zum Geschäftsmodell gemacht, im Pick-up-Truck geradewegs in die Grosstrombe hineinzufahren. Auf Social Media ist der Haudegen ein Star. «Ein Hinterwäldler mit einem Youtube-Kanal», schimpft hingegen Javi.
Ganz ohne Reiz ist dieser blauäugige Cowboy allerdings nicht, erkennt Kate. Der Luftikus Tyler ist gar nicht so hohl, wie er zunächst wirkt. Die Dialoge nehmen zaghaft sexuelle Spannung auf: «Erinnerst du dich ans erste Mal?», fragt Tyler beim Date. Gemeint ist der erste Tornado. Oder er schaut, wie sich eine makellose Windhose entwickelt, und schwelgt in Gedanken: «Sie ist perfekt.»
Der Grundkonflikt ist klar: Kate steht zwischen den Fronten. Auf der einen Seite die Technologiefraktion, verkörpert von Javi, auf der anderen der ungezügelte Naturbursche Tyler. Es ist das klassische Muster aus dem Westernkino, wo mit der Eisenbahn der Fortschritt ins Land kommt.
Unzählige Hollywood-Filme funktionieren so: Der Held, die Heldin stellt sich den nach Profit strebenden Eindringlingen entgegen. Gleichzeitig macht die Figur den Wilden Westen fit für die Herausforderungen der Gegenwart. Genau in dieser Scharnierfunktion steht Kate.
Ein lächerlicher Journalist
«Twisters» ist ein ganz einwandfreier Sommer-Blockbuster. Einer wie aus früheren Zeiten: sorgfältig erzählt, nicht überhastet und überladen. Stellenweise auch schön läppisch: Zur Erheiterung dient der britische Journalist, der für eine Reportage über die Tornado-Jäger nach Oklahoma kommt, aber mit seinen hässlichen neuen On-Turnschuhen um jede Pfütze herumtänzelt.
Der Regisseur Lee Isaac Chung hat keine Mühe mit Temperaturwechseln. Er hat zuvor «Minari» gemacht, ein kluges Drama über eine koreanische Einwandererfamilie in Arkansas. «Twisters» ist zwar etwas ganz anderes, aber es gibt durchaus eine Anschlusslogik: Der Lateinamerikaner Javi verkörpert die Immigrationsthematik.
Ohne grosses Aufhebens zu machen, vermittelt Chung in dem Blockbuster den Zustand des Einwanderungslandes, in dem der Cowboy herausgefordert ist durch den ambitionierten Latino. Den Tornado kann man auch allegorisch lesen als Sturm, der sich über der polarisierten Nation zusammenbraut. Um ihn zu überstehen, muss sich Amerika auf seine Stärken besinnen. Was der Film auf seine Art veranschaulicht: Im Pick-up-Truck überlebt man noch am ehesten.
Aber vielleicht ist das auch zu viel hineingelesen. Lee Isaac Chung macht das sehr geschickt. Ist doch alles nur Unterhaltung, sagt er gleichzeitig. Und lässt für den Showdown, ohne zu viel zu verraten, die Figuren vor dem finalen Sturm in ein Kino flüchten. «Das Kino hält dem nicht stand, was hier kommt», ruft jemand panisch. Womit vielleicht auch die Zukunft des Filmemachens gemeint ist. Jedenfalls zeigt sich, was gutes Unterhaltungskino ausmacht: Die Leinwand verbläst es förmlich, im Saal fliegt alles auseinander, ja es reisst die Menschen von den Sitzen.