Reservierungen bringen ihre Tücken mit sich. Hier und dort überlegen sich Bars und Restaurants deshalb, ganz oder teilweise auf die Buchungsmöglichkeit zu verzichten. «Einfach auftauchen» lautet dann das Motto für die Gäste.
In die angesagtesten Restaurants der Welt zu gelangen, ist nicht ganz einfach. Das gilt ganz besonders für das «Disfrutar», das kürzlich erst zum besten Restaurant der Welt gekürt worden ist. Von der Liste «World’s 50 Best Restaurants», die durchaus umstritten ist, aber in diesem Falle nicht ganz falsch liegen dürfte. Dumm nur, dass die aktuelle Überprüfung der Kochleistungen für mich wie für andere Tester schwierig ist – das Reservierungssystem zeigt für die kommenden Monate ausschliesslich besetzte Tische an.
«Geh doch einfach einmal hin», verriet mir kürzlich allerdings einer mit besten Verbindungen nach Barcelona. Angeblich halte das Team um den Patron Oriol Castro auch ein paar Plätze für Walk-ins parat. Vielleicht habe man ja auch Glück, und diejenigen, die gebucht hätten, verspäteten sich allzu sehr oder tauchten einfach nicht auf.
Walk-in-Gäste sind bei Gastronomen oft gern gesehen
Tatsächlich hält so manches Fine Dining dieser Welt einen Tisch (oder mehrere) für spät buchende oder für besondere Gäste in petto, stellt diese Reserve nicht ins Online-Reservierungssystem. Taucht kein VIP auf, gehen diese Plätze in den normalen Verkauf und sind bisweilen auch für Spontankunden zu haben.
Dass sich eine solche Praxis eher in der Grossstadt lohnt als auf dem Lande, ist kein Geheimnis. Laufkundschaft ist in ländlichen Gebieten allgemein seltener als im Ausgehquartier der Metropole. Doch wie immer kommt es auf die Details an – und wenn sich die Möglichkeit kurzfristiger Besuchsmöglichkeiten herumspricht, könnte sich diese Praxis in Ausnahmefällen auch einmal für den angesagten Landgasthof lohnen.
Reservierungen abschaffen?
Aber warum dann nicht darüber nachdenken, Reservierungen ganz abzuschaffen? Schliesslich sind diese mit grossem Aufwand verbunden, mit dem akribischen Führen von Büchern und der Pflege der Datenbanken, mit zu früh oder zu spät kommenden Kunden, mit No-Shows und jenen, die für fünf buchen, aber nur zu dritt erscheinen.
Und versuche einmal ein Gastronom, den einfach ohne Nachricht nicht kommenden Frechlingen eine Rechnung zu schicken oder Stornobeträge von der Kreditkarte zu buchen. All das ist zwar logisch und konsequent, gibt aber oft Ärger und nicht selten schlechte Rachebewertungen auf Onlineportalen.
Wenn es nur noch Walk-ins gibt, ändert sich die Kundschaft
Wer dagegen konsequent umstellt, Reservierungen verbannt und nur noch Laufkundschaft akzeptiert, ist zwar den Ärger los, geht aber ein hohes Risiko ein. Manche Stammkunden dürften sich vergrault fühlen. Besser haben es da jene Lokale, die von Anfang an auf dieses System bauten. Das «Gamper» in Zürich hat sich damit einen Namen gemacht, dass man nicht buchen kann; wer zuerst kommt, mahlt hier zuerst. Und auch beim «Relais de l’Entrecôte», in Paris wie an der Limmat zu Hause, wissen viele: Hier muss man auf gut Glück kommen.
Doch ohne Reservierungen hätten viele Restaurants ganz gewiss eine andere Kundschaft als mit selbigen. Eine, die nicht einmal eben aus dem Ausland einschwebt, nur um das berühmte Menu zu kosten. Eine, die seltener zu lange geplanten Geschäftsessen kommt. Dafür eine, die eher locker ist und womöglich mehr ausgibt für Drinks und andere Extras als die, die (per Reservation) zum Hochzeitstag gekommen wäre. Ob sich das lohnt, muss jedes Lokal selbst herausfinden.
In der Barszene wird das Walk-in-Prinzip eifrig diskutiert
Einfacher haben es da die Cocktail- und die Weinbars. Dass man in diesem Segment der Gastronomie oft auch ohne die Reservierungsmöglichkeit leben kann, spricht sich herum – und hat etwa das legendäre «Le Lion» in Hamburg dazu bewogen, Buchungen abzuschaffen und nur noch Walk-ins zu akzeptieren. Dass man die Auslastung optimieren könnte durch eine Live-Anzeige freier Tische im Internet oder durch dynamische Preisgestaltung (wenn wenig los ist, kosten die Getränke eine Stunde lang nur noch zwei Drittel), könnte so manches mutige Lokal übrigens auch noch lernen.
Es hülfe vielleicht auch den Restaurants, erst einmal nur einen Teilbereich des Unternehmens für Walk-ins freizuhalten. Spontane Gäste an die Theke, die anderen gern an die Tische – das wäre doch einmal etwas. Ach ja, was das «Disfrutar» angeht: Vielleicht versuche ich es ja wirklich einmal spontan, komme früh in einer eher touristenarmen Zeit und hoffe, freundlich nachfragend, das Beste. Und habe sicherheitshalber ein paar andere gute Adressen in der Hinterhand, damit ich nicht umsonst gereist bin.