Ein Catwalk mit grossem Staraufgebot läutete die Pariser Fashion Week ein – so weit, so gewöhnlich. Doch statt eines Modelabels steckt dahinter ein Kosmetikriese.
Die Bilder fluteten Social Media so, wie sie es eben tun, wenn gewisse Namen dabei sind: Kendall Jenner und Cara Delevingne, beide in Rot und mit wallenden Mähnen stolzierend, Heidi Klum in einem schwarzen Latexkleid, die ihrem Ehemann Tom Kaulitz vom Laufsteg aus eine Rose zuwirft (er fängt sie), und Schauspielerinnen, die sonst eher auf roten Teppichen als auf Catwalks daheim sind: Eva Longoria, Simone Ashley, Andie McDowell, Aja Naomi King, Jane Fonda, Iris Berben. Alle in glitzernden und glänzenden Kleidern und mit breitem Lächeln, alle mehr oder weniger sicher über einen breiten Laufsteg vor der Pariser Oper gehend.
Zum siebten Mal schon veranstaltete der Kosmetikriese L’Oréal am Montagabend in Paris das, was sie «Le Défilé» nennen. 4000 Menschen schauten vor Ort auf dem Place de l’Opéra zu. Drei Viertel davon hatten sich innerhalb acht Minuten dafür registriert, denn innert dieser Zeit waren die kostenlosen Tickets laut Angaben des Unternehmens weg.
Demokratischer Gegenpol zur Modewoche
Obwohl L’Oréal auch sonst an der Fashion Week vertreten ist, um Models zu schminken, war der Anlass ein Gegenpol zum Normalbetrieb, der in Paris gerade anläuft: Die Zuschauenden waren weder Branchen-Insider noch Prominente, die Models so körperlich divers (und mit fröhlicher Miene) wie sonst nirgends. Und die Kleider: eine Mischung aus verschiedenen Labels und Kollektionen. «Demokratisierung», nennt es die Marketing-Abteilung von L’Oréal. Und: ein «ikonisches Spektakel», das «Weiblichkeit und Feminismus» zelebriere.
Die Ambitionen sind hoch: 17 Milliarden Mal soll die Show gesehen werden. Sie sei «eine sehr gute Investition», sagte Delphine Viguier-Hovasse, International General Manager von L’Oréal Paris, kürzlich gegenüber dem Radiosender «Franceinfo». Neben seiner Funktion als Content-Quelle für Social Media gibt es spezifische Märkte, auf die der Anlass abzielt: Die Anwesenheit chinesischer Influencern sowie Live-Shopping-Events sollen etwa die Nachfrage in China ankurbeln. Dort ist laut Viguier-Hovasse das Ziel von L’Oréal, von derzeit 90 auf 400 Millionen Konsumentinnen und Konsumenten zu kommen. Tatsächlich hätten die Shows der vergangenen Jahre, ob auf der Champs-Elysées oder einem schwimmenden Catwalk in der Seine, bereits höhere Verkaufszahlen zur Folge gehabt.
Ein bisschen Absurdität
Ob das «Défilé» als Modenschau funktioniert, scheint nebensächlich. Denn es ist zweifellos gepfeffert mit Beauty-Momenten, die an Absurdität grenzen: Als Markenbotschafterin Iris Berben über den Laufsteg stolziert und auf der Leinwand hinter ihr eine gigantische Tube Mascara erscheint. Oder als ein Model so tut, als würde sie Lipgloss auftragen, ohne ihre Lippen auch nur ein bisschen zu berühren.
Schade auch die Tatsache, dass junge Designtalente unterstützt werden sollen, aber das Publikum beim Zuschauen erst im Nachhinein online einen Weg erhält, sie ausfindig zu machen. Dass Kendall Jenners rotes Korsettkleid von Mugler unter Casey Cadwallader stammt und dass die eine oder andere Kreation vom Schweizer Designer Kevin Germanier dabei ist, das konnte man vor Ort als modeinteressierte Person gerade noch erraten.
Dennoch etablieren sich solche «Défilés» immer mehr. Modemagazine wie die «Vogue» investieren vermehrt in Anlässe wie «Vogue World», für die man Tickets kaufen kann und die Talks und Modeschauen beinhalten. Eigentlich modefremde Firmen wie Ferrari und Swisscom finanzieren derweil eigene Kleidermarken, mitsamt Shows oder zumindest öffentlichkeitswirksamen Lancierungen. Und Mitte Oktober wird die berühmte «Fashion Show» von Victoria’s Secret erstmals seit 2018 wieder über die Bühne gehen. Cher wird auftreten. Riesige Engelsflügel und teure BHs sind vorprogrammiert. Wie viele Milliarden Augenpaare wohl dafür erwartet werden?